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"Es muss ein Ruck durch Dipps gehen"

An der Diskussion über die Zukunft der Innenstadt nimmt auch der Reichstädter Unternehmensentwickler Martin Eckstein aktiv teil. Was er sich von Dipps erwartet.

Von Franz Herz
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Martin Eckstein aus Reichstädt ist der Dippser Innenstadt verbunden, hat dazu aber eine kritische Meinung.
Martin Eckstein aus Reichstädt ist der Dippser Innenstadt verbunden, hat dazu aber eine kritische Meinung. © Egbert Kamprath

Viele Händler aus der Innenstadt von Dipps haben vor einer Woche mit einer drastischen Aktion Aufsehen erregt, unter anderem mit einem Plakat im Stil einer Traueranzeige. Dem folgte eine lebhafte Diskussion in der Stadt und in sozialen Medien.

Herr Eckstein, muss für die Innenstadt von Dippoldiswalde tatsächlich bald das Totenglöcklein geläutet werden?

Ich hoffe es natürlich nicht. Aber es wird immer ruhiger. Das ist wirklich traurig für die schöne Stadt Dipps. Es wurde ja viel restauriert, viel geschaffen. Meiner Meinung nach wird viel zu wenig aus dem Potenzial gemacht. Das zeichnet sich über Jahre ab. Corona ist da nur noch ein Brandbeschleuniger.

Wie sind Sie persönlich mit der Innenstadt von Dipps verbunden?

Ich wohne seit weit über 20 Jahren in Dippoldiswalde. Meine Frau führt den Friseursalon Ines Hair Shop in Dipps seit 30 Jahren. Mein Wohnort Reichstädt gehört ja auch zu Dippoldiswalde.

Wie kommen Sie zu ihrem Wissen und ihrer Einschätzung?

Womit ich mich seit Jahren beruflich beschäftige, ist Unternehmen entwickeln in Sachsen, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Ich arbeite für einen großen japanischen Konzern und entwickele Unternehmen in der Größenordnung von vier bis 60 Mitarbeitern. Ich erarbeite mit ihnen Strategien, wie man das Unternehmen gesünder machen kann, wie man mit mehr Effizienz, nicht unbedingt mit mehr Geld und Zeit, eine höhere Wertschöpfung erreichen kann.

In welcher Branche sind sie tätig?

Ich arbeite für Goldwell, eine Tochter des Kao-Konzerns, die Friseurgeschäfte beliefert.

Sind Sie auch in Kleinstädten unterwegs vergleichbar mit Dippoldiswalde?

Vom Dorf bis zur Großstadt. Aber ich habe beispielsweise eine Kundin in Aschau am Inn mit rund 3.300 Einwohnern. Sie ist dort mit im Gewerbeverein, und die haben jetzt eine Webseite auf die Beine gestellt, wo innerhalb von 24 Stunden 200 Teilnehmer dabei waren.

Wenn wir das Totenglöcklein vermeiden wollen, wo müsste Dippoldiswalde ansetzen?

Wir bräuchten seit Jahren jemanden, der sich um die Stadtentwicklung kümmert. Wir haben einen Handels- und Gewerbeverein, aber mir fehlen da Aktivitäten, mir fehlt, dass da etwas Positives passiert. Es geht dabei nicht darum, dass jeder Unternehmer einen Onlineshop braucht. Aber wir haben eine Seite für Gewerbetreibende auf Facebook. Da stellen ein paar wenige Leute Beiträge drauf. Ansonsten wird das nicht genutzt. Warum nicht? Oder ich habe bei Youtube eine Unternehmerin mit einem kleinen Bekleidungsgeschäft gesehen. Die hat jeden Nachmittag ihre Kunden eingeladen und ihre Sachen vorgestellt. So etwas sind einfache Dinge, die kaum Geld kosten. Das können viele machen, ein Schuhgeschäft, ein Yoga-Studio. Ich habe neulich ein Fitnessstudio gesehen, die bieten ihre Kurse im Netz an. Es gibt ja einzelne Beispiele in Dippoldiswalde, die so etwas nutzen, wie Spielwaren Benedix oder den Teeklipper.

Warum kritisieren Sie die Aktion von vergangener Woche?

Wenn man schon so eine Aktion macht, warum macht man das nicht mit einer positiven Ausstrahlung? Dass die Hilfen so schleppend kommen, ist fürchterlich. Aber wir müssen aufpassen, was wir aus Dippoldiswalde für Signale ausstrahlen. Man wollte damit Aufmerksamkeit bekommen. Die hat man ja nun. Aber wie wird diese Aufmerksamkeit jetzt genutzt? Was macht man daraus? Wie geht’s weiter?

In Dipps läuft ein Wettbewerb. An der B 170 rings um die Tankstelle siedeln sich große Handelsbetriebe an. Läuft die Unterstadt der Kernstadt rings um den Markt den Rang ab?

Ich denke es ist Chance und Gefahr. Es ist ein Vorteil, wenn man große Unternehmen hat, die ein Magnet sind. Die ziehen erstmal Leute vom Umland an. Die Innenstadt hingegen muss ein anderes Konzept fahren. Hier müssen wir mehr Wert legen auf Individuelles, Kreatives, Gemütliches. Selbst da gibt es gute Beispiele, dass es funktionieren kann. Was nicht immer nur mit dem Preis zu tun hat. Ein Beispiel ist der Teeklipper, der hat ein Angebot, das man nicht überall findet. Wichtig wäre weiter die Vernetzung der Gewerbetreibenden untereinander - dass Kunden, die gerade Hemd und Hose anprobieren, auch Lust haben, nebenan die passenden Schuhe zu kaufen. Das wäre Aufgabe für den Handels- und Gewerbeverein. Wenn ich mich dagegen an die Aktion nach dem ersten Lockdown erinnere, als es Rabatt gab. Das ist zu wenig. Das ist das, was alle machen. Wer nur über den Preis anbietet, wird die Innenstadt nicht beleben.

Wie könnten Sie sich das dann vorstellen?

Ein Beispiel dafür ist der Weihnachtsmarkt. Da gab es vor vielen Jahren den mittelalterlichen Markt im Schlosshof. Der war sensationell. Da redet man heute noch davon. Das wäre eine Idee, die schon vorhanden ist. Der Wochenmarkt hat in anderen Städten eine richtige Magnetwirkung. Aber da muss sich das Angebot unterscheiden, darf nicht das Gleiche sein, wie in jedem Geschäft nebenan. Sowas muss sich entwickeln, aber Dipps muss irgendwann damit anfangen. Es muss endlich mal der berühmte Ruck durch die Stadt gehen.

Die Möglichkeiten für Handel und Gewerbe in der Innenstadt sind ja räumlich begrenzt. Wie lassen sich diese Grenzen aufbrechen?

Wir haben ja die großen Märkte wie Rewe, Kaufland. Dort kann man seinen Wochenendeinkauf machen. Aber dieses Gemütliche, das zum Bummeln einlädt, ist etwas Anderes. Wenn ich durch die Stadt spaziere, müssen die Schaufenster auch Lust zum Angucken und Einkaufen machen. Da müssen sich die Unternehmer auch nach außen präsentieren. Das kann durchaus farbenfroh sein, das kann auch laut sein. Es muss Aufmerksamkeit schaffen und sich abgrenzen von dem, was in den großen Supermärkten herrscht. Wir haben diese tolle Eisenbahnstrecke, warum findet man da keine Verbindung zur Innenstadt?

Was müssten die Dippser machen, damit wieder Hochzeitsglocken für die Innenstadt zu hören sind?

Sie müssten einfach mal aus ihrer Bequemlichkeit herauskommen. Das wollen viele Leute nicht hören. Das Problem ist ja nicht neu. Viele Geschäfte hatten schon vor Corona nicht gerade den Massenandrang. Wichtig wäre auch, den Tourismus in der Region weiter zu entwickeln. Wir haben Hotels, Restaurants, Handel, die Weißeritztalbahn und die Stadt mit ihren Bädern und Museen. Ich will gerne Optimismus verbreiten. Ich frage meine Unternehmen auch immer: Was ist deine Idee? Wo willst du hin? Das müsste sich die Stadt Dipps mal überlegen.

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