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Sorgt die Frauenfußball-EM für einen Boom auf dem Rasen?

Der Vize-Titel der Bundes-Frauen-Elf hat auch bei den Kickerinnen in Bischofswerda Euphorie ausgelöst. Ihr Erfolg hat aber ein anderes Geheimnis.

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Leonie Gries spielt für die Frauen-Mannschaft des BFV 08. Mit ihrem Team gewinnt sie gern, doch an einem großen Auftritt auf einem EM- oder WM-Rasen reizt sie wenig.
Leonie Gries spielt für die Frauen-Mannschaft des BFV 08. Mit ihrem Team gewinnt sie gern, doch an einem großen Auftritt auf einem EM- oder WM-Rasen reizt sie wenig. © Steffen Unger

Bischofswerda. Es ist Punkt 19 Uhr. Das Fußballtraining beginnt mit einer knackigen Erwärmung. Es ist jener Part, welcher den Spielerinnen des BFV 08 am wenigsten Freude bereitet. Darüber sind sich Leonie Gries (23), Sarah Müller (17) und Sandra Heinrich (17) einig. Die Drei spielen schon seit einigen Jahren gemeinsam in Bischofswerda Fußball. Trainiert wird dreimal die Woche. Auf dem Programm stehen Grundlagen-, Schnelligkeits- und Ausdauertraining sowie Spielformen. Als Mannschaft haben die Spielerinnen schon so einiges erlebt und viele Erfolge gefeiert.

Dennoch erhält der Frauenfußball abseits von Großereignissen - wie im Sommer der Frauen-Fußball-EM - meist nur wenig Aufmerksamkeit. Obwohl nicht nur das DFB-Team unter Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg jüngst die Zuschauer mit schnellem und trickreichem Fußball begeisterte - und so für Rekord-Einschaltquoten im TV sorgte.

Auch in der sogenannten Provinz ist das spielerische Niveau der Frauen in der Vergangenheit gestiegen, sind sich Beobachter sicher. Technisch würden sie den Männern in keinem Fall mehr nachstehen, und die Zeiten, in denen behauptet wurde „Frauen können kein Fußball spielen“, seien vorbei, schätzt Tino Gottlöber ein. Er muss es wissen. Schließlich verfolgt der einstige Profi als Nachwuchsleiter und Frauentrainer schon seit Jahren die Entwicklung beim BFV 08.

Zehn Jahre Mädchen- und Frauenfußball mit Erfolg

Doch nicht nur in Bischofswerda trainieren Frauen Standards wie Freistöße und Ecken oder das Zuspiel. In der Region gibt es aktuell 15 reine Mädchen- und Frauenmannschaften. Dazu spielen noch über 300 Mädchen in gemischten Mannschaften. Die Förderung des Frauenfußballs hat sich in den vergangenen Jahren massiv gebessert.

„Dafür sind nicht etwa Großevents wie die Frauenfußball-EM verantwortlich, sondern vor allem die große Initiative der Fußballvereine“, sagt Gojko Sinde, Geschäftsführer des Westlausitzer Fußballverbandes (WFV). Das heißt auch, die Vize-Europameisterinnen haben mit ihrem Auftritt bei der EM zwar eine Euphorie in ganz Deutschland ausgelöst, aber wohl noch nicht für einen Nachwuchs-Boom auf dem Rasen gesorgt.

Ein regionaler Frauenfußball-Botschafter ist aus Sindes Sicht indes der BFV 08. Der Verein feierte erst in diesem Jahr „Zehn Jahre Mädchen- und Frauenfußball in Bischofswerda“. Als 2010 die Idee aufkam, in Bischofswerda mit Mädchen zu trainieren, hätte niemand geglaubt, dass das Team einige Jahre später bereits in der dritthöchsten Liga spielen würde. Beim Sportverein Bischheim-Häslich gibt es im Juli den „Tag des Mädchenfußballs“. Solche lokalen Events motivierten die Frauen natürlich zusätzlich, ist sich der WFV-Geschäftsführer sicher.

BFV-Frauen lieben das Auspowern beim Training

Das Auspowern im Training, um den Alltag für ein paar Stunden zu vergessen, sowie das Gemeinschaftsgefühl im Team sind für die Frauen des BFV 08 das Schönste am Fußballspielen. Um dieses Miteinander zu stärken, haben sich die Spielerinnen das Halbfinale der Frauenfußball-EM zusammen als Mannschaft angeschaut.

Der Wunsch, selbst einmal bei einem solchen Großevent auf dem Platz zu stehen, existiert bei Leonie Gries, Sarah Müller und Sandra Heinrich jedoch nicht. „Klar wäre es ein schönes Erlebnis, aber in meinem Alter ist das vorbei, da muss man leider ehrlich sein“, sagt die 23-jährige Leonie Gries lachend. Dennoch trainieren die Mädels eifrig und mit großer Leidenschaft.

Ganz genau wissen die Bischofswerdaer Kickerinnen auch: Einen Teil ihres momentanen Erfolgs verdanken sie ihrem Trainer. Tino Gottlöber kennt das Rasengefühl bestens. Mit dem Männer-Team aus Bischofswerda gelang ihm Mitte der 1980er-Jahre der Sprung in die DDR-Oberliga. Im März 1991 wechselte er von Bischofswerda nach Erfurt und qualifizierte sich mit der Mannschaft für den Europapokal. Inzwischen ist der Weickersdorfer seit zehn Jahren Trainer der Frauen-Elf.

Trainer: „Bischofswerda ist ein Dorf“

Gleich zu Beginn seiner Trainerkarriere gelang ihm der Aufstieg seiner Frauenmannschaft aus der Bezirksklasse in die Landesliga. Heute spielen die Frauen des BFV 08 in der Regionalliga, der dritthöchsten Spielklasse. Hier dürfen sie sich in der Saison 22/23 unter anderem wieder gegen Mannschaften wie RB Leipzig II oder den 1. FC Union Berlin behaupten.

Aufstiegsziele gibt es momentan nicht. „Bischofswerda ist ein Dorf“, sagt Tino Gottlöber mit Blick auf die Konkurrenz aus viel größeren Städten. Trotzdem ist es für ihn und sein Team ein großer Gewinn, sich in der 3. Liga gegen Mannschaften mit teilweise ganz anderen Vorrausetzungen behaupten zu können. Und dafür lohnt es sich dann auch, bei der ungeliebten Erwärmung auf dem Rasen so richtig Gas zu geben.

Den Beitrag hat Johanna Kade verfasst. Sie ist Schülerin des Goethe-Gymnasiums Bischofswerda und absolvierte ein Praktikum in der SZ-Lokalredaktion Bautzen.