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Anwohner der Neubaustrecke Dresden-Prag: "Keine Lust auf mehrere Jahre Baulärm"

Eine geplante Bahnstrecke soll die Reisezeit zwischen Dresden und Prag auf eine Stunde verkürzen - zur Freude von Pendlern, doch zum Leid der betroffenen Anwohner.

Von Johannes Frese
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Die Bahn will die Strecke zwischen Dresden und Prag aus- bzw. neu bauen. Am Montag fand dazu eine Bürgerversammlung in Dresden statt.
Die Bahn will die Strecke zwischen Dresden und Prag aus- bzw. neu bauen. Am Montag fand dazu eine Bürgerversammlung in Dresden statt. © dpa, Johannes Frese

Dresden. An einem sonst so grauen Abend im Januar fällt strahlender Sonnenschein auf die Gleise am Dresdner Hauptbahnhof. Ein unwirklich blauer Himmel spannt sich über Betonwürfeln, die nur vereinzelt Dächer tragen. Die neue Bahnstrecke zwischen Dresden und Prag ist an diesem Abend in einem kahlen Raum der Handelskammer in Dobritz nur eine Computersimulation. Doch wenn sie Realität wird, betrifft sie viele Menschen, die an diesem Abend gekommen sind.

Die Bahn wird neue Oberleitungen spannen, Gleise und Weichen bauen und Lärmschutzwände errichten. Dafür sind zusätzliche Flächen notwendig. Rund 60 Prozent dieser Grundstücke liegen auf dem Streckenabschnitt unmittelbar vor der Tunneleinfahrt in Heidenau, der Rest zwischen Heidenau und Dresden. Etwa 80 Grundstücke sind stärker betroffen. Das bedeutet, dass dort unter Umständen auch bestehende Gebäude weichen müssen.

"Da wohnen wir", entfährt es einer Frau. Mit dem Finger berührt sie ein graues Rechteck auf dem Bildschirm, an dem haarscharf eine rote Linie vorbeiführt. Ein über 30 Kilometer langer Tunnel durchs Erzgebirge, insgesamt zwölf Jahre Bauzeit. Baubeginn Anfang der 2030er-Jahre. Die Neubaustrecke Dresden-Prag soll die Reisezeit zwischen beiden Städten von zwei auf eine Stunde verkürzen und mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene bringen.

Auf der Informationsveranstaltung bei der IHK wird der geplante Streckenabschnitt zwischen Heidenau und der tschechischen Grenze vorgestellt. Damit verbunden sind auch Baumaßnahmen auf der Strecke zwischen Dresden und Heidenau. Was kommt auf die Anwohner zu?

"Wir waren schockiert"

Vergangenen Dienstag erhielt das Ehepaar Städtler-Steinig einen Brief von der Deutschen Bahn. Ihr Grundstück werde "in erheblichem Ausmaß betroffen sein" von den Baumaßnahmen, lasen sie dort. "Wir waren schockiert", sagt Elke Städtler. Das Ehepaar hat das Haus vor 21 Jahren gebaut. "Es sollte unser Alterswohnsitz sein", erklärt die 59-Jährige.

Sie wringt ein zusammengeknülltes Taschentuch in der Hand. Zwar muss das Haus der Neubaustrecke nicht weichen, aber die Schienen und eine neue Schallschutzwand werden bis an das Grundstück heranrücken. "Wenn der Bau beginnt, bin ich Rentnerin, und ich habe keine Lust auf mehrere Jahre Baulärm", sagt Städtler.

Projektleiter Kay Müller erläutert Anwohnern den geplanten Verlauf der Bahnstrecke, die künftig zwischen Dresden und Prag verlaufen soll.
Projektleiter Kay Müller erläutert Anwohnern den geplanten Verlauf der Bahnstrecke, die künftig zwischen Dresden und Prag verlaufen soll. © Johannes Frese

Von Stand zu Stand läuft das Ehepaar an diesem Abend, um die neue Wirklichkeit greifbar zu machen. Projektingenieure der Deutschen Bahn informieren über Schall- und Erschütterungsschutz, der Flächenmanager erläutert einer Schlange von Wartenden den voraussichtlichen Grad ihrer Betroffenheit.

Auch eine Gruppe von Kleingartenbesitzern ist darunter. Thorsten Berger hat vor zwei Jahren ein Grundstück in der Kleingartensiedlung Strehlen II gekauft. Die neue Strecke wird direkt hindurchführen. "Wir haben so viel Herzblut da hineingesteckt. Und wir kriegen zwar eine Abschlagzahlung, aber keinen neuen Garten."

Zahl der Betroffenen kann noch steigen

Wolfgang und Sabine Fischer wohnen direkt an der Bahntrasse in Strehlen in einem denkmalgeschützten Gebäude. Das erschwere Lärmschutzmaßnahmen, erklären sie. Deshalb betrachten die beiden es als Gewinn, dass im Rahmen der Baumaßnahmen eine Schallschutzwand errichtet wird. Und auch wenn die Bauphase mit starken Beeinträchtigungen für sie einhergehen werde: "Wir sehen der Sache gelassen entgegen."

Wie viele Menschen werden die Baumaßnahmen treffen? "Im aktuellen Planungsszenario ist eine zweistellige Anzahl von Menschen betroffen", erklärt Gesamtprojektleiter Kay Müller. Die genaue Zahl hat er gerade nicht parat. Sie könne im Laufe der Planung auch noch steigen – etwa, wenn feststeht, mit welchem Abstand zu den Gleisen Schallschutzwände errichtet werden.

In den kommenden Jahren sollen in individuellen Gesprächen mit den Betroffenen Lösungen gefunden werden. Ziel ist es laut Bahn, eine einvernehmliche vertragliche Regelung zu finden. Dabei geht es um den Erwerb von Flächen zu Eigentum, die Sicherung von Nutzungsrechten im Grundbuch und die vorübergehende Inanspruchnahme während der Bauzeit. Der Flächenerwerb soll ab der zweiten Jahreshälfte 2025 beginnen. Basis für den Kauf bilde ein Wertgutachten von einem unabhängigen Gutachter. Sollte es zu keiner Einigung kommen, wären auch Enteignungen denkbar.

Die Bahn, betont Kay Müller, gehe deshalb frühzeitig in den Dialog. Zwar habe er Verständnis für die Betroffenen, "aber in diesem Fall hat das Allgemeinwohl stärkeres Gewicht als Privatinteressen."