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Vorwürfe im Kirchenbrand-Prozess: Welche Verhörmethoden sind erlaubt?

Der Verteidiger des mutmaßlichen Brandstifters von Großröhrsdorf zweifelt an, dass sein Geständnis unter legalen Mitteln zustande kam. Was ein Experte zu den verwendeten Verhörmethoden sagt.

Von Tim Ruben Weimer
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Ist Maik H. für die abgebrannte Großröhrsdorfer Kirche verantwortlich oder nicht? Bei der Polizei gab er die Tat zu, vor Gericht bestreitet er sie. Waren verbotene Verhörmethoden im Spiel?
Ist Maik H. für die abgebrannte Großröhrsdorfer Kirche verantwortlich oder nicht? Bei der Polizei gab er die Tat zu, vor Gericht bestreitet er sie. Waren verbotene Verhörmethoden im Spiel? © dpa

Bautzen. Am Montag, 26. Februar 2024, wird am Bautzener Landgericht der Prozess gegen den mutmaßlichen Brandstifter der Großröhrsdorfer Stadtkirche fortgesetzt. Der Beschuldigte hatte bei einer polizeilichen Vernehmung die Tat gestanden, das Geständnis dann aber wieder zurückgenommen.

Sein Anwalt zweifelt an, dass das Geständnis mit legalen Mitteln zustande gekommen ist. Sein Mandant sei bei der nächtlichen Vernehmung übermüdet gewesen, und die Vernehmer hätten psychische Tricks angewendet – etwa ihm zu verstehen gegeben, der Vernehmer sei sein Freund und wolle ihm helfen.

Was ist bei Vernehmungen eigentlich erlaubt? Sächsische.de hat Günter Schicht, der als freiberuflicher Dozent für Vernehmungskunst unter anderem für die Polizei Berlin-Brandenburg tätig ist, gefragt.

Eine Raucherpause, private Gespräche mit dem Täter am Fenster mit Blick auf die Stadt, Befragungen bis tief in die Nacht hinein – die Vernehmung des mutmaßlichen Brandstifters Maik H. hört sich an wie aus einem Krimi. Verlaufen Verhöre oft so ab?

Das hängt auch von der Schwere der Straftat ab. Zu schweren Straftaten werden die Vernehmungen gründlicher durchgeführt, bei einfachen Delikten kann es formaler und kürzer werden. Der Beschuldigte wird am Anfang der Vernehmung darüber belehrt, dass er das Recht hat, die Aussage zu verweigern.

Welche Konsequenzen kann es haben, wenn er seine Aussage verweigert?

Keine. Er macht von seinem Recht Gebrauch. Damit ist die Vernehmung beendet, und die Verweigerung darf nicht zu seinen Lasten ausgelegt werden. Er ist nur zu Angaben zu seiner Person verpflichtet, also Name, Anschrift, Geburtsdatum. Andererseits verzichtet er darauf, frühzeitig seine Sicht auf die Dinge einzubringen und Entlastendes vorzubringen.

Was ist das Ziel einer Beschuldigten-Vernehmung?

Das Ziel jeder Vernehmung ist, dass die beschuldigte Person wahrheitsgemäße Informationen zum Sachverhalt preisgibt. Es ist nicht das Ziel, ein Geständnis herbeizuführen. Der Vernehmer muss be- und entlastend ermitteln. Ein guter Ermittler prüft verschiedene Hypothesen, und dass die Person, die vor ihm sitzt, der Täter ist, ist nur eine von mehreren.

Günter Schicht ist freiberuflicher Familien-, Paar- und Teamberater sowie Diplom-Kriminalist. Er beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit polizeilichen Vernehmungsmethoden.
Günter Schicht ist freiberuflicher Familien-, Paar- und Teamberater sowie Diplom-Kriminalist. Er beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit polizeilichen Vernehmungsmethoden. © privat

Wieviel Bauchgefühl spielt dabei eine Rolle?

Intuition spielt für die gesamte Ermittlungsarbeit eine Rolle. Man sollte sie aber nicht überbetonen, denn im Mittelpunkt stehen die erwiesenen Fakten, materiellen Beweise und gesicherten Aussagen. Wenn der Vernehmer sagt: „Ich habe das Gefühl, Sie lügen mich an!“ muss das gar kein Ausdruck von Bauchgefühl, sondern kann auch eine rhetorische Form sein. Er sollte allerdings wirklich Anhaltspunkte dafür sehen, dass die Aussage des Beschuldigten nicht richtig ist.

Welche Mittel haben Polizisten, um die Wahrheit aus einem Beschuldigten herauszulocken?

Das international favorisierte Vernehmungsmodell ist das Peace-Modell aus Großbritannien. Im Mittelpunkt steht dabei der Aufbau einer Beziehung zwischen Vernehmer und zu vernehmender Person. Durch einen vertrauensvollen Umgang, durch Eingehen auf die Person, durch systematischen und psychologisch fundierten Beziehungsaufbau wird die Person dazu gebracht, zu kooperieren und von sich aus die relevanten Informationen preiszugeben.

Darf sich der Vernehmer dabei gegenüber dem Beschuldigten auch wie ein Freund verhalten?

Der Vernehmer muss ein gütiges Herz und als Mensch ein tiefes Verständnis für das Menschliche haben und dies in der Art, wie er dem Beschuldigten entgegentritt, auch erkennen lassen. Das schrieb der Jurist Albert Hellwig 1928. Empathisch zu sein und die Situation des Beschuldigten verstehen zu wollen, ist auf jeden Fall der richtige Weg. Der Begriff „Freund“ erscheint mir aber unangebracht, es gab in der Vergangenheit dazu auch ein negatives Beispiel. Der Bundesgerichtshof hält dies jedoch nicht für eine verbotene Vernehmungsmethode.

Welches Negativbeispiel meinen Sie?

Der geistig behinderte junge Mann Ulvi Kulaç aus Lichtenberg in Franken geriet 2001 in Verdacht, das Mädchen Peggy Knobloch umgebracht zu haben. Er war auf dem kognitiven Level eines Zwölfjährigen und kannte den Vernehmungspolizisten aus seinem Ort. Er hat quasi „für seinen Freund“, den Polizisten, ein Geständnis abgelegt. Das war sehr fragwürdig, auch weil es keine Zeugen und keine Tonaufzeichnung gab und der Inhalt des Geständnisses mutmaßlich von dem Polizisten suggeriert war. In einem Wiederaufnahmeverfahren ist Kulaç dann später freigesprochen worden.

Wie häufig kommt es vor, dass Beschuldigte ein Geständnis ablegen, dieses aber widerrufen?

Es kommt häufiger vor. Das hat oft mit der Intervention von Anwälten zu tun: Strafverteidiger raten ihrem Mandanten im Regelfall, vor der Akteneinsicht bei der Polizei keine Aussagen zu tätigen. Falls er das bereits getan hat, rät der Anwalt häufig, künftig nicht weiter auszusagen. Er darf seinem Mandanten jedoch nicht raten, eine Falschaussage zu tätigen.

Was passiert, wenn der Beschuldigte nicht gesteht, aber der Tatverdacht bleibt?

Dann können Taktiken angewendet werden, die die Strafprozessordnung „kriminalistische List“ nennt. Beispielsweise indem Beweise vorgehalten oder Dinge im Vagen gehalten werden. Auch dass eine Vernehmerin im Kirchenbrand-Prozess an das christliche Ehrgefühl des Beschuldigten appelliert haben soll, ist eine legitime Vernehmungsmethode.

Psychischer Druck ist also nicht verboten?

Nein. Es gibt die Variante der Quälerei, also schwerster psychischer Druck, die verboten ist. Etwa, wenn man einen Mordverdächtigen mit der Leiche konfrontiert. Die exakte Grenze zu ziehen, ist aber ziemlich schwierig. Es gab den Fall Magnus Gäfgen, der im Jahr 2002 den elfjährigen Bankierssohn Jakob von Metzler entführt hatte. Der Vernehmer sollte Gäfgen androhen, dass ein Kampfsporttrainer ihm Schmerzen zufügen werde. Das ist eine verbotene Drohung und gleichzeitig auch Quälerei, die mit der Menschenwürde im Grundgesetz nicht vereinbar ist.

Ermüdung ist laut Strafprozessordnung ein Grund, eine Vernehmung abzubrechen. Ab wann gilt jemand als ermüdet?

Eine Vernehmung kann sich durchaus über Stunden ziehen, der Gesetzgeber hat keine Höchstdauer festgelegt. Solange jemand seinen Willen frei betätigen kann, wird er als vernehmungsfähig angesehen. Laut Bundesgerichtshof liegt die Grenze bei 30 Stunden Wachsein. Die Verteidiger nehmen oft die angebliche Ermüdung ihres Mandanten her, um seine getätigte Aussage nicht verwertbar zu machen. Sie scheitern aber regelmäßig damit, weil die Messlatte recht hoch gesetzt ist.

Ist es erlaubt, außerhalb des Protokolls die Vernehmung informell weiterzuführen?

Jedes Gespräch, dass ein Polizeibeamter mit einem Beschuldigten führt, ist Vernehmung – egal worüber. Auch ein Pausengespräch ist Vernehmung. Pausengespräche gibt es relativ häufig, weil ein Ortswechsel unser Denken beeinflusst. Für den Beschuldigten muss aber erkenntlich sein, dass sich ein Polizeibeamter mit ihm unterhält. Wichtige Inhalte dieses Gesprächs müssen danach in der Tonaufzeichnung oder im Protokoll thematisiert werden. Es gibt in der Vernehmung nichts, was außerhalb des Protokolls abläuft.

Sollte ich als Unschuldiger tatsächlich einmal in eine polizeiliche Vernehmung geraten – wie verhalte ich mich am schlausten?

Einfach die Wahrheit sagen. Es besteht natürlich immer das Risiko, dass man mir nicht glaubt. Wenn sich die Polizei an die Gesetze hält, muss ich aber keine Angst haben, zu Aussagen gezwungen zu werden, die ich nicht tätigen will. Ich habe als Beschuldigter das Recht, gar nichts zu sagen und mir einen Anwalt zu nehmen. In einer Studie von mir waren circa 90 Prozent der Vernehmungen korrekt abgelaufen. In wenigen Fällen hatten die Vernehmer den Beschuldigten getäuscht. Der Klassiker ist: „Dein Kumpel hat auch schon gestanden.“ Wenn das nicht stimmt, ist es eine Täuschung und damit eine verbotene Vernehmungsmethode.

Auch die Polizisten müssen sich in einer Vernehmung also an die Wahrheit halten.

Absolut. Sie müssen dem Beschuldigten aber nicht alles preisgeben.

Verbotene Vernehmungsmethoden - das sagt das Gesetz:

  • Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht beeinträchtigt werden durch:
    • Misshandlung
    • Ermüdung
    • körperlichen Eingriff
    • Verabreichung von Mitteln
    • Quälerei
    • Täuschung
    • Hypnose.

    Diese Verbote gelten ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Beschuldigten. Aussagen, die unter Verletzung dieser Verbote zustande gekommen sind, dürfen auch dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt.