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Geflüchtete in Bautzen: "Vielleicht schaffen wir es sogar, für Deutschland zu spielen"

In Bautzen trifft sich eine Gruppe Geflüchteter jedes Wochenende zum Cricketspielen. Die Männer haben ein großes Ziel. Aber es geht nicht nur um sportlichen Erfolg.

Von Johannes Frese
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Ahmad Irshi unterstützt seine Mitspieler auch abseits des Cricket-Felds.
Ahmad Irshi unterstützt seine Mitspieler auch abseits des Cricket-Felds. © Steffen Unger

Bautzen. Mit einem satten Knall fliegt der kleine weiße Ball durch den blauen Nachmittagshimmel, bis hinter die am Rand des Spielfelds geparkten Autos. Zwei Familien mit Kindern auf Bobby-Cars schauen zu, wie einer der Spieler versucht, ihn vor dem Aufprall zu fangen. Das Spielfeld ist eine große Wiese im Bautzener Stadtteil Gesundbrunnen, ein grüner Fleck zwischen grauen, senffarbenen und rosa Wohnblöcken; der Ball ein mit weißem Klebeband umwickelter Tennisball.

Die Spieler, sieben junge Männer aus Afghanistan und Pakistan, treffen sich jedes Wochenende zum Cricket-Training. In ihren Jeans und Pullovern wirken sie auf der Grünfläche wie Freizeitkicker, aber hinter der lockeren Erscheinung stecken ehrgeizige Ziele.

Die Geschichte des Cricket in Deutschland ist schnell erzählt: Nach Gründung des Deutschen Cricket-Bundes im Jahr 1912 fristete die Sportart nach den Weltkriegen ein Schattendasein. Seit 1990 spielen 12 Mannschaften in der Cricket-Bundesliga um die Deutsche Meisterschaft, in diese Zeit fallen auch die ersten Spiele der Deutschen Cricket-Nationalmannschaft.

Das Spiel – dessen bekannterer Ableger Baseball ist – funktioniert so: Der Werfer der einen Mannschaft versucht, das sogenannte Wicket, eine filigrane Holzkonstruktion, mit dem Ball umzuwerfen. Der Schlagmann der gegnerischen Mannschaft schützt das Wicket, indem er den Ball so weit wie möglich, bestenfalls über den Spielfeldrand hinaus, schlägt. Gewinner ist die Mannschaft, der am meisten erfolgreiche Schläge gelingen.

Aus der Beschäftigung wurde sportlicher Erfolg

Ahmad Irshi ist der Trainer der kleinen Gruppe auf der Wiese. Er weiß, wie man eine erfolgreiche Cricket-Mannschaft formt. In seiner Heimat Pakistan war er Kapitän aller Teams, in denen er je spielte. Dort hat Cricket mindestens die Bedeutung wie Fußball hierzulande. Irshi, 37 Jahre alt, das schwarze Haar zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden, lebt seit 2015 in Deutschland. Er floh aus Pakistan und landete in einer Flüchtlingsunterkunft in Bautzen. Schnell wurde ihm klar, dass Cricket ein wirksames Mittel gegen das Warten und Gedankenkreisen in den Sammelunterkünften wäre.

Kurz nach seiner Ankunft begann er deshalb, ein Team zusammenzustellen. Er lud andere Geflüchtete zum Training ein. Schläger, Bälle und Beinschutz besorgte er selbst. Aus der Beschäftigungsmaßnahme wurde eine sportliche Erfolgsgeschichte. Bald trainierten sie auf dem Spielfeld des MSV Bautzen, schafften es 2017 in die Cricket-Regionalliga und erreichten den zweiten Platz.

Einer, der diesen Erfolg miterlebt hat, ist Shapour Ahmadzai. Mit leicht gebeugten Knien, den Griff seines Schlägers fest in beiden Händen, steht er auf einem asphaltierten Stück Weg, das mitten auf der Wiese endet. Als Kind in Afghanistan träumte er davon, professioneller Cricketspieler zu werden. Stattdessen kam er 2015 mit 15 Jahren allein nach Deutschland.

Shapour, 24, aus Afghanistan, floh 2015 nach Deutschland. Er spielte bereits 2017 in dem Team, dass es in die Regionalliga schaffte.
Shapour, 24, aus Afghanistan, floh 2015 nach Deutschland. Er spielte bereits 2017 in dem Team, dass es in die Regionalliga schaffte. © Johannes Frese

Cricket ist in Afghanistan nicht viel älter als Ahmadzai, erst Mitte der 1990er-Jahre brachten afghanische Flüchtlinge die Sportart aus Pakistan mit in ihre Heimat. Seitdem ist sie auch dort äußerst populär, selbst die Taliban unterstützen inzwischen ihre Verbreitung. Wenn er über Cricket spricht, legt Ahmadzai Nachdruck auf jedes Wort: „Cricket ist für uns Afghanen das Einzige, was uns glücklich macht.“ Umso schwerer sei es ihm gefallen, das Cricketspielen 2018 wieder aufzugeben.

Nach der ersten Saison zerfiel die Mannschaft

Denn kaum ein Jahr nach der erfolgreichen ersten Saison in der Regionalliga zerfiel die Mannschaft – einige der Männer wurden abgeschoben, andere begannen eine Ausbildung und hatten keine Zeit mehr für regelmäßiges Training. Shapour Ahmadzai arbeitet nach einer Ausbildung zum Restaurantfachmann inzwischen in einem Schullandheim in Neukirch, als "Mädchen für alles“, wie er mit einem Lächeln sagt. Er ist angekommen in Deutschland. Doch in den Unterkünften sitzen Menschen, die diesen Weg noch vor sich haben. Und so haben sie – nach sieben Jahren Pause – wieder angefangen, Cricket zu spielen.

Die Sonne versinkt langsam hinter den Wohnblöcken, und immer noch fliegt der Ball über die Wiese. Richtige Cricket-Spiele können bis zu acht Stunden dauern. Omran ist von der Arbeit dazugekommen, er macht gerade eine Ausbildung zum Verkäufer bei Edeka. Doch eigentlich will er Journalist werden. „Du kannst gut kommunizieren, sei doch erstmal der Pressesprecher unseres Teams“, rät Ahmad Irshi ihm. Er kümmert sich auch abseits des Spielfelds um die jungen Männer. Zwei hat er vor Kurzem zur Ausbildung nach Dresden geschickt.

"Wir wollen es irgendwann in die Bundesliga schaffen"

Menschen unterstützen, die ihre Heimat verlassen und ganz von vorne anfangen müssen so wie er – darum geht es Irshi in erster Linie. Er sagt: „Ich bin nicht nur Cricket-Trainer, sondern auch ein Trainer für den Kopf.“

Die Wiese ist eine Zwischenlösung, bis sie einen Verein gefunden haben, der sie als Mannschaft aufnimmt. Oft bleibt der Ball in einer Gruppe kahler Bäume hängen und fällt knackend durchs Geäst nach unten. Doch Irshi ist sich sicher: „Gib mir sechs Monate, dann sind wir wieder in der Regionalliga."

Einige der Männer, die sich jedes Wochenende zum Cricket-Training im Bautzener Wohngebiet Gesundbrunnen treffen.
Einige der Männer, die sich jedes Wochenende zum Cricket-Training im Bautzener Wohngebiet Gesundbrunnen treffen. © Johannes Frese

Nach dem Training sitzen die Männer zusammen in einer Shisha-Bar. Auf einem Fernseher läuft Fußball, Bayern München gegen RB Leipzig. Zwei der Jungs, die Irshi 2017 trainiert hat, haben den Sprung in die Cricket-Bundesliga geschafft und verdienen ihr Geld mit dem Sport. Auch Shapour Ahmadzai hat seinen Kindheitstraum noch nicht ganz aufgegeben. „Wir sind noch nicht zu alt, wir wollen es irgendwann in die Bundesliga schaffen. Und vielleicht sogar für Deutschland spielen.“