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Pogromgedenken in Bautzen: Warnung vor neuem Antisemitismus

In Bautzen und Bischofswerda wurde am 9. November an die Ereignisse vor 85 Jahren erinnert - und auch die aktuelle Lage nicht ausgespart.

Von Miriam Schönbach
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Auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Bautzen fand am 9. November 2023 ein Gedenken an die Reichsprogromnacht vor 85 Jahren statt.
Auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Bautzen fand am 9. November 2023 ein Gedenken an die Reichsprogromnacht vor 85 Jahren statt. © Steffen Unger

Bautzen/Bischofswerda. „Ewig mahnen den Toten.“ In Großbuchstaben steht der Aufruf im Stein auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Bautzen. An diesen Ort der Erinnerung haben am 9. November 2023 das Bildungsgut Schmochtitz St. Benno und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten Sachsen (VVN-BdA) zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich der Pogromnacht vor 85 Jahren eingeladen. „Dieses Datum war ein Einschnitt in der deutschen Geschichte. Es war der Anfang der Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens“, sagt Ingrid Heyser von der VVN-BdA Regionalgruppe Oberlausitz zu den 40 Gästen.

Die Bautzenerin gehört zu jenen, die sich intensiv mit der Geschichte jüdischen Lebens auseinander- und sich unter anderem für das Stolperstein-Projekt eingesetzt haben. „Mittlerweile haben wir 39 Steine verlegt. Im nächsten Jahr wird es mit einer 9. Klasse der Daimler-Schule ein weiteres Forschungsprojekt geben. Mithilfe des Museums Bautzen wollen wir den 40. Stein verlegen“, sagt Ingrid Heyer. Die Beton-Messing-Quader erinnern an Menschen, die im Nationalsozialismus verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Auch Patenschaften über die Stolpersteine sollen neu belebt werden, sodass sich Schulen wieder um die kleinen Denkmale im Stadtpflaster kümmern.

"Gesellschaft darf brennende Israel-Fahnen nicht dulden"

Bautzens Finanzbürgermeister Robert Böhmer (parteilos) betont, das zum Wunsch „Nie wieder“ auch die selbstkritische Frage gehöre, wie ein solches Pogrom mit seinen Folgen entstehen konnte. Am Anfang hätten nach der Machtergreifung Hitlers Ausgrenzung, kleine gesetzliche Maßnahmen, Bücherverbrennung gestanden, die im Holocaust gipfelten. „Deshalb müssen wir wachsam sein“, sagt er – und nimmt Bezug zur aktuellen Politik. Die Gesellschaft dürfe nicht dulden, dass Israel-Fahnen brennen und jüdische Symbole vernichtet werden wie wieder in unserem Land. „Wir alle haben den Auftrag, uns zu fragen: Wie entsteht das Böse? Wie kann ich Mitmenschen helfen, wenn sie in Not sind?“

Knapp 50 Bautzener waren auf Einladung des Superintendenten i.R., Reinhard Pappai, zum Pogromgedenken zur Töpferstraße 35 gekommen.
Knapp 50 Bautzener waren auf Einladung des Superintendenten i.R., Reinhard Pappai, zum Pogromgedenken zur Töpferstraße 35 gekommen. © Steffen Unger

Auf dem Alten Jüdischen Friedhof findet sich auch der Grabstein für Elise Sussmann. An deren letzten Wohnhaus in der Töpferstraße 35 in Bautzen treffen sich am Abend auf Einladung des Superintendenten i.R., Reinhard Pappai, gut 50 Bautzener zu einem weiteren Pogromgedenken. Auf dem Gelände des heutigen Wohnquartiers für betreutes Wohnen befand sich 1938 der Betsaal der kleinen jüdischen Gemeinde im Wohn- und Geschäftshaus des jüdischen Altwarenhändlers Sussmann.

Gedenktafel sollte an jüdisches Leben erinnern

Am 10. November vor 85 Jahren wurden jüdische Mitbürger sieben Stunden lang durch die Stadt getrieben, bespuckt und beschimpft, ihre Wohnungen und Geschäfte zerstört, dieser Gebetsraum hier geplündert“, sagt Reinhard Pappai. Bücher und andere Gegenstände der Gemeinde seien zerstört worden, darunter der Judenstern. Ein Bautzener Bürger habe diesen Stern gerettet.

Heute ist dieses Relikt jüdischen Lebens an der Spree im Museum Bautzen zu sehen. Vom jüdischen Betsaal sei nach dem Abriss des ehemaligen Lausitzer Druckhauses für den Neubau nichts geblieben, einzig der Stolperstein für Elise Sussmann erinnere an die ehemalige Eigentümerin. „Ich finde, hier sollte eine Gedenktafel angebracht werden, damit das jüdische Leben nicht in Vergessenheit gerät“, sagt Reinhard Pappai. Zugleich warnt er vor dem neuen aufkommenden Antisemitismus.

Auch Pfarrer Joachim Rasch von der Christuskirchgemeinde Bischofswerda zeigt sich entsetzt, „dass heute wieder Jüdinnen und Juden beschimpft, verleumdet, bedroht und angegriffen werden – auch in unserem Land“. In der Kreuzkirche in Bischofswerda wurde am 9. November wie auch im Kloster der Klarissen in Bautzen der Opfer der Novemberpogrome gedacht. Der Terror vor 85 Jahren stellte einen Wendepunkt in der nationalsozialistischen Judenverfolgung dar: Aus einer Politik der systematischen Diskriminierung wurde eine Politik der Vernichtung mit sechs Millionen ermordeten Juden.