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Ab Januar gibt es Bürgergeld: Ist das der richtige Weg?

2023 wird das viel diskutierte Bürgergeld eingeführt. Eine Sozialarbeiterin und ein Bäckermeister aus dem Landkreis Bautzen sind dazu geteilter Meinung.

Von Antonio Ziesche
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Sozialarbeiterin Manja Döcke und Bäckermeister Roland Ermer haben unterschiedliche Meinungen zum neuen Bürgergeld.
Sozialarbeiterin Manja Döcke und Bäckermeister Roland Ermer haben unterschiedliche Meinungen zum neuen Bürgergeld. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Zum 1. Januar 2023 soll das neue Bürgergeld das bestehende Hartz-IV-System ablösen. Nach langem Hin und Her gab kürzlich auch der Bundesrat grünes Licht für die wohl größte Sozialreform der Bundesregierung.

Die rund 5,4 Millionen Menschen in Deutschland, die bisher Arbeitslosengeld 2, besser bekannt als Hartz IV, beziehen, bekommen im neuen Jahr Bürgergeld. Alleinstehende kriegen rund 50 Euro mehr im Monat. Der Staat übernimmt nach wie vor Miet- und Heizkosten, wenn sie angemessen sind. Im ersten Jahr des Bezugs wird die Verhältnismäßigkeit aber nicht mehr geprüft, man muss sich also erstmal keine Sorgen um das Haus oder die Wohnung machen.

Auch privates Vermögen bis 40.000 Euro bleibt im ersten Jahr unberührt. Die eigenen Ersparnisse muss man also nicht komplett aufbrauchen, bevor man Bürgergeld bekommt. Wer Termine beim Jobcenter verpasst oder einen Job ausschlägt, kann nur noch maximal 30 Prozent des Regelsatzes verlieren. Bei Hartz IV konnten Leistungen sogar komplett gestrichen werden. Wer eine Ausbildung macht, bekommt monatlich 150 Euro dazu. Die Jobcenter müssen die Sozialhilfebezieher auch nicht mehr in den nächstbesten Job vermitteln, wenn eine Weiterbildung zunächst sinnvoller erscheint.

Über das Bürgergeld wird viel diskutiert. Auch Manja Döcke, Sozialarbeiterin beim Caritasverband Oberlausitz, und Roland Ermer, selbstständiger Bäckermeister aus Bernsdorf, haben unterschiedliche Meinungen:

"Auch mit Bürgergeld kann man kein entspanntes Leben führen"

Es war höchste Zeit fürs Bürgergeld, sagt Sozialarbeiterin Manja Döcke. In der Allgemeinen Sozialen Beratung der Caritas in Bautzen unterstützt sie Bedürftige bei der Beantragung des Bürgergeldes.
Es war höchste Zeit fürs Bürgergeld, sagt Sozialarbeiterin Manja Döcke. In der Allgemeinen Sozialen Beratung der Caritas in Bautzen unterstützt sie Bedürftige bei der Beantragung des Bürgergeldes. © SZ/Uwe Soeder

"Die Erhöhung der Regelsätze war dringend notwendig. Durch die gestiegenen Kosten, durch Inflation und Energiekrise kommen viele Sozialhilfeempfänger einfach nicht mehr über den Monat. Doch auch die 50 Euro mehr sind schnell ausgegeben für Energie und Lebensmittel. Auch mit Bürgergeld kann man kein super entspanntes Leben führen, es ist immer noch das Existenzminimum. Wirklich entlasten könnte der Staat, indem er neben Wohn- und Heizkosten auch die Stromkosten übernehmen würde.

Ein guter Schritt ist das Bürgergeld für diejenigen, die sich weiterbilden wollen. Dadurch, dass der Fokus jetzt auf Weiterbildung statt unbedingter Arbeitsvermittlung liegt, ist die Chance viel größer, dass die Leute einen Job finden, in dem sie langfristig bleiben wollen. Im alten System sind viele Menschen von einer Zeitarbeitsfirma zur nächsten gesprungen, weil es nur um die Vermittlung irgendeiner Arbeit ging. Jetzt wird das Jobcenter zum Partner. Es muss die Leute genau da unterstützen, wo sie ihre Ziele haben.

Die Menschen, die ich in meiner Beratung erlebe, sind keineswegs Menschen, die den ganzen Tag in der Hängematte liegen oder nicht arbeiten gehen wollen. Viele sind gesundheitlich eingeschränkt oder verdienen so wenig, dass sie mit Bürgergeld zum Existenzminimum aufstocken müssen. Es geht beispielsweise um Alleinerziehende oder um Pflegende. Man kann sehr schnell in die Bedürftigkeit rutschen.

Die Rechnung Bürgergeld gegen Niedriglohn ist zu kurz gedacht. Fakt ist: Wer arbeiten geht, hat immer mehr. Was lange Arbeitslosigkeit und Armut außerdem mit Menschen macht, ist gut erforscht: Es belastet die Gesundheit und führt zum Beispiel zu psychischen Problemen. Neben Einkommen bedeutet Arbeit ja auch soziale Kontakte, Selbstwertgefühl und das Gefühl, etwas zu schaffen und bewirken zu können. Die Arbeitslosen, die zu mir in die Beratung kommen, suchen auch die Entfaltung und Bestätigung, die Arbeit mit sich bringt. Jeder möchte gerne etwas machen."

"Das Prinzip Fordern kommt beim Bürgergeld zu kurz"

Arbeit muss sich nach wie vor lohnen, sagt Bäckermeister Roland Ermer. Er betreibt eine Bäckerei mit vier Geschäften in Bernsdorf, Hoyerswerda und Lieske.
Arbeit muss sich nach wie vor lohnen, sagt Bäckermeister Roland Ermer. Er betreibt eine Bäckerei mit vier Geschäften in Bernsdorf, Hoyerswerda und Lieske. © SZ/Uwe Soeder

"Das Konzept Bürgergeld berücksichtigt nicht, dass Menschen, die arbeiten gehen, auch mehr davon haben müssen. Meine Angestellten in der Backstube fragen sich, wieso sie jeden Tag um halb zwei aufstehen müssen, wenn es ihnen mit Bürgergeld zu Hause doch nicht viel schlechter gehen würde. Es geht nicht darum, dass man es den Sozialhilfeempfängern nicht gönnt, es geht einfach darum, dass sich Arbeit immer weniger lohnt.

Ich finde es gut, dass Hartz IV mit seinem schrecklichen Ruf erstmal verschwindet. Warum auch immer besteht dagegen eine Abneigung in der ganzen Gesellschaft. Ich habe auch vollstes Verständnis für die Menschen, die nicht arbeiten gehen können. Doch wer nicht selbst etwas zu seinem Lebensunterhalt beiträgt, obwohl er es könnte, hat auch keinen Anspruch auf volle Solidarität. Bedürftige Menschen müssen vernünftig von Sozialleistungen leben können, aber wirklich nur die, die nicht arbeiten gehen können oder nicht in dem Maße, dass sie für sich selbst sorgen können.

Die, die arbeiten gehen, müssen in der Gesellschaft deutlich mehr haben als die, die’s nicht tun. Aktuell ist der Nutzen für die, die’s tun, zu gering. Damit sich Arbeit wieder lohnt, muss man die Steuern und Abgaben reduzieren. Allein schon wegen dem demografischen Wandel kann unser Sozialsystem nicht mehr lange über Lohnabgaben funktionieren. Das ganze System der Sozialabgaben muss reformiert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass mehr Netto vom Brutto rauskommt.

Wir haben rund 2,5 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Jeder Dienstleister, jedes Altersheim, jede Behörde – alle brauchen Leute. Ich glaube nicht, dass von diesen 2,5 Millionen Leuten alle nicht arbeiten gehen können. Das Prinzip Fordern kommt zu kurz. Arbeit ist nicht nur freiwillig, sondern eine gesellschaftliche Pflicht. Diese Pflicht steht beim Bürgergeld zu wenig im Vordergrund. Wir brauchen Leute, die arbeiten - und zwar so schnell wie möglich."