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Wie Arbeit gerechter werden kann

Wer sich im Job nicht wertgeschätzt fühlt, leistet weniger und kündigt schneller. Das ist für Unternehmen fatal, hat aber darüber hinaus auch Einfluss auf die Stimmung in der Gesellschaft. Denn der Eindruck, abgehängt zu sein, macht Menschen anfälliger für rechtsextreme Positionen.

Von Annett Kschieschan
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Geld ist nicht alles, aber wenn es um Gerechtigkeit in der Arbeitswelt geht, ist die Gehaltsfrage eine der wichtigsten.
Geld ist nicht alles, aber wenn es um Gerechtigkeit in der Arbeitswelt geht, ist die Gehaltsfrage eine der wichtigsten. © AdobeStock

Wenn es um Arbeit geht, geht es immer auch um Gerechtigkeit. Bei der Bezahlung von Männern und Frauen, bei den Karrierechancen, bei der ungleich verteilten Arbeitsbelastung und nicht zuletzt beim Thema Wertschätzung. Wer das Gefühl hat, mit seiner Leistung und seinem Engagement nicht gesehen zu werden, wird erst innerlich und später auch ganz offiziell kündigen. In Zeiten des Fachkräftemangels kann sich das kein Unternehmen leisten – eigentlich. Tatsächlich ist das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, entscheidet, wenn es um die Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber geht.

Der tut demnach gut daran, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu widmen und bestehende Ungerechtigkeiten Stück für Stück abzubauen. Aus Gründen des Betriebsklimas, das wiederum einen wichtigen Einfluss auf die Produktivität hat. Wer sich gerecht behandelt fühlt, ist zufriedener mit seinem Job – unabhängig davon, ob dieser tatsächlich ein Traumjob ist oder nicht. Das zeigt unter anderem eine Studie des Bundesarbeitsministeriums, bei der 7.000 Beschäftigte befragt wurden. Ein Ergebnis: „Unterstützende Kolleginnen und Kollegen, verantwortungsvolle Führungskräfte und faire Beförderungen im Team“ tragen ganz wesentlich zur Zufriedenheit bei.

Inzwischen ist auch klar: Unzufriedenheit am Arbeitsplatz wirkt in alle Lebensbereiche hinein. Und sie hat einen Anteil den gesellschaftlichen Verwerfungen, die heute vieldiskutiert werden. Nach einer Analyse von Bettina Kohlrausch, Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), begünstigen mangelnde Mitsprache und Anerkennung im Job auch die Ausbreitung rechtsextremer Einstellungen. „Unsere Befragungsdaten zeigen, dass unter Menschen, die zur Wahl der AfD tendieren, subjektiven Bedrohungs- und Verlusterfahrungen überdurchschnittlich verbreitet sind“, so Kohlrausch. In Sachsen, generell im Osten Deutschlands, hat eine ganze Generation eben solche Erfahrungen gemacht. Nach der politischen Wende schlossen Betriebe in Größenordnungen, fanden viele Männer und Frauen nie wieder einen Arbeitsplatz, der von Dauer war und dabei noch Wertschätzung und finanzielle Sicherheit garantierte. Zwar sind viele der damals Betroffenen inzwischen im Rentenalter, doch sie haben ihre Erfahrungen – inklusive der erlebten Ungerechtigkeit – nicht selten an die nächste Generation weitergegeben.

Mehr Chancen für die Mitbestimmung

Die jüngsten Krisen – von der Corona-Pandemie über den Ukraine-Krieg bis zu den allgemeinen Teuerungen – betreffen vor allem jene, die ohnehin schon wenig haben. Ohne große finanzielle Rücklagen, einen höheren Bildungsgrad und tragfähige Netzwerke sei es besonders schwer, den Krisenlagen zu trotzen. „Oft verbinden sich Bedrohungs- und Verlustgefühle dann mit migrationskritischen bis - feindlichen Stereotypen, die insbesondere AfD-Stammwählerinnen und -wähler sehr oft vertreten“, so Bettina Kohlrausch. Der AfD gelinge es dadurch im aktuellen politischen Diskurs erfolgreich, „Oben-Unten-Konflikte in Innen-Außen-Konflikte umzudeuten“. Dabei bleibt (Lohn-)Gerechtigkeit vor allem auch eine Klassenfrage. Die besten Chancen, gut durch Krisen zu kommen, haben die höher gebildeten, flexiblen Mitarbeiter, die sich schnell an die immer rasanteren Veränderungen der Arbeitswelt anpassen und im Zweifel auch in ihrem eigenen Interesse argumentieren können.

Wem all das schwerfällt, der fühlt sich schnell abgehängt – und findet sich am Ende in rechten Plattitüden wieder. Der Eindruck, „weder zu verstehen, wie und warum sich die Gesellschaft verändert, noch die Auswirkungen dieser Veränderungen mitgestalten zu können“, begünstige antidemokratische Einstellungen, so eine weitere Einschätzung der Forscherin. „Die großen gesellschaftlichen Veränderungen wie die Digitalisierung, die Dekarbonisierung und der demografische Wandel haben zur Folge, dass sich Verteilungskonflikte einerseits zuspitzen und anderseits zentrale gesellschaftliche Fragen neu ausgehandelt werden müssen“, sagt sie und verweist auf den Betrieb als einen „zentralen Aushandlungsort“.

Geld ist nicht alles, aber wenn es um Gerechtigkeit in der Arbeitswelt geht, ist die Gehaltsfrage eine der wichtigsten. Die Tarifautonomie oder das Betriebsverfassungsgesetz bestimmten ebenso wie soziale Schutzrechte für Beschäftigte den formalen Rahmen dieses Aushandlungsprozesses – und seien auch deshalb gesellschaftlich wichtig. Nicht nur Bettina Kohlrausch plädiert daher für eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes. Arbeitsrecht-Experten der Gewerkschaften, der Hans-Böckler-Stiftung sowie der Universitäten Göttingen und Bremen haben eine entsprechende Neufassung vorgeschlagen. Sie soll Beschäftigte in die Umsetzung der Transformation der Arbeitswelt einbeziehen und damit ebenfalls einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit leisten.