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Kranker Wolf streunt in Kubschütz um die Häuser

Videos zeigen, wie sich das Tier auf einem Wohngrundstück aufhält. Bürgermeister und Anwohner fordern ein Einschreiten. So reagiert die Fachstelle Wolf.

Von Uwe Menschner
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Benjamin Schmidt aus Kubschütz zeigt, wo der offenbar kranke Wolf über sein Grundstück lief. Aufzeichnungen einer Überwachungskamera legen nahe, dass er über die Terrasse auf den hinteren Teil des Grundstücks gelangte.
Benjamin Schmidt aus Kubschütz zeigt, wo der offenbar kranke Wolf über sein Grundstück lief. Aufzeichnungen einer Überwachungskamera legen nahe, dass er über die Terrasse auf den hinteren Teil des Grundstücks gelangte. © Archivfoto: Uwe Menschner/Symbolfoto: dpa/Armin Weigel

Kubschütz. Dunkelheit liegt über der gepflasterten Hofeinfahrt. Plötzlich geht das Licht an. Es macht aus einer erhöhten Perspektive ein Auto, ein Kinderfahrrad, einen Roller und ein geöffnetes Tor sichtbar. Die Videoaufnahme zeigt, wie sich zwei leuchtende Punkte nähern, die sich schnell als Augen eines Tieres entpuppen. Zielstrebig und ohne zu zögern durchschreitet es die Einfahrt und nähert sich einem Gefäß, das einem Futternapf für Katzen oder Hunde ähnelt. Das Tier beugt sich über den Napf und beschnuppert dessen Inhalt, muss aber hungrig weiterziehen.

„Es handelt sich um einen Behälter für das Spielzeug unserer Kinder“, erklärt Benjamin Schmidt. Er ist der Eigentümer des Grundstücks, das in jener Nacht in der vergangenen Woche ungebetenen Besuch erhielt. Es befindet sich in Kubschütz, jener Gemeinde, aus der in den vergangenen Wochen immer wieder Meldungen über die Sichtung eines offenkundig kranken Wolfes bekannt wurden.

Wolf sucht auf dem Grundstück offenbar nach Nahrung

Kein Zweifel: Bei dem von der Überwachungskamera auf dem Grundstück von Benjamin Schmidt aufgenommenen Tier handelt es sich um diesen kranken Wolf. Das Tier hinkt, zieht einen von vier Läufen praktisch nur hinter sich her. Auf dem Fell sind kahle Stellen erkennbar, das könnten Anzeichen für Räude sein, die durch Milben in der Haut verursacht wird und zu starkem Juckreiz führt.

„Wir wussten ja, dass sich ein Wolf in der Umgebung herumtreibt. Ihn aber auf dem eigenen Grundstück zu sehen, das war dann schon erschreckend“, sagt Benjamin Schmidt. Zumal es der nächtliche Besucher nicht nur bei einer kurzen Stippvisite beließ. Auf einer weiteren Kameraaufnahme kann man erkennen, wie er zwischen Auto und Hauswand in den rückwärtigen Bereich vordringt. Dort verliert ihn das Aufzeichnungsgerät dann aus dem elektronischen Auge.

„Kurze Zeit vorher sind unsere Kinder ins Haus gekommen“, so Benjamin Schmidt. „Das ist sicher kein natürliches Verhalten mehr, dass der Wolf sich minutenlang auf dem Grundstück aufhält und offenbar nach etwas Fressbarem sucht. Man erkennt auch deutlich, dass er leidet und sich in einem sehr schlechten Zustand befindet.“

Tierschützer protestieren gegen Vorgehen

Meldungen wie diese hat der Kubschützer Bürgermeister Olaf Reichert (parteilos) in den letzten Wochen fast täglich erhalten. „Ursprünglich hat sich der kranke Wolf wohl in Jenkwitz aufgehalten“, erklärt er. Laut der Fachstelle Wolf, die beim Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie angesiedelt ist, hatte das Tier hier mehrmals in einem Strohlager übernachtet, das ihm als „warmer und trockener Rückzugsort“ diente. „Dieses wurde daraufhin mit einem Elektrozaun abgesperrt, um Konflikte zu vermeiden“, hatte die Fachstelle bereits Anfang März verkündet.

Ein Vorgehen, das bei Tierschützern auf Protest stößt: „Wir drücken unser Entsetzen über diese Vorgehensweise aus. Es gibt zur Behandlung von Räude drei wirksame Medikamente, die hier leicht in dem Strohlager als Köder verabreicht werden könnten“, erklärt beispielsweise der Verein Wolfsschutz Deutschland mit Sitz in Duisburg in Nordrhein-Westfalen. „Man muss hier eine Lösung finden“, meint auch der Kubschützer Bürgermeister, ohne dies näher auszuführen.

Bürgermeister: Menschen sind beunruhigt

Nachdem ein paar Tage Ruhe war, hätten sich die Meldungen aus dem Bereich Jenkwitz nun nach Kubschütz verlagert. Auch Olaf Reichert findet es „erschreckend, dass der kranke Wolf jetzt in die Grundstücke hineingeht.“ „Ohne Experte zu sein“, so betont er, „vermute ich, dass er nicht mehr in der Lage ist, sich in der Natur Futter zu besorgen und hofft, in der Nähe des Menschen leichter an etwas Nahrung zu kommen.“ Anhand der vorliegenden Meldungen gebe es keine Anzeichen dafür, dass der Wolf aktiv auf Menschen zugeht, „er rennt aber auch nicht sofort weg.“

Laut der Fachstelle Wolf könnte aufgrund der Erkrankung das „natürliche Fluchtverhalten verzögert sein.“ Die Fachstelle empfiehlt, Wölfe, die nicht dem natürlichen Fluchtinstinkt folgen, „durch lautes Rufen oder Klatschen zu verjagen, nicht aber zu bedrängen oder in die Ecke zu treiben.“ Die Beunruhigung der Menschen in den betroffenen Straßenzügen sei deutlich spürbar, sagt Bürgermeister Olaf Reichert. Benjamin Schmidt bestätigt das: „Allein hier in unserer Straße leben mehr als zehn Kinder. Der derzeitige Zustand ist nicht tragbar.“

Die 2019 erlassene Wolfsmanagement-Verordnung des Freistaates Sachsen sieht die Entnahme, also den Abschuss, unter anderem dann vor, „wenn ein Wolf so schwer verletzt oder erkrankt aufgefunden wird, dass er nach der Einschätzung eines Tierarztes erhebliche Schmerzen erleidet und aus eigener Kraft nicht mehr gesunden wird.“

Gesichteter Wolf ist ein Welpe aus dem Cunewalder Rudel

Karin Bernhardt, Pressesprecherin des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, erklärt dazu: „Die Voraussetzungen für eine Entnahme können nicht aufgrund der bloßen Erkrankung eines Tieres bestimmt werden. Hat die Erkrankung Auswirkungen auf das Verhalten des Tieres, das dem Interesse der Gesundheit des Menschen oder des überwiegend öffentlichen Interesses entgegen steht, sind die Voraussetzungen für eine Entnahme entsprechend der sächsischen Wolfsmanagement-Verordnung zu prüfen.“

Die Fachstelle Wolf stehe dazu im engen Austausch mit der Naturschutzbehörde des Landkreises Bautzen. Weiter erklärt die Sprecherin, dass es sich bei dem kranken Wolf um einen Welpen aus dem Cunewalder Rudel handelt und es seit Anfang März dieses Jahres 25 weitere Meldungen zu ihm gegeben habe. Er sei auch schon bei der Nahrungssuche auf Komposthaufen beobachtet worden, lege aber „kein aggressives Verhalten“ an den Tag und stelle auch keinen Haus- oder Nutztieren nach.