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Nur Modellprojekte retten Tourismus

Der Görlitzer Hausarzt und Hotelier Henry Hedrich empfiehlt eine digitale Kontakt-App, um ab Sommer Gaststätten, Hotels und Kultureinrichtungen öffnen zu können.

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Dr. Henry Hedrich hat in Görlitz eine Hausarztpraxis, ist aber auch auf touristischem Gebietaktiv: am Berzdorfer See mit dem Hotel „Insel der Sinne“.
Dr. Henry Hedrich hat in Görlitz eine Hausarztpraxis, ist aber auch auf touristischem Gebietaktiv: am Berzdorfer See mit dem Hotel „Insel der Sinne“. © Nikolai Schmidt

Von Dr. Henry Hedrich

Aktuell gibt es viele Gründe, bezüglich der Corona-Entwicklung hoffen zu dürfen: die zunehmende Impfquote, bessere Therapiekonzepte, die relevante Rate der Genesenen, das Wetter, das wieder ein Leben im Freien gestattet und auch die endlich überwundene Diskussion über Masken und Hygieneregeln. All das lässt hoffen darauf, dass wir einen normalen Sommer erleben werden. Und trotzdem brauchen wir einen Plan B! Denn ebenso viele Faktoren lassen befürchten, dass der Sommer zwar gut wird, aber danach ab Oktober der nächste Lockdown folgt.

Wie das? Nach dem ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr war die Aufregung erstaunlich schnell vergessen. Insbesondere unsere polnischen und tschechischen Nachbarn haben eine anfänglich angstgetriebene Panik in eine Amnesie der Glückseeligen verwandelt und sehen sich auch jetzt trotz hoher Inzidenzen nicht in der Lage, konsequente Lockdown-Maßnahmen umzusetzen. Der Görlitzer Landkreis ist auf die Berufspendler angewiesen. Das gilt im besonderen Maße für das Gesundheitswesen als auch für die Gastronomie, also höchst sensible Bereiche mit engem Menschenkontakt.

Ärzte als Corona-Leugner - das macht mich sprachlos

Ich zweifle nicht daran, dass angesichts der aktuellen Geschwindigkeit die Willigen zügig geimpft werden. Gerade in meiner Praxis erlebe ich jedoch einen relevanten Anteil von Impfgegnern und die Angst vor der Impfe selbst, hervorgerufen durch eine Presse, die aus jeder kleinen bekannt gewordenen Impfkomplikation eine Schlagzeile macht und die Menschen damit verunsichert. Mittlerweile ist es ausgesprochen schwierig geworden, den Impfstoff Vaxzevria von AstraZeneca an den Mann zu bringen. Gerade bei den älteren Patienten hilft es wenig, darüber aufzuklären, dass ein Impfrisiko kleiner als 1 zu 100.000 einem Corona-Sterberisiko von 1 zu 1000 gegenübersteht.

Die Erfahrung zeigt, dass sich nur noch Wenige die Mühe machen, inhaltlich einzusteigen – man gibt sich häufig mit Schlagzeilen zufrieden. Für Impfwillige, die mit Vaxzevria von AstraZeneca keine Schwierigkeiten sehen, haben wir einen Online-Terminservice eingerichtet unter www.arztpraxis-goerlitz.de.

Bleibt noch die Gruppe der Corona-Leugner, die sich aus ganz unterschiedlichen Lagern speist. Insbesondere jedoch macht es mich sprachlos, dass sich einige meiner Amtskollegen medial wirksam als Corona-Leugner positionieren dürfen. Besonders meine Berufsgruppe muss sich geschlossen im Kampf gegen Corona positionieren, um die Menschen nicht zu verunsichern!

Dr. Henry Hedrich (rechts) betreibt ein Corona-Testzentrum in Görlitz und eins am Berzdorfer See.
Dr. Henry Hedrich (rechts) betreibt ein Corona-Testzentrum in Görlitz und eins am Berzdorfer See. © Martin Schneider

Auch bei den Hoteliers und Gastronomen ist die Bereitschaft zur Umsetzung von geeigneten Lösungen im eigenen Betrieb zum Umgang mit Corona unterschiedlich ausgeprägt. Aus den genannten Gründen ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht gering, dass wir doch noch eine lange Zeit vor uns haben mit Inzidenzen zwischen 50 und 100 – die gleiche Situation, die wir vor Ostern, also vor der dritten Welle, hatten. Einige Dienstleister dürfen in so einer Situation öffnen. Tourismus ist jedoch erst unter 50 gestattet. Wenn mehr öffentliches Leben ohne besondere Kontrollmaßnahmen zugelassen wird, steigt automatisch die Inzidenz. Die 50 sicher zu unterschreiten, wird damit unwahrscheinlicher.

Wozu denn das Rad neu erfinden?

Im Rahmen eines Modellprojektes wäre es aber möglich, Tourismus und das öffentliche Leben unter kontrollierten Bedingungen sicher zu ermöglichen – auch noch im kommenden Herbst und Winter! Modellprojekte sind nach dem Bundesinfektionsschutzgesetz unter einer 7-Tage-Inzidenz von 100 möglich. Die Gesetzesgrundlage dazu wurde in der sächsischen Corona-Schutzverordnung bereits Anfang März erlassen. Passiert ist jedoch wenig. Man könnte meinen, dass der Arbeitsaufwand für ein solches Projekt unglaublich groß sei und kaum zu bewältigen wäre. Das sehe ich anders.

Im Grunde ist es sogar ganz einfach: Es gäbe viele andere Modellprojekte, an denen man sich orientieren könnte. Beispielsweise das aus Schleswig-Holstein über die Ostseefjordschlei – ausführlich dokumentiert (https://www.ostseefjordschlei.de/service/modellprojekt). Ganz viel davon kann einfach übernommen, das Rad nicht neu erfunden, werden.

Modellprojekte müssen gewährleisten, dass alle Kunden und Touristen einen tagesaktuellen Test vorweisen. Die Testkapazitäten sind mittlerweile gut ausgebaut. Im Landkreis gibt es rund 70 Testcenter und zusätzlich testende Arztpraxen. Dabei ist es nicht so relevant, wie der Test dokumentiert wird. Die Testcenter haben da ganz unterschiedliche Apps im Einsatz.

Ina Lachmann und Henry Hedrich (Mitte) gemeinsam mit Martin Glaeser von der G.M.V. Dachbau GmbH bei der Grundsteinlegung für das Hotel "Insel der Sinne" am Berzdofer See.
Ina Lachmann und Henry Hedrich (Mitte) gemeinsam mit Martin Glaeser von der G.M.V. Dachbau GmbH bei der Grundsteinlegung für das Hotel "Insel der Sinne" am Berzdofer See. © Pawel Sosnowski/80studio.net

Im Testcenter vor unserer Praxis und im Testcenter vor dem Hotel „Insel der Sinne“ verwenden wir die pass4all-App und haben damit gute Erfahrung gemacht bezüglich Geschwindigkeit, Sicherheit, Dokumentation. Die Dresdner Software-Lösung ist die mir einzig bekannte App, die gleichzeitig das Schnelltestergebnis dokumentiert und die digitale Nachverfolgbarkeit mit Schnittstelle zu den sächsischen Gesundheitsämtern gewährleistet. Sie ist in der Stadt Dresden bereits erfolgreich im Einsatz.

Die Hochschule muss mit dabei sein

Beim Dienstleister erfolgt dann die Testkontrolle am Einlass und der Gast scannt den QR-Code des Ortes wie Restaurant, Theater, Friseur etc. Dadurch kann das Gesundheitsamt im Infektionsfall eine verschlüsselte Datei vom Dienstleister anfordern. Die Zettelwirtschaft zur Dokumentation der Gastbesuche aus dem vergangenen Sommer mit ihrer Fehleranfälligkeit und Datenschutzproblemen könnte der Vergangenheit angehören. Die Nachverfolgung wird dadurch erheblich erleichtert und effektiver. Das Gesundheitsamt wäre auch bei Inzidenzen über 100 noch handlungsfähig.

Die Monatslizenzgebühren für die Pass4all-App, die durch die teilnehmenden Dienstleister zu tragen wäre, betragen rund 20 Euro. Ein kleiner Preis dafür, wieder arbeiten zu dürfen. Für die Kunden ist die App natürlich kostenfrei. Kunden ohne Smartphone werden am Terminal des Dienstleisters manuell erfasst – das ist mit der pass4all-App ohne Aufwand möglich.

Teilnehmende Dienstleister müssten sich also per Vertrag zu den Richtlinien des Modellprojektes bekennen, die pass4all-App im Einsatz haben und ein gültiges Hygienekonzept vorweisen. Es sollte in ihrer Verantwortung liegen, bei den Testcentern eine ausreichende Testkapazität für ihre Gäste zu reservieren. Genesene und vollständig Geimpfte sind bereits von der Testpflicht befreit.

Als wesentlicher Punkt wäre die wissenschaftliche Begleitung zu nennen. Wir haben die Hochschule Görlitz mit der Fakultät für Sozialwissenschaften, die eine fundierte wissenschaftliche Begleitung des Modellprojektes gewährleisten könnte. Zum Schluss braucht es noch eine Projektkoordination. Hierfür würde sich die Europastadt Görlitz-Zgorzelec GmbH zur Förderung von Wirtschaft und Tourismus in Kooperation mit der obersten Gesundheitsbehörde des Landkreises ganz hervorragend eignen.

Es ist also alles da – wir müssen nur anfangen. Voraussetzung ist die Zulassung durch die zuständigen Behörden. Auch hier sollte man das bewährte Prinzip „Hoffnung“ nicht aufgeben.

Unser Autor Dr. med. Henry Hedrich ist Internist und betreibt gemeinsam mit Ina Lachmann das Hotel „Insel der Sinne“ am Berzdorfer See. Als Görlitzer Hausarzt hat er sich im Januar in der Corona-Diskussion zu Wort gemeldet und in einem langen Artikel, den auch die SZ veröffentlicht hat, aufgeklärt.

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