SZ + Bautzen
Merken

„Der Kohleausstieg klappt nur mit der Bevölkerung“

Forscher aus Potsdam haben sich vier Jahre lang mit dem Strukturwandel in der Lausitz beschäftigt. Das sind ihre Erkenntnisse.

Von David Berndt
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Der Kohleausstieg ist beschlossen. Braunkohlekraftwerke wie hier in Jänschwalde soll es künftig in Deutschland nicht mehr geben. Das bedeutet für die Lausitz einen gravierenden Wandel.
Der Kohleausstieg ist beschlossen. Braunkohlekraftwerke wie hier in Jänschwalde soll es künftig in Deutschland nicht mehr geben. Das bedeutet für die Lausitz einen gravierenden Wandel. © Patrick Pleul/dpa

Bautzen/Potsdam. Vier Jahre lang haben Forscher vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung aus Potsdam in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt den Strukturwandel in der Lausitz begleitet. Dabei ging es darum „mit Akteuren in der Region herauszuarbeiten, wie Strukturwandel gerecht und demokratisch gelingen kann.“ Als Nachhaltigkeitsforscher fragten sie nicht nur, wie es den Baggerfahrern und Kumpeln im Tagebau geht, sondern wie künftige Generationen in den Wandel einbezogen werden sollen.

Zum Abschluss ihrer Arbeit hat die Forschungsgruppe um Leiter und Sozialwissenschaftler Dr. Johannes Staemmler mehrere Thesen zum Strukturwandel aufgestellt. Sächsische.de hat sie sich angesehen.

These 1: Kohleausstieg funktioniert nur mit Akzeptanz der Bevölkerung

Die Politik habe gemerkt, dass der Kohleausstieg nur funktioniert, „wenn sie die Akzeptanz der Bevölkerung irgendwie sicherstellt“, sagt Johannes Staemmler. Das heißt, die Menschen müssen ein Mitspracherecht bei den Entscheidungen bekommen. Die Politik komme nicht umhin, immer wieder den Versuch zu unternehmen, mit den Menschen in der Lausitz ins Gespräch zu kommen.

Dabei gehe es vor allem um diejenigen, die vom Kohleausstieg betroffen und nicht nur daran beteiligt sind. Laut dem Wissenschaftler stellt sich die Frage: „Sind die Kosten und der Nutzen so auf die Bevölkerung verteilt, dass niemand einen größeren Schaden davonträgt?“

Dr. Johannes Staemmler vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung aus Potsdam hat die Forschungsgruppe zum Strukturwandel in der Lausitz geleitet.
Dr. Johannes Staemmler vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung aus Potsdam hat die Forschungsgruppe zum Strukturwandel in der Lausitz geleitet. © Tine Jurtz

Die Bürger müssten an der Ideenfindung und Entwicklung beteiligt werden. Das mag mühsam und frustrierend sein, sagt Staemmler, aber Jahre später könne man sagen: „Schaut mal, das haben die nicht nur für uns gemacht, sondern das ist hier, weil wir das so wollten.“

In Bezug auf Kinder und Jugendliche haben die Forschenden einen eigenen Bericht zu deren Beteiligung beim Strukturwandel erarbeitet. Sie schlagen etwa einen Jugendcheck für alle Strukturwandelprojekte oder regelmäßige Kinder- und Jugendkonferenzen für die Lausitz vor.

These 2: Die Akzeptanz steht in der Lausitz auf wackeligen Füßen

Im Vergleich zum restlichen Bundesgebiet sei die Akzeptanz für den Kohleausstieg und damit die Energiewende in der Lausitz nicht so stark ausgeprägt. „Die Kohleindustrie ist die am längsten verbliebene Großindustrie in der Lausitz. Und die schafft Arbeitsplätze, Sicherheit und Steuereinnahmen. Wenn man die ersatzlos streicht, dann sind die Lausitzer überproportional belastet. Sie verlieren nämlich ihre Jobs“, sagt Staemmler.

Hinzu komme die kulturelle Prägung. In der Lausitz habe man über Jahrzehnte Energie hergestellt, indem die Landschaft umgegraben wurde. Und das soll auf einmal ein schlechter Prozess gewesen sein? Aus der Kohle auszusteigen und die Vergangenheit zu verteufeln, sei schwierig.

Hinzu komme, dass die Entscheidungen nicht vor Ort fallen, sondern in Berlin und Brüssel, im besten Fall vielleicht noch in Potsdam oder Dresden. Das erzeuge „eine Skepsis gegen die da oben, die aus der Ferne in das eigene Leben eingreifen wollen“, erklärt der Sozialwissenschaftler.

These 3: Auch indirekte Projekte sind wichtig beim Strukturwandel

Immer wieder stoßen Projekte auf Argwohn, weil sie auf den ersten Blick nichts mit dem Strukturwandel zu tun haben oder zu weit weg von Tagebauen und Kraftwerken sind, etwa die Sanierung von Turnhallen oder Kitas. Doch dem widerspricht Johannes Staemmler.

Natürlich ersetze die Sanierung einer Turnhalle keine Industriearbeitsplätze. Aber es gebe einen relativ starken Fachkräftemangel in der Lausitz. Die Region brauche demnach Menschen, die im Handwerk, in industriellen Berufen, aber auch in der Landwirtschaft arbeiten. „Und die gucken sofort, wenn sie dahingehen: ,Wie ist die Nahversorgung?' Und da ist die Turnhalle schon wieder mit dabei.“

These 4: Rechtspopulismus behindert den Strukturwandel

Die demografische Situation in den meisten Lausitzer Kommunen ist laut Johannes Staemmler „katastrophal“. Künftig würden nicht nur Arbeitskräfte in der Industrie, sondern auch Kita-Erzieher oder einfach Nachbarn in den Orten fehlen. Zuzügler werden also gebraucht. Aber: „Die Leute, die irgendwo hinziehen wollen, gucken sich das an, wenn dort 30 oder 40 Prozent AfD wählen. Und ich spreche hier nicht davon, dass der verrückteste Berliner oder die abgefahrensten Leute aus New York in die Lausitz ziehen müssen. Das gucken sich auch Rückkehrer an.“

Das sei ein riesengroßes Standortproblem. Denn: „In manchen Kommunen ist der Anteil derer, die das akzeptieren oder zumindest mit den Schultern zucken, schon so groß, dass es ein Teil des lokalen Mainstreams ist.“ Um das zu lösen, gebe es nicht die eine wirkungsvolle Maßnahme. Aber ein gelingender Strukturwandel sei eben auch eine Chance, um Rechtspopulisten zu begegnen, die eine homogene, weiße Gesellschaft wöllten und den Klimawandel infrage stellten.