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Elektrifizierung: Warum will die Bahn keinen Strom von Sachsen-Energie?

Politiker in der Oberlausitz setzen für die Elektrifizierung der Bahnstrecke Dresden - Görlitz auf Strom vom kommunalen Versorger. Wissenschaftler erklären, warum das keine gute Idee ist.

Von Tim Ruben Weimer
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So wie hier bei Großenhain könnte in ferner Zukunft auch ein ICE durch die Oberlausitz rollen. Doch dafür braucht es Oberleitungen - und eine verlässliche Stromversorgung.
So wie hier bei Großenhain könnte in ferner Zukunft auch ein ICE durch die Oberlausitz rollen. Doch dafür braucht es Oberleitungen - und eine verlässliche Stromversorgung. © dpa

Bautzen. Der Bund will bis zum Jahr 2024 neu bewerten, ob die Bahnstrecke Dresden - Görlitz elektrifiziert werden soll. Für den Teilabschnitt von Dresden nach Bischofswerda laufen bereits die Planungen im Zuge der höher priorisierten Elektrifizierung der Strecke von Dresden über Arnsdorf und Kamenz nach Hosena. Offen ist derzeit die Frage: Woher sollte eine Oberleitung nach Görlitz den Strom bekommen?

Politiker und Unternehmer aus der Oberlausitz sind sich einig: Den Strom könnte der Versorger Sachsen-Energie liefern. Doch die Bahn weigert sich vehement und will den Strom aus ihrem eigenen Netz beziehen. Warum eigentlich?

Wie sieht der Vorschlag von Sachsen-Energie aus?

Der kommunale Stromversorger Sachsen-Energie schlägt vor, die Bahntrasse an das von der Konzerntochter Sachsen-Netze betriebene Hochspannungsnetz anzubinden. Dafür müsste ein Umrichterwerk in Kubschütz, also zwischen Bautzen und Löbau, gebaut werden, das den Strom von der Standardfrequenz 50 Hertz in die Bahnstrom-Frequenz 16,7 Hertz transformiert. Die benötigte Leitung müsste nur 400 Meter lang sein, weil das vorhandene Hochspannungsnetz in unmittelbarer Nähe zur Bahn verläuft.

"Mit der Umsetzung unserer Lösung wäre innerhalb von drei Jahren zu rechnen", sagt Sachsen-Energie-Chef Frank Brinkmann. "Dazu ist unser Angebot mit geschätzten Investitionskosten von 27 Millionen Euro auch noch deutlich günstiger als die Kalkulierung des Bahn-Angebots von 100 bis 150 Millionen Euro. Ein weiterer Vorteil ist: Wir könnten einen wichtigen Beitrag zum herstellungsnahen Verbrauch der in der Oberlausitz erzeugten erneuerbaren Energie leisten."

Das sogenannte dezentrale Verfahren, bei dem der Strom erst vor Ort in die Bahnstrom-Frequenz umgewandelt wird, sei beim Großteil der elektrifizierten Bahnstrecken in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und auch in Sachsen mit dem Umrichterwerk in Lohsa umgesetzt worden. Weitere Umrichterwerke gibt es in Cottbus und Doberlug-Kirchhain. Perspektivisch könne das Verfahren auch auf der Strecke von Cottbus über Görlitz nach Zittau angewendet werden.

Was sagt die Bahn zum Sachsen-Energie-Angebot?

Die Bahn hat die Möglichkeit der dezentralen Stromversorgung in Betracht gezogen, lehnt sie nun aber ab. Stattdessen will sie ein Unterwerk in Pommritz errichten, also unweit von Kubschütz, wo das von Sachsen-Energie vorgeschlagene Umrichterwerk stehen würde. Ein Unterwerk ist ein Umspannwerk für Bahnstrom, bestehend aus Transformatoren, die den Hochspannungs-Bahnstrom von 110 Kilovolt auf die niedrigere Oberleitungs-Spannung von 15 Kilovolt wandeln. Derlei Unterwerke gibt es bereits in Dresden-Niedersedlitz und Arnsdorf. Die Frequenz müsste nicht mehr umgewandelt werden. Dies sei die "eindeutig bevorzugte Variante", so eine DB-Sprecherin.

Im eigenen Stromnetz der DB Energie sei es unproblematisch, Bremsenergie der Triebfahrzeuge wieder ins Netz zurückzuspeisen. Die zu errichtende, rund 60 Kilometer lange 110kV-Bahn-Energieleitung zwischen den Unterwerken in Arnsdorf und Pommritz sei zudem die Grundlage für das Gesamtkonzept der Deutschen Bahn zur Bahnstromversorgung in der Lausitz. "Die Elektrifizierung von Bahnstrecken ist nicht ausschließlich mit dezentralen Umrichterwerken stabil zu bewerkstelligen", so die DB-Sprecherin.

Was sagen Wissenschaftler zu dem Vorschlag?

Professor Arnd Stephan, der den Lehrstuhl für Elektrische Bahnen an der TU Dresden innehat, sowie sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Nyascha Thomas Wittemann plädieren für den Vorschlag der Deutschen Bahn. "Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass langfristig nahezu immer die zentrale Bahnenergieversorgung mit Bahnstromleitungen wirtschaftlich, technisch und betrieblich günstiger ist", so die Wissenschaftler.

Das von der Sachsen-Energie vorgeschlagene Umrichterwerk habe zwar vergleichsweise geringe Investitionskosten, sei langfristig aber dennoch 20 bis 30 Prozent teurer als der von der DB vorgeschlagene Bau eines Unterwerkes. Das liege daran, dass ein Umrichterwerk alle 25 bis 30 Jahre neu gebaut werden müsse, ein Unterwerk dagegen nur alle 50 bis 70 Jahre.

Zudem habe das Ostsachsen-Netz durch die drei vorhandenen Umrichter in Lohsa, Cottbus und Doberlug-Kirchhain bereits jetzt ein Stabilitätsproblem, so Stephan. Ein an das Landesnetz angeschlossene Umrichterwerk könne nicht die gleiche Leistung erbringen wie ein Unterwerk. Ein Unterwerk in Pommritz könnte ein Ankerpunkt für die Netzstabilität in ganz Ostsachsen sein, sagt Stephan. Ein Umrichterwerk in Kubschütz und perspektivisch auch in Zittau sehe er eher als verstärkendes Element. Die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Umrichterwerks sei durch dessen Komplexität zudem höher als die eines Transformatorenwerkes.

Die DB Energie hänge außerdem bei Verwendung des eigenen Bahnstromnetzes nicht von den Preisen der Sachsen-Energie ab und könne günstig erworbenen Strom etwa auch in Norddeutschland einspeisen. Stephan rechnet damit, dass sich bei einem komplett dezentralen Stromnetz der Strompreis verdoppeln könnte. Dazu würden auch Durchleitungsgebühren beitragen, die die Verkehrsunternehmen an Sachsen-Energie als Betreiber der Leitungen zahlen müssten. Letzten Endes würde sich das auch auf die Preise der Zugtickets auswirken.

Fährt zwischen Dresden und Görlitz künftig der ICE?

Im sogenannten Deutschlandtakt, dem Zielkonzept der Deutschen Bahn, das unter anderem einen Halbstundentakt auf Fernverkehrsstrecken vorsieht, sei die Strecke von Dresden nach Görlitz als ICE- oder IC-Strecke vorgesehen, berichtet Stephan. "Die ganze Infrastruktur wird darauf ausgelegt, dass einmal ein Fernverkehrszug von Nürnberg über Chemnitz und Dresden nach Görlitz und vielleicht weiter nach Breslau fährt." Ohne Oberleitung wäre das nicht möglich - und wohl auch nicht mit dem Vorschlag der Sachsen-Energie, so Stephan. "Im leistungsfähigen Bahnverkehr wird nicht mit Umrichtern gefahren. Dafür sind das viel zu hohe Energiemengen."