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Wie die Strukturwandel-Debatte in der Lausitz ankommt

Fünf Gestalter für Ort sprechen über den Strukturwandel-Prozess in der sächsischen Lausitz und die Schwierigkeiten. Sie sagen: "Wir wollen keine Jammerregion sein."

Von Irmela Hennig
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Aufbrechen zu neuen Ufern – das will nicht nur dieser Stand-up-Paddler am Bärwalder See vor der Kulisse des Boxberger Kraftwerks. Auch viele Oberlausitzer hoffen in einer Zeit von Strukturwandel und Kohleausstieg darauf. Geld dafür fließt jetzt. Doch
Aufbrechen zu neuen Ufern – das will nicht nur dieser Stand-up-Paddler am Bärwalder See vor der Kulisse des Boxberger Kraftwerks. Auch viele Oberlausitzer hoffen in einer Zeit von Strukturwandel und Kohleausstieg darauf. Geld dafür fließt jetzt. Doch © Steffen Unger

Kita-Sanierungen statt Gewerbegebiete – das ist nur eine Kritik am Umgang mit den Milliarden für den Kohleausstieg in der Lausitz. Mit dem Geld vom Bund sollen Projekte finanziert werden, die den Strukturwandel positiv befördern. Ein Entscheider von mehreren ist dabei der Regionale Begleitausschuss (RBA). Den beraten Interessengruppen (IG), die man auch Beiräte nennen kann. Einige Mitglieder hatten die Arbeit des RBA zuletzt kritisiert. Die SZ hat mit vier IG-Vertretern und einem ihrer Berater gesprochen. Auch bei ihnen gehen die Meinungen teils auseinander.

An der Arbeit des RBA in der Oberlausitz gibt es Kritik. Manchen scheint er ein „Geheimgremium“ zu sein, in dem Entscheidungen von vornherein feststehen – täuscht der Eindruck?

Hagen Domaschke: Das Gefühl täuscht nicht. Zumindest anfangs wurden wir nur spärlich über Projekte informiert. Es gab nur eine Überschrift, ein paar Zeilen Erklärung und die Projektsumme. Das ist nicht ausreichend, um zu bewerten.

Die Gesprächspartner:

  • Thomas Pilz, Interessengemeinschaft (IG) Gesellschaftliche Netzwerke
  • Ralf Brehmer, Bürgermeister Rietschen, IG Leader-Gebiete
  • Christoph Seele, Oberkirchenrat, Beauftragter der ev. Landeskirchen beim FS Sachsen, IG Soziales
  • Hagen Domaschke, IG Umwelt und Naturschutz
  • Jan Hufenbach, Blendweck Klein Priebus, Berater einiger IG

Ralf Brehmer: Das Problem sind die Rahmenbedingungen für die Interessengruppen, sie haben nur eine beratende Stimme. Wenn wir unsere Meinung sagen, wird das häufig weggewischt. Was dringend geändert werden muss im RBA, ist die Öffentlichkeitsarbeit – es muss klar werden, wie gelangen Projekte in den RBA. Das passiert teils hinter verschlossenen Türen und ist nicht nachvollziehbar, fast 95 Prozent der Projekte werden durchgewunken. Bei der Filterfunktion hakt es. Neben den Landräten ist im RBA aus jedem Kreis je ein Bürgermeister aus der kernbetroffenen Region und der weniger betroffenen Region stimmberechtigt. Da gibt es unterschiedliche Interessen und Interessenskonflikte, das führte dazu, dass sehr viel durchgewunken wurde.

Thomas Pilz: Wir bekommen inzwischen aber etwas mehr Informationen – mindestens sechs Wochen vorher. Es gibt eine Projektbeschreibung, also den Inhalt und das Scoring – das ist die Punktevergabe durch die Sächsische Agentur für Strukturentwicklung (SAS), die Stellungnahmen der begleitenden Ministerien und von der Interministeriellen Arbeitsgruppe, außerdem gibt es mittlerweile Workshops, bei denen die SAS jeden Antrag vorstellt. Als IG sind wir aufgefordert, jedem Antrag nach Prüfung entweder zuzustimmen, ihn abzulehnen oder uns zu enthalten. Eine Ablehnung müssen wir begründen.

Dann hat sich etwas verändert?

Domaschke: Zu Beginn wurden wirklich vollendete Tatsachen geschaffen, wir sind jetzt dabei, Verbesserungen zu bewirken, aber es wurden schon so viele Projekte durchgewunken. Die Workshops sind das Ergebnis unserer konstruktiven Kritik, anfangs haben uns die Entscheider durchaus überfahren.

Christoph Seele: Für alle Beteiligten ist das gegenwärtig ein Lernprozess: Von der Zustimmung der Projekte im Ausschuss bis zum Projektbeginn ist es ein langer Weg. Die Zustimmung bedeutet dabei noch lange nicht, dass diese Projekte schlussendlich auch realisiert werden können. Trotz einer hohen Förderquote sind beispielsweise immer noch Eigenmittel notwendig. Bislang ist es meines Wissens erst eine überschaubare Zahl an Projekten, die einen Fördermittelbescheid erhalten konnte.

Dem langen Weg zum grünen Licht steht Zeitdruck gegenüber. Bis 2038 muss das vom Bund bereitgestellte Geld ausgegeben sein. Da bleibt wenige Raum für Kreatives. Zumindest wirken die Oberlausitzer Vorhaben nicht besonders „cool“. Da ist wenig, was Lust auf Wandel macht?

Jan Hufenbach: Es stimmt, da ist wenig „cool“. Das ist eindeutig dem Prozess geschuldet – Gemeinden, Städte und Landkreise sollten sofort innovative, zukunftsweisende Strukturwandel-Projekte und Vorhaben einreichen können. Das konnte nicht funktionieren. Die Kernaufgabe einer Verwaltung ist es, zu verwalten. Sie hat nicht die Mitarbeiter, um kurzfristig kreative Vorhaben aufzulegen. Deswegen wurden Projekte aus der Schublade geholt, wie Kitaerweiterungen. Das sind aber Dinge, die aus anderen Töpfen finanziert werden müssten, unabhängig vom Strukturwandel. Daran gibt es viel Kritik. Doch das, was die nichtstimmberechtigten Mitglieder der IG dazu sagen, findet kaum Nachhall.

Pilz: Der Strukturwandel ist ein Prozess über mindestens zwei Generationen, für den die nötigen Ressourcen langfristig zur Verfügung stehen müssen.

Welche Ressourcen – Geld?

Pilz: Zum einen Geld. Durch das Strukturstärkungsgesetz müssen die Mittel bis 2038 ausgegeben worden sein. Nach anderthalb bis zwei Jahren Erfahrung im Begleitausschuss, zeigt sich, dass die Zeit nicht reicht, wenn wir die per Gesetz vorgeschriebene Bürgerbeteiligung wirklich umsetzen und die Menschen mitmachen lassen wollen. Denn es braucht Zeit, um mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen. Doch der gesetzlich vorgeschriebene Mittelabfluss lässt diese Zeit nicht und verhindert letztlich die Bürgerbeteiligung. Auch Beteiligung selbst braucht Ressourcen. Beispielhaft ist, dass wir Vertreter in den IG, die als Form der Beteiligung berufen sind, nicht einmal Fahrtkosten oder eine Aufwandsentschädigung bekommen.

Kann man das Ruder jetzt noch rumreißen und mehr Beteiligung und Innovation in den Prozess bringen?

Pilz: Ich denke, die Chance gibt es immer. Wir haben uns zum Thema Mitgestaltung ans Regionalentwicklungsministerium gewandt. Das hat in seiner Antwort auch Defizite eingeräumt. Das Strukturstärkungsgesetz zwingt dazu, den Prozess zu evaluieren, aber erst 2023. Laut dem Ministerium wird das derzeit vorbereitet. Doch die Bewertung der Arbeit muss jetzt beginnen. Und die Ergebnisse daraus müssen berücksichtigt werden. Es geht aber auch darum, wie wir die Menschen vor Ort dazu gewinnen, den Wandel in ihrer Region als Chance und Zukunft zu sehen.

Lohnt ein Blick nach Brandenburg, wo der Prozess anders läuft?

Pilz: Wir sollten tatsächlich nach Brandenburg schauen. Dort gibt es quasi sechs RBA, man hat den Ausschuss in Werkstätten aufgegliedert, ähnlich der Zukunftswerkstatt Lausitz. Diese Werkstätten müssen die Sinnhaftigkeit von Projekten bezüglich des Strukturwandels prüfen und andere davon überzeugen. Das findet bei uns so nicht statt.

Was muss noch passieren?

Pilz: Es ist mehr Transparenz nötig. Wir erwarten, dass wir als IG künftig an Pressekonferenzen nach den Ausschusssitzungen beteiligt sind. Wir fordern, dass die Evaluation wirklich stattfindet und dass das Regionalentwicklungsministerium ein versprochenes Konzept zur Bürgerbeteiligung vorlegt, dass seit einem dreiviertel Jahr bei der entsprechenden Arbeitsgruppe der Ministerien zur Beratung liegt, und dass wir unsere Meinung dazu sagen können. Wir können wie in Brandenburg thematische Werkstätten einrichten, die mit mehr Leuten besetzt sind. Jeder von diesen Leuten hat ein Netzwerk, durch das der Strukturwandel in der Bevölkerung verbreitet wird.

Sie fordern mehr Bürgerbeteiligung – aber wollen die Menschen mitmachen?

Brehmer: Ich denke, wir haben innovative Menschen, das müssen wir bündeln und fördern. Ich gebe denen recht, die diese Beteiligung einfordern. Wir brauchen jetzt eine Analyse der ganzen Situation. Und in der Umsetzung müssen wir dann darauf aufbauen.

Ein Kritikpunkt ist, dass (viel) Geld in Gebiete fließt, die nicht im Kern vom Kohle-Ausstieg betroffen sind. Wie sehen Sie das?

Brehmer: Wir in Rietschen, aber beispielsweise auch Boxberg und Weißwasser sind kernbetroffen. Und zwar mit Blick auf Anlagen wie Tagebaue und Kraftwerke, aber auch auf die Mitarbeiter, die hier wohnen und bei uns ihre Arbeitsplätze verlieren. Die wollen wir hier in der Region kompensieren. Es wird dabei nicht so werden, dass wir in Weißwasser eine Hochschule bekommen, die ist in Zittau und Görlitz und sollte dort gestärkt werden. Anders sieht es aus mit Projekten wie einem Spaßbad in Kamenz oder dem Umzug der Landesuntersuchungsanstalt nach Bischofswerda. Da wäre Hoyerswerda als kernbetroffene Stadt die Option gewesen. Das Ministerium argumentiert, die LUA rücke zumindest an die kernbetroffene Region heran. Die Mitarbeiter werden aber nicht von Dresden nach Bischofswerda umziehen, sondern pendeln.

Pilz: Unabhängig von der Kernbetroffenheit – beim Spaßbad hätte ich auch Zweifel, wenn das in Rietschen stehen würde. Die Frage ist doch, wie viele Menschen stehen dem Arbeitsmarkt in der Oberlausitz mittelfristig noch zur Verfügung. Laut Prognosen fehlen uns in den nächsten 20 Jahren Zehntausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Lausitz. Wie können wir sie ersetzen, wie schaffen wir Zuwanderung? Solche Fragen müssten bei der Projektbewertung beachtet werden und verstärkt Zielrichtung der Strukturwandel-Projekte sein. Denn wer will hier Jobs schaffen, wenn keine Leute da sind?

Domaschke: Durch den Kohleabbau wurden 130 Dörfer, vorwiegend sorbische, abgebaggert. Sorbische Dörfer sind also kernbetroffen. Als Sorbe denke ich, sorbische Sprache und Kultur können als Anker dienen, um Menschen in die Lausitz zu bringen. Darum sollten die Kultur und Sprache gestärkt werden, ebenso regionales Handwerk und regionale Besonderheiten. Anders sieht das aus bei bestimmten wissenschaftlichen Projekten, für die wir hier keine Fachleute haben. Lokale Traditionen und Besonderheiten in den Fokus rücken ist ein Schlüssel – das wird mit den jetzigen Förderinstrumenten zu wenig beachtet.

Es gibt von Landrat Bernd Lange auch die Aussage, neue Jobs sind nicht das vorrangige Ziel der Strukturprojekte...

Hufenbach: Das müsste man tatsächlich überprüfen – beispielsweise bei der Ansiedlung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) in Weißwasser. Die Frage ist, wie viele Mitarbeiter sind deswegen zugezogen oder zurückgekehrt? Man hört eher, dass mittelständischen Unternehmen zunehmend die Fachkräfte fehlen, weil sie zum Bafa wechseln. Bei ähnlichen Projekten könnte es ebensolche Probleme geben. Brandenburg hingegen unterstützt 19 Initiativen, die sich mit Zuzug und Rückkehrern befassen. In Sachsen sieht es da mau aus. Antonia Mertsching, Landtagsabgeordnete er Linken, hat dazu Ende Juni eine Anfrage an die Landesregierung gestellt. .

Gibt es Ansätze, um die Grundprobleme im Strukturwandelprozess wie Zeitmangel und fehlende Bürgereinbindung zu beheben?

Hufenbach: Da passiert schon etwas. Die bisherigen Landräte Bernd Lange und Michael Harig haben zusammen mit dem Leiter der Kreisentwicklung, Holger Freymann, ein Konzept erstellt, um aufzuzeigen, wie man den Strukturwandelprozess neu aufsetzen könnte. Das wurde auch bereits im Ministerium vorgelegt. Der künftige Görlitzer Landrat Stephan Meyer wird das sicherlich weiterverfolgen. Bürgerbeteiligung muss von allen Seiten gelernt werden; sie kann nicht von oben nach unten laufen. Und zur Beteiligung gehört auch, dass Vorschläge nicht ankommen und Projekte scheitern. Die Politik brauchen wir als Ermöglicher. Wir wollen einen Fonds für Bürgerbeteiligung, der finanziell untersetzt ist.

Pilz: Wir müssen beim Prozess umsteuern. Die bisherigen Landräte schlagen eine andere Struktur für den regionalen Rahmen und die Mittelvergabe vor, die Leaderregionen werden da ins Gespräch gebracht, diesen Vorschlag sollte man ergebnisoffen diskutieren. Wir haben auch ein mathematisches Problem, wir alle haben sehr viel zu tun. Und wir sollen in dieser Region innerhalb von 20 Jahren fünf Milliarden Euro ausgeben. Um das hinzubekommen, brauchen wir Beteiligung. Wir müssen so viele Menschen wie möglich dazu bewegen, mitzuhelfen.

Brehmer: Mit dem Strukturwandel wollen wir doch zeigen, dass wir eine Region sind und werden, in der etwas geht. Wir wollen keine Jammerregion sein. Da sind wir uns einig.