SZ + Bautzen
Merken

Wie Rechtsextremisten im Landkreis Bautzen agieren

Im Kreis Bautzen ist die rechte Szene auffällig präsent - durch Schmierereien, Kleidung, Musik und bei Versammlungen. So schätzen Experten die Lage ein.

Von David Berndt
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Vor wenigen Wochen haben Unbekannte die Parole „Nazikiez“ an der Sporthalle im Allende-Viertel in Bautzen hinterlassen.
Vor wenigen Wochen haben Unbekannte die Parole „Nazikiez“ an der Sporthalle im Allende-Viertel in Bautzen hinterlassen. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Seit Wochen gibt es im Landkreis Bautzen immer wieder Vorfälle, nach denen der Staatsschutz wegen verfassungsfeindlichen Parolen und Symbolen ermittelt. Dazu kommt die Präsenz von Rechtsextremisten bei Versammlungen gegen die Corona-Maßnahmen oder die Energiepolitik der Bundesregierung. Sächsische.de analysiert, wie und wo die Szene auftritt und welche Gefahr davon ausgeht.

Wodurch wird die rechte Szene im Kreis Bautzen sichtbar?

Jüngst haben Unbekannte etwa zwei Hakenkreuze sowie den Schriftzug „Scheiß Juden, verpisst Euch!“ in gelber Farbe an einem Spielplatz im Bautzener Stadtteil Gesundbrunnen hinterlassen. Nun ermittelt der Staatsschutz. Ebenfalls Hakenkreuze hinterließen Unbekannte hier erst im Juni an der neuen Skateranlage.

In einem weiteren Fall wurde ebenfalls in Gesundbrunnen ein Schaukasten zugeklebt. Auf den verfassungsfeindlichen Stickern standen Botschaften wie „Nazikiez“, „Heimatliebe ist kein Verbrechen“ oder „White Lives Matter“, also „Weiße Leben zählen“. Mitte September wurde das ehemalige Kino in Bischofswerda beschmiert, bei den Symbolen könnte es sich um Keltenkreuze handeln, die in der rechten Szene verwendet werden. Verfassungsfeindliche Sticker mit Hakenkreuzen wurden Ende September auch in Königsbrück entdeckt.

Dass die rechte Szene öffentlich wieder sichtbarer ist, bestätigt Maxi Hoke. Sie gehört zum mobilen Beratungsteam Ost des Kulturbüros Sachsen für die Landkreise Bautzen und Görlitz. „Straftaten, wie das Sprühen von Hakenkreuzen, werden bewusst begangen in der Annahme: Es passiert sowieso nichts. Wer das macht, muss schon selbstsicher sein“, sagt sie.

Bei welchen Versammlungen sind Rechtsextremisten aktiv?

Laut Verfassungsschutz ist die rechtsextremistische Szene im Kreis Bautzen durch ein „erhöhtes Aktionsniveau“ an den aktuellen Protesten gegen die Corona-Maßnahmen und die Energiepolitik beteiligt. „Insbesondere die Partei Freie Sachsen tritt am Rande von nicht-extremistischen Demonstrationen auf und zeigt dort Präsenz.“

Zum Beispiel mit Infoständen wie am vergangenen Montag, als Bautzens OB Karsten Vogt (CDU) auf dem Kornmarkt sprach. Auch an den wöchentlich stattfindenden „Stillen Protesten an der B96“ nehmen Personen aus der rechtsextremistischen Szene teil.

Auf Social-Media-Kanälen mit der Bezeichnung „Balaclava Graphics“ wird im Landkreis Bautzen sowohl für Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene als auch für die Beteiligung am Protestgeschehen geworben und darüber berichtet. Sticker wie die an der Schautafel in Gesundbrunnen werden zum Beispiel durch „Balaclava Graphics“ vertrieben. Dabei handelt es sich laut sächsischem Verfassungsschutzbericht 2021 um die Plattform eines Rechtsextremisten aus dem Raum Bautzen.

Neben Stickern vertreibt die Plattform auch szenetypische Kleidung und Banner. Anfang Oktober etwa trugen junge Männer in der ersten Reihe des Versammlungszuges in Bautzen ein Banner, auf dem neben dem Schlagwort „Wutwinter“ stand: „Den Krieg gegen Euer Volk werdet Ihr verlieren!“

Wie ist die rechte Szene im Kreis Bautzen einzuordnen?

Laut Maxi Hoke bildet Bautzen den Schwerpunkt der rechten Szene im Landkreis. Das bestätigt Sprecher Christian Schäfer vom „Trägerverbunt“, einem Netzwerk für Demokratie und Vielfalt im Landkreis Bautzen. Veranstaltungen wie Lesungen und Konzerte würden aber im gesamten Landkreis stattfinden.

Dazu kämen fast kreisweit „Vorfälle an Schulen, das Erscheinen von verfassungswidrigen Zeichen und demokratiefeindliche Äußerungen. Zum Beispiel sind uns mehrere Schulen bekannt, an denen Klassen im internen Chat Hakenkreuze als Symbolbild nutzen“, sagt Schäfer.

Wie schätzt der Verfassungsschutz die rechte Szene im Kreis Bautzen ein?

Der sächsische Verfassungsschutz rechnete 2021 im Landkreis Bautzen zwischen 300 und 350 Personen zur rechtsextremistischen Szene. „Das Personenpotenzial lag damit im sachsenweiten Vergleich im oberen Bereich“, teilt eine Sprecherin des Landesamtes für Verfassungsschutz mit. Im Kreis Bautzen gebe es etwa einen Kreisverband der NPD sowie Ortsgruppen der Identitären Bewegung. Deren Anhänger agieren allerdings auch sachsen- und bundesweit.

Dazu kämen „Strukturen der neonationalsozialistischen und subkulturellen Szene. Die Musikszene ist im Landkreis mit dem rechtsextremistischen Musiklabel NDS-Records aus dem Bautzener Oberland aktiv.“ NDS steht für „Neuer Deutscher Standard“. Dessen Mitglieder waren 2020 mit dem Rechtsrapper Chris Ares in die Oberlausitz gekommen und wollten hier unter anderem einen Jugendtreff gründen. Dazu zählt auch Kai Naggert alias „Prototyp“. Während Ares die Region im Spätsommer 2020 wieder verlassen hat, ist Kai Naggert geblieben. Weitere aktuelle NDS-Akteure sind laut Verfassungsschutz „Kavalier“ und „Runa“.

Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen in Bautzen am 20. September 2021 trat Kai Naggert (ganz rechts) als Ordner in Erscheinung.
Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen in Bautzen am 20. September 2021 trat Kai Naggert (ganz rechts) als Ordner in Erscheinung. © Archiv: SZ/Uwe Soeder

„Sie traten neben der Herausgabe von Tonträgern und dem Vertrieb von Merchandise-Artikeln im Zusammenhang mit der Produktion von Musikvideos in der Region in Erscheinung.“ Zudem hat NDS vor Kurzem zwei kleinere Veranstaltungen durchgeführt: eine Grillparty am 3. September am Sitz des Labels in Weifa sowie eine Party mit Live-Musik am 17. September in Neukirch/Lausitz.

Naggert war 2021 mindestens einmal als Ordner beim Corona-Protest auf dem Bautzener Kornmarkt im Einsatz. Organisiert werden diese Versammlungen, auf denen insbesondere auch Verschwörungserzählungen verbreitet werden, von der „Mahnwache Bautzen“. Runa ist dort bereits mehrfach aufgetreten.

Welche Gefahr geht von der rechten Szene im Kreis aus?

Das Problem ist laut Maxi Hoke, dass etliche Aktivitäten der rechten Szene scheinbar normal geworden sind, etwa die Schmierereien. Das NDS-Konzert in Neukirch ist für sie aus anderem Grund gefährlich. „Immobiliennutzung bedeutet immer eine Festigung von Strukturen vor Ort, um Veranstaltungen durchzuführen und sich zu vernetzen.“ Das seien „Raumgreifungsstrategien“, mit denen die rechte Szene zeige, dass sie vor Ort ist und sogar Einfluss auf die jeweilige Kommune nehmen könne. Der Betreiber sagt, ihm sei nicht klar gewesen, an wen er da vermietet habe. Er sei politisch „neutral“, sagt er gegenüber Sächsische.de.

Vertreter des „Trägerverbunts“ beobachten, dass Akteure wie „Balaclava Graphics“ oder „NDS“ rechtsaffine Jugendliche durch Sticker oder Kleidung ködern. „So sehen wir immer mehr menschenfeindliche Aufkleber wie von dem rechtsextremen Onlineversand Druck18. Im nächsten Schritt kaufen die Jugendlichen sich dann die Artikel. Hass ist auch Business“, sagt Sprecher Christian Schäfer.

Gerade online schafft es die Szene, neues Publikum zu gewinnen, so wie die NDS-Akteure in den sozialen Netzwerken. Mit Bonusaktionen bei Bestellungen, Veranstaltungen oder der Beteiligung bei Videodrehs bauen sie sich etwa eine langsam, aber stetig wachsende junge Zielgruppe auf.

Was kann die Gesellschaft tun?

Wer entsprechende Schmierereien oder Sticker sieht, sollte diese der Polizei melden, rät Maxi Hoke. „Wichtig ist, dass sowas angezeigt wird, damit es auftaucht und beseitigt werden kann.“ Wer das anonym tun will, kann sich etwa an die Beratungsteams der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie wenden oder das online-Meldeportal „Lautsprecher“ des Trägerverbunts nutzen, das nicht nur für Betroffene rechter Gewalt, sondern auch zum Melden von Diskriminierungen, Drohungen oder Mobbing im Internet zur Verfügung steht.

Neben dem „Trägerverbunt“ und dem Kulturbüro gibt es weitere Initiativen vor Ort, die selbst aktiv einzelne Personen unterstützen können oder Aktivitäten der rechten Szene dokumentieren, sagt Maxi Hoke. Das Festival Bouncen in Bautzen sei so ein positives Beispiel oder die Initiative Hoyerswerda-1991.de. Die Zivilgesellschaft müsse aber noch stärker werden.

Die Bildunterschrift des ersten Bildes wurde geändert und der Satz "Eins von vielen aktuellen Beispielen, wie die rechte Szene derzeit ihre Botschaften im Kreis Bautzen verbreitet", entfernt, da die Täter bislang nicht identifiziert sind.