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Ex-OB Schramm: „Religion kann viel dazu beitragen, Demokratie zu festigen“

Seit 2015 ist Christian Schramm nicht mehr Oberbürgermeister von Bautzen. Dennoch verfolgt er weiter das Geschehen in der Stadt und hat einen Wunsch dafür.

Von Katja Schlenker
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Christian Schramm ist von 1990 bis 2015 Oberbürgermeister der Stadt Bautzen gewesen. 2022 ist der 71-Jährige mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt widmet er sich verstärkt der Musik.
Christian Schramm ist von 1990 bis 2015 Oberbürgermeister der Stadt Bautzen gewesen. 2022 ist der 71-Jährige mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt widmet er sich verstärkt der Musik. © Steffen Unger

Bautzen. Von 1990 bis 2015 ist Christian Schramm Oberbürgermeister der Stadt Bautzen gewesen. Für seine Verdienste hat der 71-Jährige 2022 das Bundesverdienstkreuz erhalten. Ein Gespräch über Montagsprotest, Werte und die Rolle von Religion in der Demokratie.

Herr Schramm, wie geht es Ihnen dieser Tage?

Mir ist nicht langweilig. Ich habe immer noch gut mit mir selbst und den Dingen um mich herum zu tun. Rente hat ja aber auch etwas mit Älterwerden zu tun, und man muss mit den sich dazu gesellenden Problemen wie Krankheit zurechtkommen, damit leben lernen. Aber ich bin ganz guter Dinge momentan. Älterwerden erfordert aber auch ein bisschen Mut, wie mir andere Senioren bestätigen.

Ich muss sagen, dass ich nach dem Ausscheiden aus dem Amt des Oberbürgermeisters nicht in ein Loch gefallen bin. Ich habe genug Hobbys und Dinge, mit denen ich mich beschäftigen kann. Vor allem Musik spielt nach wie vor eine große Rolle, und ich lese unheimlich viel.

Schön ist, meine Frau an meiner Seite zu haben. Ich kenne einige, die bereits den Verlust des Partners erlebt haben. Insofern fühle ich mich beschenkt. Außerdem haben wir mittlerweile fünf Enkel und eine Urenkelin in der Spanne von drei bis über 30 Jahren. So hat man alle Lebensphasen noch vor Augen und kann sich über verschiedene Sichtweisen austauschen.

Werden Sie noch oft erkannt als langjähriger Oberbürgermeister von Bautzen?

Ich werde ständig angesprochen. Es kommt kaum vor, dass ich in der Stadt bin und nicht mindestens zwei- oder dreimal angesprochen werde. Das hätte ich gar nicht gedacht, und ich bin sehr dankbar dafür.

Worüber wollen die Leute dann mit Ihnen sprechen?

Das reicht über Themen wie das Wetter bis hin zu Politik. Über die Jahre habe ich auch viele Leute in der Stadt kennengelernt. Ich höre von Sorgen, Freuden und Erinnerungen.

Welche Rolle spielt die Stadtpolitik in Bautzen noch in Ihrem Leben?

Aus der Stadtpolitik halte ich mich relativ zurück. Wenn man nicht mehr Oberbürgermeister ist, ist man nicht mehr Oberbürgermeister – Punkt. Wenn ich um Rat gebeten werde, gebe ich natürlich Rat. Auf Städte kommen größere Aufgaben zu, zum Beispiel Mobilitäts- und Versorgungsfragen sowie im Bereich Cyber-Kriminalität. Die Stadt der Zukunft interessiert mich nach wie vor.

Ein Thema, das Bautzen immer wieder bundesweit Schlagzeilen beschert, ist der Montagsprotest. Wie sehen Sie diese Initiative?

Was in Bautzen los ist, muss man niemandem erklären. Mir ist wichtig klarzumachen, dass man als einzelner Mensch Teil der Demokratie ist. Wir bekommen die Demokratie nicht geschenkt, sondern sind selbst die Demokratie. Ich würde mir wünschen, dass jeder sein Bewusstsein und sein Herz zusammennimmt und sich fragt: Wo stehe ich in diesem Prozess?

Zu Beginn seiner Amtszeit hat der amtierende Oberbürgermeister Karsten Vogt einmal beim Montagsprotest gesprochen und den Austausch gesucht – mit eher mäßigem Erfolg.

Ich würde mir auch wünschen, dass wir hier eine qualifiziertere Auseinandersetzung haben könnten als jetzt. Wenn mir der Standpunkt des anderen nicht gefällt, muss man vernünftig darüber reden. Sich anzuschreien und übereinander herzufallen, bringt gar nichts. Wenn man nicht miteinander reden kann oder will, muss man das auch hinnehmen, aber es dennoch immer wieder versuchen.

Diskutiert wird auch immer wieder darüber, wie man mit der AfD und deren Anhängern umgehen soll. Manche – darunter Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer – lehnen eine Zusammenarbeit mit dieser Partei komplett ab. Ist das die Lösung?

Auf welcher Seite ich hier stehe, muss ich an dieser Stelle nicht erläutern; das ist bekannt. Ich kann einen Standpunkt ablehnen, aber ich muss doch trotzdem mit dem Menschen sprechen. Ich bin niemand, der die AfD wählen würde. Dass man aber mit dem Menschen, der die AfD unterstützt, vernünftig umgeht, sollte dennoch selbstverständlich sein. Ich habe für mich entschieden, dass ich mich so verhalten möchte, dass ich für alle gesprächsfähig sein will, wenn ich angesprochen werde.

Dieser Tage wird immer wieder von einer Spaltung der Gesellschaft gesprochen – trifft das auch auf Bautzen zu?

Das trifft nicht nur auf die Stadtgesellschaft zu, sondern zieht sich bis in Familien und den Freundeskreis hinein. Wenn ich mich nur so informiere, dass meine eigenen Standpunkte bestätigt werden, kann ich mich nicht selbst infrage stellen. Das erfordert auch einiges an Mut. Aber: Sich infrage zu stellen, bedeutet ja nicht gleich, dass man seine Meinung ändert. Es gehört aber zum demokratischen Prozess dazu, dass man sich und sein Umfeld hinterfragt.

In Sachsen treten immer mehr Menschen aus der Kirche aus. Gehen dadurch auch wichtige Werte verloren, welche bei dem beschriebenen Diskurs nötig wären?

Für die eigene Meinung sollte man auch Wertmaßstäbe finden – Vernunft, Ethik und Glaube zum Beispiel, wobei Letzteres vielleicht nicht jeder unterschreiben wird. Ich lese gerade ein interessantes Buch von Hartmut Rosa mit dem Titel „Demokratie braucht Religion“. Religion kann viel dazu beitragen, Demokratie zu festigen, aber uns auch zu befragen.

Sollte auf Tugenden bereits während der Schulzeit mehr Wert gelegt werden?

Ethik, Moral und das eigene Verhalten haben auch etwas mit Bildung zu tun. Umso mehr ich von der Welt weiß, umso besser kann ich die Dinge einschätzen. Wenn andere Bereiche auf der Strecke bleiben und zum Beispiel Empathie nicht entwickelt wird, ist das schwierig. Wenn man die eigene Geschichte nicht kennt, wie will man dann Geschichte für die Zukunft entwickeln? Zudem ist wichtig, dass junge Leute lernen, wie man mit der eigenen Meinung und anderen Meinungen umgehen sollte.

Ist der Protest in Bautzen oder Ostdeutschland allgemein so laut, weil die Menschen hier wachsamer sind aufgrund der DDR-Geschichte?

Ich bin heute noch der Meinung, wer sich in der DDR bemüht hat, seine Weltsicht zu erweitern, hat nicht wenig Betätigungsfeld gehabt. Ich glaube auch nicht, dass die Menschen in Westdeutschland alle Möglichkeiten genutzt haben, die ihnen zur Verfügung standen. Ich denke aber auch nicht, dass die Jüngeren sich noch solche Fragen stellen.

Am 8. Dezember 2022 ist Christian Schramm von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden.
Am 8. Dezember 2022 ist Christian Schramm von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden. © Bundesregierung/Sandra Steins

Ob man zwischen den Zeilen lesen kann, hat heute eher etwas mit Bildung zu tun. Bautzen hat sich mittlerweile ein Stück weit auseinandergelebt, weshalb wir die Streitkultur wieder qualifizieren müssen. Das darf auch mal laut sein, aber es gibt Regeln, die nicht überschritten werden dürfen.

Ein Projekt, um das in der Stadt Bautzen derzeit ebenfalls hart gerungen wird, ist die Spreequerung. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Ich bin dagegen. Es gibt bestimmt 20 Gründe, auf die ich hier jetzt nicht im Detail eingehen werde, die für mich dagegen sprechen. Ich bleibe dabei, dass die Spreequerung für die Entwicklung der Stadt Bautzen nicht notwendig ist.

Gibt es ein Projekt, das Sie während Ihrer Amtszeit gern noch umgesetzt hätten?

Die Bebauung des Lauenareals hätte ich gern noch geschafft. Ich hätte mir dort eine Nutzung gewünscht, die Leute in die Stadt holt. Wie das nun dort geplante Sorbische Wissensforum angenommen wird, muss sich zeigen.