Schulden machen, das passiert mir doch nicht: Was manche immer gern als selbstverschuldetes Problem abgetan haben, erwischt jetzt - völlig unverschuldet - immer mehr. Die finanziellen Corona-Folgen treiben Leute in die Schuldenfalle, aus der sie so schnell nicht rauskommen. Die Schuldnerberatung der Awo Sonnenstein gGmbH versucht zu helfen, wo es geht, kommt aber ohne die Hilfe der Politik nicht weiter. Leiter Jens Heinrich sagt im Gespräch mit Sächsische.de, worauf es jetzt ankommt und gibt Tipps für die erste Hilfe in finanzieller Not.
Die Nachfrage nach Schuldnerberatung ist nach wie vor sehr hoch. Wie haben sich die Fragen, Probleme und auch die Menschen, die Hilfe brauchen, seit dem Frühjahr verändert, Herr Heinrich?
Die Ursachen von Überschuldung lagen schon immer in den beiden Bereichen, der „äußeren Einwirkungen auf den Haushalt“ und der „eigenen Verhaltens- und Wertestruktur der Menschen". Erheblich gestiegen ist der Anteil der Betroffenen, die trotz Fleiß und verantwortungsvollem Umgang mit Geld nunmehr keine Chance hatten, Schulden zu vermeiden. Ich verspüre eine Zunahme an Resignation, aber auch Wut auf die vorherrschenden Rahmenbedingungen.
Sie deuteten es schon an, es sind zunehmend Personengruppen, die früher eher nicht zur Schuldnerberatung kamen. Zum Beispiel auch Selbstständige. Was treibt sie in diese Situation und wie können Sie da helfen?
Besonders betroffen sind Kleinselbständige, Honorarkräfte oder Freiberufler in den Gebieten Kunst, Kunsthandwerk, Kultur, Gastgewerbe, Beherbergungsbetriebe, Gastronomie, Musiker, Stadtführer, Theater usw. Bei ihnen schlagen die gewerblichen Einbrüche direkt in den privaten Haushalt durch. Die Schuldnerberater helfen mit allen Mitteln, diese Situationen zu strukturieren, zu entlasten, Vollstreckungsschutz zu aktivieren und bei Verhandlungen mit Gläubigern. Wir helfen auch, mental diese schwierige Zeit durchzustehen. Wir warten sehnsüchtig auf die schon im Frühjahr 2020 angekündigte Verkürzung der Insolvenzverfahren von sechs auf drei Jahre. Diese Neuregelung wäre eine wirkliche und gerechtfertigte Hilfe für die von der Pandemie Betroffenen.
Fünf Tipps, wenn es eng in der Kasse wird
- Wenn es knapp wird, zuerst alle Zahlungsverpflichtungen kritisch prüfen und ggf. einstellen. Vorsicht bei Miete oder Strom. Die Auswirkungen wären hier sehr empfindlich.
- Geldnot fördert Spannungen in den Familien. Gehen Sie weiterhin wertschätzend miteinander um und tragen Sie es nicht auf dem Rücken der Kinder aus.
- Nutzen Sie die Hilfsprogramme. Die Schuldnerberatung kann Ihnen beim Antragstellen helfen.
- Fast jede Generation hat ihre Krisenzeiten. Das hat immer auch Kräfte und Kreativität entwickelt. Auf diese kommt es jetzt an.
- So sehr uns die negativen Empfindungen einnehmen, es gibt immer auch eine positive Veränderung. Die Natur konnte durchatmen. Wir wurden wachgerüttelt und haben die Chance uns an das Wesentliche des Lebens zu erinnern. Wir können unsere Sichtweise und damit psychische Gesundheit selbst beeinflussen.
Oft kommen sicher auch vorherige Probleme mit Corona zusammen, werden durch Corona zugespitzt. Die Lösung und die Folgen werden Jahre dauern und wirken, oder?
Die Verschuldungen, privat wie staatlich, müssen wir alle gemeinsam wieder ins Gleichgewicht bringen. Diese Auswirkungen werden wir in allen Haushalten noch sehr lange spüren. Daher kann ich politisch nur dazu aufrufen, vorsichtig zu bleiben und gleichzeitig überzogenen Aktionismus bei den Einschränkungsvorschriften zu vermeiden.
Schon im Frühjahr hatten Sie gesagt, dass Rettungsprogramme gut gemeint sind, aber zu kurz greifen. Wie ist das jetzt?
Grundsätzlich sollten wir für jede helfende Entscheidung der Politik dankbar sein. Aber die Probleme für die Bürger dringen aufgrund der langanhaltenden Problematik immer mehr in schwer einsehbare Bereiche ein. Man könnte von einem politischen toten Winkel sprechen. Es werden zunehmend Kollateralschäden in der komplexen wirtschaftlichen Vernetzung entstehen, die verzögert auch Privathaushalte betreffen werden. Rettungsprogramme sind an konkreten Zielgruppen ausgerichtet. Die Betroffenheit ist aber viel breiter gefächert. Die Stimmung kippt, weil pauschale Verbote und Einschränkungen nicht genügend differenzieren und unproblematische Bereiche im Gewerbe mit schädigen. Das senkt die Akzeptanz von politischen Entscheidungen.
Was kann die Schuldnerberatung dabei tun?
Wir befinden uns im Ausnahmezustand. Dies fordert von uns allen Geduld und Toleranz. Dafür werben wir. Und selbstverständlich bemühen wir uns mit konkreten Einzellösungen darum, das persönliche Leid zu lindern.
Wann stößt die Schuldnerberatung an Ihre Grenzen?
Wir stoßen personell an unsere Grenzen. Trotz hoher Effizienz und gut strukturierter Arbeitsabläufe haben wir im Landkreis eine Warteliste. Bei dieser Dringlichkeit keine angenehme Situation, für Berater ebenso wie für Klienten. Schuldnerberatung ist auf Fördermittel angewiesen. Hier sollte jetzt etwas mehr investiert werden. Die Wirkung guter Beratung bringt mittelfristig wieder Erleichterungen für die öffentliche Hand.
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