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Ein Netz für die Bildung

Noch zu oft entscheidet die akademische Vorbildung der Eltern über den Schulerfolg der Kinder. Bildungsgerechtigkeit sieht anders aus. Wie die besser umgesetzt werden kann, wird auch in Sachsen erforscht.

Von Annett Kschieschan
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Schule kann die Basis für spätere Erfolge sein, zu oft hängen die in Deutschland aber noch vom familiären Hintergrund ab.
Schule kann die Basis für spätere Erfolge sein, zu oft hängen die in Deutschland aber noch vom familiären Hintergrund ab. © AdobeStock

Wer will, kann auch erfolgreich sein. Schließlich kann sich hierzulande jeder und jede entscheiden, eine gute Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren, sich weiterzubilden, Karriere zu machen. Das ist formal richtig – und trotzdem nicht die Wahrheit. Denn in Sachen Bildungsgerechtigkeit liegt Deutschland im internationalen Vergleich nur im unteren Mittelfeld. Schon 2018 konstatierte die Studie „Ein unfairer Start ins Leben“ des UNICEF-Forschungszentrums Innocenti, dass Kinder, die in reichen Ländern leben, nicht automatisch gleiche Chancen auf eine hochwertige Bildung haben. Auf der seinerzeit erstellten Rangliste aus 41 Industrieländern landete Deutschland auf Platz 23.

Nicht erst seitdem ist die Bildungsgerechtigkeit immer wieder mal Thema, so richtig gern mag freilich kaum jemand darüber reden, dass formale Chancengleichheit auch 2023 noch lange nicht bedeutet, dass jeder auch tatsächlich die gleichen Chancen hat. Der familiäre Hintergrund macht nach wie vor einen großen Unterschied. Wer seine Kinder privat in Sachen Bildung fördern kann – sei es durch teure Nachhilfe, durch die Mitgliedschaft in Vereinen, durch soziale und kulturelle Teilhabe und nicht zuletzt durch das eigene Vorbild – verschafft ihnen genau den Vorteil, den es bei echter Bildungsgerechtigkeit gar nicht bräuchte. Von 100 Grundschülern, die mindestens ein Elternteil mit Hochschulabschluss haben, beginnen im Durchschnitt später 74 ein Studium. Bei Kindern ohne Eltern mit akademischen Hintergrund sind es gerade einmal 21. Und: Von allen Studienabbrechern, die ihre akademische Laufbahn aus finanziellen Gründen beenden, kommen rund 72 Prozent aus Arbeiterfamilien. Die Pandemie hat viele Probleme noch deutlicher sichtbar gemacht. Zum Beispiel die Tatsache, dass es Familien gibt, in denen es keinen PC oder ein Tablet gibt, an dem Kinder in Ruhe lernen und Hausausgaben machen können. Digitales Lernen – einer der zentralen Bausteine der modernen Bildung – bleibt denen vorbehalten, die es sich leisten können.

Das mindert in einer zunehmend auf Digitalisierung ausgerichteten Welt die späteren Berufschancen enorm.Das kann sich Deutschland, und das können sich auch die einzelnen Bundesländer nicht leisten. Schon jetzt drückt der Fachkräftemangel die Erfolgsaussichten vieler Unternehmen nach unten. Und auch Großprojekte wie der Breitbandinternet-Ausbau scheitern inzwischen mancherorts schlicht daran, dass es an Personal fehlt, um die längst beschlossenen und genehmigten Bauvorhaben umzusetzen.

Regionale Partner weiter stärken

Die Brisanz des Themas zumindest ist inzwischen durchaus bekannt. Eine aktuelle Förderrichtlinie soll dort ansetzen, wo Bildungsgerechtigkeit beginnt. Der Name „Abbau von Bildungsbarrieren: Lernumwelten, Bildungserfolg und soziale Teilhabe“ soll dabei Programm sein. Die Schlüsselfrage ist: Wie kann man so früh wie möglich verhindern, dass betroffene Kinder und Jugendliche benachteiligt werden? Das wird gegenwärtig in ganz Deutschland untersucht. Insgesamt 13 Projekte, die meisten mit mehrjähriger Laufzeit, fördert der Bund, um herauszufinden, wie Deutschland gerechter in Sachen Bildung werden kann.

Untersucht wird das auch in Sachsen. Die Hochschule Mittweida erforscht gemeinsam mit der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst - Hildesheim/Holzminden/Göttingen, welche Netzwerke junge Leute in Sachen Bildung voranbringen, besonderen im regionalen Umfeld. Wie können Schulen, außerschulische Bildungsträger und weitere Akteure am besten gemeinsam agieren? Und wie erreichen solche Netzwerke die, die sie am dringendsten brauchen? Das Verbundprojekt der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst und der Hochschule Mittweida setzt genau hier an. „Aus interdisziplinärer Perspektive untersuchen die Forschenden, wie viel – auch sozialpädagogisches – Potenzial in den komplexen regionalen Netzwerken steckt, um den Übergang von Schule und Beruf erfolgreich zu gestalten“, heißt es dazu.In Mittweida konzentriert man sich dabei besonders die Möglichkeiten der Jugendhilfe im regionalen Bereich. Ziel des Projektes, das noch bis 2025 läuft, ist es, Lehrkräfte, aber auch Mitarbeiter von Praxispartnern im Bildungsbereich mit konkreten Handlungsempfehlungen zum Abbau bestehender Barrieren zu unterstützen.

Das soll nicht nur der Bildungsgerechtigkeit auf die Sprünge helfen, sondern auch der Bildung selbst. Denn auch hier steht nicht zum Besten im Land der Dichter und Denker. Jeder fünfte Jugendliche hat Probleme, einen Text richtig zu verstehen. Das zeigte zuletzt unter anderem der nationale Bildungsbericht von 2020. Damit jeder auch praktisch erreichen kann, was jeder theoretisch erreichen darf, ist noch eine Menge zu tun.