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Immer mehr junge Leute studieren

Seit Jahren steigt die Zahl der Abiturientinnen und Abiturienten, die ein Studium aufnehmen möchten. Das ist auch in Sachsen spürbar. Welche Auswirkungen hat der Trend zu akademischen Abschlüssen auf den Arbeitsmarkt?

Von Annett Kschieschan
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Hauptsache studieren? Das sehen viele Abiturientinnen und Abiturienten so. Das ruft auch kritische Stimmen auf den Plan.
Hauptsache studieren? Das sehen viele Abiturientinnen und Abiturienten so. Das ruft auch kritische Stimmen auf den Plan. © AdobeStock

Lucy will studieren. Damit ist die 17-jährige Dresdnerin nicht alleine. Fast alle ihre Freundinnen haben das gleiche Ziel. „Wozu mache ich sonst denn Abi?“, fragt Lucy und spricht damit wohl für viele ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler.

Wohin genau sie der akademische Weg führen könnte, weiß Lucy allerdings noch nicht und dürfte auch damit in guter Gesellschaft sein. Für immer mehr Jugendliche ist das Studienfach zunächst zweitrangig, Hauptsache, am Ende gibt es die Bachelor-, noch besser die Master-Urkunde.

Die Zahlen belegen das. So wies die sächsische Abiturientenstudie, die seit 1996 alle zwei Jahre im Freistaat durchgeführt wird, das Universitätsstudium zunächst auf dem dritten Platz der Bildungsmöglichkeiten nach dem Abitur aus. Das änderte sich in den Nuller-Jahren, in denen die Beliebtheit des Studiums an einer Universität stark anstieg, während die Optionen, eine Ausbildung oder ein Fachhochschulstudium zu beginnen, sanken beziehungsweise stagnierten.

So gaben bei der letzten Befragung 2020 nur noch 14 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer an, eine Lehre absolvieren zu wollen. 42 Prozent favorisierten ein Universitätsstudium.

Damit liegen die jungen Sachsen im Trend, denn auch bundesweit stieg die Zahl der Studierwilligen in den vergangenen Jahren deutlich. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) waren im letzten Wintersemester 2 947 500 Studentinnen und Studenten an einer Hochschule in Deutschland eingeschrieben. 2007 waren es noch rund eine Million weniger.

Was bedeutet es für den Arbeitsmarkt, wenn immer mehr junge Leute einen akademischen Bildungsweg wählen? Die Antwort darauf fällt je nach Branche unterschiedlich aus. Fakt ist, dass viele Unternehmen in Deutschland Bewerberinnen und Bewerber mit akademischen Abschlüssen bevorzugen. Auch das hat die Orientierung zum Studium verstärkt.

Chancen auf vielen Bildungswegen

Diese Entwicklung ist nicht neu, sie erlebte ihre Hoch-Zeit allerdings, als es deutlich mehr Interessenten als freie Stellen gab. Wenn 30 junge Leute eine Ausbildung bei der Bank machen wollen, ist es leicht, den Abiturienten oder gar den Absolventen eines wirtschaftsorientierten Studienganges zu bevorzugen. Immerhin bringt er Vorkenntnisse mit, ist älter und damit vermutlich selbstständiger als der 16-Jährige mit Realschulabschluss. Inzwischen allerdings sind viele Unternehmen froh, wenn sie überhaupt Bewerbungen bekommen. Der demografische Wandel hat die Verhältnisse umgekehrt. Auch in Sachsen stellen sich heute Firmen potenziellen Azubis und Mitarbeitern vor - nicht umgekehrt.

Das hat auch zu einem Umdenken in vielen Personalabteilungen geführt. Oft findet sich inzwischen in Stellenanzeigen die Formulierung „Studium oder eine einschlägige Berufsausbildung“. Das Handwerk schlägt schon seit einigen Jahren Alarm und verweist auf den Fachkräftemangel, der in manchen Betrieben – vor allem im ländlichen Raum – nicht mehr Zukunftsszenario, sondern Realität ist.

Dass sich in den vergangenen Jahren immer mehr junge Leute gegen eine Ausbildung und für ein Studium entschieden haben, sieht man aber nicht nur in kleinen Handwerksbetrieben kritisch. Längst wird auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene über das Thema diskutiert.

So warnte der Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin bereits 2014 in seinem gleichnamigen Buch vor einem „Akademisierungswahn“ zulasten anderer Bildungswege. Vor allem das duale System, auf dem der größte Teil des deutschen Ausbildungskonzepts basiert, leidet demnach unter der aktuellen Entwicklung.

In der Debatte geht es immer wieder auch um die inhaltliche Qualität von Abschlüssen, fallen Bachelor-Absolventen mit Wissenslücken auf, bekommen Zertifikate hier und da „Fließband-Charakter“. Die These „lieber eine gute Lehre als ein schlechtes Studium“ ist dennoch zu populistisch und damit zu kurz gedacht. Nicht zuletzt, weil sich auch die Arbeitswelt an sich ändert. Wissen – auch akademisches – hat eine immer kürzere Halbwertszeit.

Das macht ein Studium nicht weniger wertvoll, erfordert aber auch die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen. Und auf die kommt es letztlich heute in nahezu allen Berufen an. Die Chancen junger Absolventen sind so gut wie lange nicht mehr – und zwar unabhängig vom konkreten Bildungsabschluss. Das öffnet Akademikern auch den Weg in Handwerksberufe und gibt Menschen mit einem Lehrabschluss die Chance, auch klassische „Studien-Berufe“ zu ergreifen.

Vielleicht sind es auch diese gestiegenen Chancen, die den zuletzt recht rasanten Trend zum Studium nun ausgebremst haben. Zwar stieg die Zahl der Erstsemester im letzten Herbst im Vergleich zum Vorjahr noch immer - allerdings nur noch um 0.1 Prozent.