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Wie sicher ist die Corona-Impfung für Kinder ab fünf?

Die EMA hat den Impfstoff von Biontech für Kinder zugelassen. Kinderärzte durften aber schon vorher impfen. Was sagt die Sächsische Impfkommission?

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Noch im Dezember soll die schwierige Entscheidung fallen. Kinderärzte dürften aber schon jetzt impfen.
Noch im Dezember soll die schwierige Entscheidung fallen. Kinderärzte dürften aber schon jetzt impfen. © AP

Viele Eltern haben in der sich zuspitzenden Corona-Lage darauf gewartet: eine Entscheidung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA über die Zulassung des Biontech/Pfizer-Impfstoffs für Kinder von fünf bis elf Jahren. Am Donnerstagmittag ist sie gefallen: Die EU-Behörde gibt grünes Licht.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) will bis Ende Dezember entscheiden, ob sie die Impfung für diese Kinder empfiehlt. Das soll „möglichst bis zum Start der Auslieferung des Kinder-Impfstoffs an die Länder“ geschehen, sagte der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens der Funke-Mediengruppe. Die Empfehlung sei zurzeit in Arbeit.

Laut dem geschäftsführenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sollen den Ländern ab dem 20. Dezember in einer ersten Lieferung 2,4 Millionen Dosen des Vakzins für Fünf- bis Elfjährige zur Verfügung gestellt werden. Damit werde man bei rund 4,5 Millionen Kindern in dieser Altersklasse die anfängliche Nachfrage gut beantworten können, sagte Spahn. Bisher sind Corona-Impfstoffe in der EU erst ab zwölf Jahren zugelassen.

Wie sicher ist die Impfung und welche Nebenwirkungen hat sie?

Eine im New England Journal of Medicine veröffentlichte Evaluation beurteilt die Studie von Biontech/Pfizer. In Phase eins war zunächst die Dosis bestimmt worden: Bei Erwachsenen sind es 30 Mikrogramm, für Kinder unter zwölf Jahren entschied man sich nach Abschluss der Testreihe für zehn Mikrogramm. Die Studienphasen zwei und drei umfassten 2.268 Kinder zwischen elf und fünf Jahren. Zwei Drittel von ihnen bekamen je zwei Dosen des Impfstoffs, ein Drittel ein Placebo. Die Immunantwort wurde einen Monat nach der zweiten Dosis gemessen.

Die Autoren sahen „ein günstiges Sicherheitsprofil“, es seien „keine schweren impfbedingten Nebenwirkungen beobachtet worden“. Beobachtet wurden nur „milde und vorübergehende Reaktionen“ wie Fieber, Schmerzen am Einstich, Müdigkeit oder Kopfschmerzen. Die Impfung sei sicher und effektiv, lautet das Fazit. Drei der geimpften Kinder erkrankten in der Beobachtungszeit an Covid-19, in der Kontrollgruppe waren es 16. Die Forscher beziffern die Wirksamkeit des Impfstoffs auf 90,7 Prozent.

Die einzigen drei schwereren Schäden im Beobachtungszeitraum hatten nach Ansicht der Autoren keinen Zusammenhang zur Impfung. In einem Fall war es ein gebrochener Arm. Herzmuskelentzündungen, wie sie nach breiterer Impfung von über Zwölfjährigen vereinzelt vorkamen, wurden in dieser – recht kleinen – Probandengruppe nicht festgestellt.

Reichen die vorliegenden Daten aus, um die Impfung zu beurteilen?

„Eine Zulassung ist etwas völlig anderes als eine Impfempfehlung“, betont Fred Zepp, Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko). Um den Impfstoff für Kinder unter zwölf Jahren zuzulassen, reichten die Daten wahrscheinlich aus: Dafür müsse zunächst nachgewiesen werden, dass die Impfung eine schützende Antikörperantwort auslöst und dass sie bei den Probanden keine akuten unerwünschten Nebeneffekte hatte.

Zepp: „Was man in der Zulassungsstudie nicht sieht, sind Risiken, die seltener auftreten als es statistisch in einer so kleinen Gruppe zu erwarten ist.“ Bei der Zulassungsstudie haben nur rund 1.500 Kinder den Impfstoff erhalten. „Sehr seltene Nebenwirkungen kann man da nicht erkennen“, sagt Zepp. Herzmuskelentzündungen zum Beispiel habe man bei jungen Männern erst nach breiterer Anwendung des Impfstoffs entdeckt.

Der Stiko geht es auch darum, Daten zu seltenen Impfkomplikationen aus anderen Ländern zu bekommen. In den USA etwa werden kleinere Kinder bereits seit November mit dem geringer dosierten Vakzin geimpft, nach Regierungsangaben haben bisher rund 2,6 Millionen Fünf- bis Elfjährige die erste Spritze bekommen. Die dortige Lage und der Gesundheitszustand der US-Kinder gelten aber nicht als 1:1 vergleichbar mit Deutschland.

Wie beurteilen Kinderärzte die bisherige Datenlage?

„Wir plädieren dafür, zunächst abzuwarten, was die Stiko sagt“, sagte der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske. „Es wäre nicht ratsam, dass die Politik die Impfung empfiehlt, solange es keine Empfehlung des Gremiums gibt, das die Politik berät.“ Natürlich stiegen die Infektionszahlen und damit der Druck, mit allen Mitteln gegenzusteuern. „Aber die Politik sollte nicht schon wieder unnötig Druck auf Eltern und Kinder machen. Wir wollen eine sichere Impfung, und das wollen ja auch die Eltern“, sagte Maske.

Kinder infizierten sich, dass sie schwer erkranken, sei aber die absolute Ausnahme, betont er. Die Nutzen-Risiken-Abwägung müsse bei Kindern daher eine andere sein als bei Erwachsenen: „Weil das Risiko sehr klein ist, muss der Nutzen sehr groß sein.“ Daher müssten für mögliche Nebenwirkungen noch viel strengere Kriterien gelten. „Wenn die Krankheitslast sehr gering ist, muss die Impfung noch viel sicherer sein.“

Wie wahrscheinlich ist eine Stiko-Empfehlung für die Impfung?

Stiko-Mitglied Zepp hält es für möglich, dass es eine Empfehlung zunächst für Kinder mit einem erhöhten Risiko aufgrund von Vorerkrankungen geben könnte, wie das auch zunächst bei Impfungen für Zwölf- bis 17-Jährige der Fall war.

Was sagt die Sächsische Impfkommission?

„Wir haben die gleichen Daten wie die EMA und besprechen regelmäßig unser Vorgehen“, sagte Dr. Thomas Grünewald, Vorsitzender der Sächsischen Impfkommission, im SZ-Interview. „Zurzeit scheint nichts gegen eine Erweiterung der Impfempfehlung zu sprechen. Ich rechne also damit, dass wir die Empfehlung zeitnah zur Zulassung aussprechen können.“

Dürfen jetzt schon ohne Empfehlung unter Zwölfjährige geimpft werden?

Ja, erklärt Jakob Maske: „Das ist eine freie ärztliche Entscheidung.“ Sogar vor der Zulassung des Impfstoffs für diese Altersgruppe ist es nicht illegal, kleinere Kinder zu impfen. Der Fachbegriff dafür lautet Off-Label-Use. Maske hält die Zahl der Kinderärzte, die bisher unter Zwölfjährige geimpft haben, für klein. Wenn die EMA-Zulassung vorliegt, werden sich mehr Kinderärzte dazu bereit erklären, die Impfung anzubieten, glaubt er. Das könnte zu Diskussionen in den Praxen führen.

Was halten Kinderärzte generell von Covid-Impfungen für Kinder?

Kinder gegen eine Infektionskrankheit zu impfen, die sie meist unkompliziert und ohne Komplikationen überstehen, sei immer „eine schwierige Entscheidung“, sagt Kinderarzt Zepp. „Man muss die Risiken einer Sars-CoV-2 Infektion den möglichen seltenen Risiken einer Impfung gegenüberstellen.“ Dabei müsse auch berücksichtigt werden, dass man unterschiedliche Gruppengrößen vergleicht: „Wenn ich alle Kinder einer Altersgruppe impfe, setze ich alle zunächst dem sehr geringen Risiko einer Impfnebenwirkung aus. Die Risiken einer Covid-19 Erkrankung sind größer, aber wir wissen nicht wie viele Kinder sich tatsächlich infiziert hätten und erkrankt wären.“

Was spricht für das Impfen jüngerer Kinder?

Autoren der Studie im New England Journal of Medicine argumentieren mit einem direkten und einem indirekten Nutzen: Eine Impfung schütze Kinder vor einem – wenn auch seltenen – schweren Verlauf oder Spätfolgen einer Covid-Erkrankung. Indem man sie schütze, schütze man auch Menschen in ihrem Umfeld, die ein Risiko für einen schwereren Krankheitsverlauf hätten. Ungeimpft könne diese Altersgruppe Überträger werden, auch für neu entstehende Varianten des Virus.

In der Debatte gibt es Stiko-Mitglied Zepp zufolge verschiedene Parameter. Das eine sei die Krankheitslast des einzelnen Kindes, das andere der Nutzen für die gesamte Gesellschaft. Möglicherweise sei es in einer Pandemie auch sinnvoll, Kinder zu impfen, um für die Gemeinschaft mehr Teilhabe, eine bessere Lebensführung zu ermöglichen. Hingegen hat die Impfung von Kindern nur einen geringen Effekt auf die Virus-Übertragung zwischen Erwachsenen. (dpa/rnw)