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"Wieder sehen zu können, ist ein Segen"

Gewebespenden sind weniger bekannt als Organspenden. Die Dresdnerin Jutta Poisel war fast blind - ehe ihr eine winzige Haut die Lebensfreude zurückbrachte.

Von Henry Berndt
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Augen auf bei der Ärzte-Wahl: Frederik Raiskup transplantierte Jutta Poisel  am Uniklinikum eine neue Augenhornhaut.
Augen auf bei der Ärzte-Wahl: Frederik Raiskup transplantierte Jutta Poisel am Uniklinikum eine neue Augenhornhaut. © Rene Meinig Schubertsrasse 39 Dr

Wie hinter einer dicken Milchglasscheibe rauschte das Leben an Jutta Poisel vorbei. Vor ihrer Operation des Grauen Stars hatte sie schon ziemlich schlecht gesehen. Danach aber erkannte sie auf dem rechten Auge fast gar nicht mehr. 

„Das war natürlich ein Schock“, erinnert sich die 69-Jährige. „Die Patienten um mich herum waren begeistert, wie gut sie wieder sehen konnten. Und bei mir war es eine Katastrophe.“ Wie sich herausstellte, hatte Jutta Poisel eine besonders dicke Augenhornhaut, so nennt man die oberste Schicht auf dem Auge. 

Dadurch war ihr Blick nach der OP so getrübt, dass ihr gerade noch fünf Prozent Sehschärfe blieben. „Ich konnte nicht mehr Autofahren, nicht mehr Fahrradfahren“, sagt sie. Dann kam sie in Kontakt mit Professor Frederik Raiskup vom Dresdner Uniklinikum. 

Vor zwei Jahren transplantierte er Jutta Poisel eine neue Hornhaut auf den Augapfel, genauer gesagt einen kleinen Teil davon. Die OP dauerte nur eine Viertelstunde, der Erfolg aber war grandios: Nach und nach verschwand die Trübung. Heute hat die 69-Jährige, die in Hoyerswerda lebt, wieder 70 Prozent Sehschärfe auf dem rechten Auge und braucht beim Auto fahren nicht mal eine Brille.

Im Vergleich zu Organspenden sind Gewebespenden vielen bislang kaum oder gar nicht bekannt. Dabei wurden 2019 in Deutschland bereits rund 7.000 Augenhornhäute transplantiert. Es ist das mit Abstand am häufigsten verwendete gespendete Gewebe, aber auch Herzklappen, Blutgefäße und Plazenten werden genutzt.

Wer einen Organspendeausweis besitzt, der kann damit auch der Entnahme von Gewebe nach seinem Tod zustimmen. In allen anderen Fällen müssen diese Entscheidung im Zweifel die Angehörigen treffen. 

In einem solchen Fläschchen lässt sich die gespendete Hornhaut für einige Tage in der Gewebebank lagern.
In einem solchen Fläschchen lässt sich die gespendete Hornhaut für einige Tage in der Gewebebank lagern. © DGFG

Die Deutsche Gesellschaft für Gebetransplantation (DGFG) bereitet nicht nur die Transplantate für die Operationen vor, sondern kümmert sich auch um den Aufbau und die Organisation eines Spendernetzwerks. Im vergangenen Jahr kamen mit rund 350 die drittmeisten Spenden deutschlandweit aus Sachsen. Allein am Uni-Klinikum gab es 52 Spender. In ganz Dresden waren es 150.

Interessanterweise ist die Bereitschaft der Menschen, nach ihrem Tod Augenhornhäute oder anderes Gewebe zu spenden, derzeit ungleich höher als die bei ganzen Organen, wie DGFG-Sprecherin Julia-Maria Blesin sagt. Im vergangenen Jahr lag die Zustimmungsquote bei immerhin 40 Prozent. Ein weiterer entscheidender Unterschied sei, dass grundsätzlich jeder Verstorbene für eine Gewebespende in Betracht komme, während für eine Organspende der Hirntod Voraussetzung ist.

Die Zahlen an Spenden und Transplantationen steigen Jahr für Jahr und dennoch kämpft DGFG um mehr Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Die Nachfrage ist riesig. Jeder Spender mehr ermöglicht es einem anderen Menschen, sein Augenlicht zurückzugewinnen. Die Wartezeit beträgt in Deutschland derzeit zwar nur wenige Wochen, in anderen Ländern aber oft Monate oder gar Jahre. Auf den Wartelisten stünden viele Millionen Betroffene, betont Augenchirurg Frederik Raiskup.

Für Jutta Poisel soll dagegen noch in diesem Jahr das Glück perfekt werden. Dann kommt am Uniklinikum auch ihr linkes Auge an die Reihe. „Es ist ein Segen, dass es so etwas gibt.“ Das sieht sie schon jetzt so klar wie nie zuvor.

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