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Erdrückende Beweislast gegen Autoschieber

In nur zwei Wochen hat das Landgericht Dresden drei Autoschieber verurteilt. Doch das dicke Ende kommt wohl erst noch.

Von Alexander Schneider
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Die Fahrer dieser beiden in Dresden gestohlenen Nissan Qashqai sowie der Haupttäter, der das Pilotfahrzeug gefahren hatte, wurden nun verurteilt.
Die Fahrer dieser beiden in Dresden gestohlenen Nissan Qashqai sowie der Haupttäter, der das Pilotfahrzeug gefahren hatte, wurden nun verurteilt. © Bundespolizei

Dresden. Es war kein guter Tag für eine Autoschieberbande aus Polen, als Zoll und Bundespolizei einen schnellen Renault Talisman aus dem Verkehr gezogen hatten. Der Mann am Steuer war Fahrer des sogenannten Pilotfahrzeugs, der die ihm mit einigem Abstand folgenden Fahrer soeben gestohlener Autos warnen sollte. Die Sache ging schief. Während der Renault-Fahrer kontrolliert wurde, schossen zwar die zwei weißen Nissan Qashqai nach Polen vorbei, doch sie wurden noch vor der Grenze im Krauschwitzer Ortsteil Podrosche gestellt.

Am Montag endete der Prozess gegen das Trio am Landgericht Dresden. Die Beweislage war günstig. In dem Renault Talisman lagen nicht nur Waffen und Einbruchstechnik für Autodiebstähle, sondern auch ein mobiles Navigationssystem, auf dem Dutzende Diebestouren seit August 2018 gespeichert waren – und ein Notizbuch, in dem Beuteautos und Tatorte vermerkt waren. Darüber hinaus haben Personensuchhunde, sogenannte Mantrailer, in einigen Fällen Monate nach der Tat bestätigt, dass zwei der Täter an mehreren Tatorten gewesen sein müssen.

Spezialisiert auf Nissan und Renault

Den Tätern wurden insgesamt 13 Autodiebstähle seit August 2018 vorgeworfen: in Hannover, Spremberg, Niesky, Hoyerswerda – und immer wieder Dresden. Neben sieben Qashqai-Modellen waren sie offensichtlich auch auf das Renault-Sortiment spezialisiert, stahlen zwei Talisman, zwei Megane, einen Espace und einen Kaptur. Selbst das Pilotfahrzeug, das auf den ersten Blick saubere Fahrzeugpapiere hatte, war in Deutschland gestohlen worden. 

Der Hauptangeklagte (40) erhielt dreieinhalb Jahre Haft für schweren Bandendiebstahl in neun Fällen. Ein 41-Jähriger, der an vier Taten beteiligt war, muss für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Der dritte Angeklagte, dem nur die letzte Tat nachgewiesen werden konnte, erhielt eine Bewährungsstrafe von neun Monaten, die der 37-Jährige mit seiner mehr als elfmonatigen Untersuchungshaft längst verbüßt hatte.

Das Gericht war überzeugt, dass zumindest die beiden Hauptangeklagten zu einer professionellen Autoschieberbande gehören. Solche Taten zu begehen - das Ausspionieren der Beute, das Stehlen und Überführen, das Zerlegen und Verwerten - "benötigt Organisation", sagte die Vorsitzende Richterin Monika Müller in ihrer Urteilsbegründung. 

Neue Vorwürfe, zweiter Prozess?

Allerdings hatte die Staatsanwaltschaft vorerst nur 13 von inzwischen 40 ermittelten Autodiebstählen angeklagt. Der Haupttäter soll neben der aktuellen Anklage für weitere 27 einschlägige Taten verantwortlich sein. Der Grund für die "schnelle" Anklage der ersten Taten ist im sogenannten Beschleunigungsgebot von Haftsachen zu finden. Weil der Freiheitsentzug ein schwerwiegender Eingriff in ihre Freiheitsrechte darstellt, soll Angeklagten in U-Haft schnell der Prozess gemacht werden. So weit, so nachvollziehbar.

Für das Gericht und die übrigen Prozessbeteiligten bedeuten die weiteren Vorwürfe – eine Anklage gibt es noch nicht, lediglich einen Haftbefehl – möglicherweise einen zweiten Prozess, also die doppelte Arbeit, sollten sich zumindest zwei der drei Angeklagten auch für diese Taten verantworten müssen.

Noch delikater stellt sich die Situation aus der Sicht von Strafverteidigern dar. Ihre Mandanten erfuhren erst vor wenigen Wochen in Haftbefehlseröffnungen von den neuen Vorwürfen. Wie also verhält man sich im Auftaktprozess, wenn man erfährt, da kommt noch etwas Großes nach? Die Anwälte kritisierten daher in ihren Plädoyers massiv das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, ihre Mandanten "scheibchenweise" zu beschuldigen.

Keine Absprache möglich

Ermittler hätten als Zeugen keine Aussagegenehmigung gehabt, um Fragen zu den neuen Vorwürfen zu beantworten. Selbst der Sitzungsvertreter der Staatsanwalt hatte einen Maulkorb. So sei auch keine Verfahrensverständigung möglich gewesen beziehungsweise ein Deal, also eine Verfahrensabsprache, nach dem Motto, die Angeklagten gestehen umfassend gegen eine Einstellung der noch offenen Verfahren.

"Wenn im Hintergrund ein Verfahren läuft, macht das eine vernünftige Verteidigung unmöglich", sagte Andreas Schieder. Weiter kritisierten die Anwälte, ihnen sei auch Akteneinsicht verwehrt worden. Über das auch in den Augen des Gerichts ungewöhnliche Vorgehen der Staatsanwaltschaft lässt sich nur spekulieren.

Möglicherweise erhofften sich die Ermittler im aktuellen Fall von den Angeklagten neue Informationen, um auch an die Hintermänner der Bande zu kommen. Das ist ihnen jedoch nicht gelungen. Ob sie das im nächsten Prozess schaffen, ist ebenfalls ungewiss.

Erst vor wenigen Monaten war in einer Hauptverhandlung gegen andere polnische Autodiebe bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft bei einer einschlägig vorbestraften Beschuldigten rund 20 Vorwürfe eingestellt hatte, damit sie gegen ihre Komplizen aussagt. Tatsächlich wurde sie dann nur noch wegen einer Tat verurteilt, ohne ihre Mitangeklagten zu belasten.

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