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Wohnen im Heidenauer Lärm-Dreieck

Die Fischers wohnen seit vier Generationen in ihrem Heidenauer Haus. Heute liegt es an zwei Bahnstrecken und einem Kreisverkehr. Weil es immer lauter wird, haben sie eine Forderung.

Von Heike Sabel
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Tina und Toni Fischer wohnen mit ihrer Familie in Heidenau unmittelbar an der Bahnstrecke - und das nicht erst seit gestern.
Tina und Toni Fischer wohnen mit ihrer Familie in Heidenau unmittelbar an der Bahnstrecke - und das nicht erst seit gestern. © Marko Förster

Mitten im Satz erschrickt der Besucher und hören die Fischers auf mit reden. Das passiert innerhalb einer Stunde über zehnmal. Die Fischers wohnen seit Generationen direkt an der Bahnstrecke in Heidenau. An der schmalsten Stelle trennen ihr Grundstück und die Bahngleise etwa sechs Meter. Die Familie ist es gewohnt, was nicht bedeutet, dass sie sich damit abgefunden hat.

Seit die Urgroßmutter das 1882 gebaute Haus auf der August-Bebel-Straße kaufte, lebt die Familie hier und sind Verkehr und Lärm immer mehr geworden. Die Bahnpläne für die neue schnelle Strecke Dresden-Prag bringen noch mehr Verkehr und Lärm. Die Züge sollen künftig mit bis zu 200 km/h auf dem Gleis vor Fischers Haus in Richtung Prag vorbeifahren. Doch genau das ist auch eine Chance für die Familie, die seit Bekanntwerden der Pläne jede Gelegenheit nutzt, sich zu informieren und auf ihre Lage hinzuweisen.

Züge erkennen am Hören

Die Bahnstrecke Dresden-Bad Schandau zerschneidet Heidenau seit eh und je. Die neue Strecke wird Heidenau und die Region verändern. Noch mehr als das in den 2000er-Jahren gebaute vierte Gleis. Der Lärmschutz ist aus Sicht von Anwohnern und Stadt unzureichend. Immer an der spannendsten Stelle im "Tatort" fährt ein Güterzug vorbei, sagen die Fischers. Es klingt nach einer netten Episode. Nett für die anderen.

Das ist selten: so wenige Autos im Kreisverkehr am Nordbahnhof. Er ist Teil des Heidenauer Lärmdreiecks - rechts die Bahnstrecke Prag-Dresden, links vom Haus die in Richtung Altenberg.
Das ist selten: so wenige Autos im Kreisverkehr am Nordbahnhof. Er ist Teil des Heidenauer Lärmdreiecks - rechts die Bahnstrecke Prag-Dresden, links vom Haus die in Richtung Altenberg. © Marko Förster

Die S-Bahnen sind etwas leiser als die Güterzüge. Die müssten seit vorigem Jahr mit Flüsterbremsen ausgestattet sein, sagt Toni Fischer. Seiner Beobachtung bzw. seinem Hören nach fehlt diese Lärmminderung mindestens bei einem Waggon jedes Zuges. Die Züge in Richtung Altenberg hingegen quietschen. Die Fischers erkennen die Züge inzwischen am Hören. Das Haus vibriert jedes Mal, wenn die Züge über die Gleisweiche vorm Haus fahren, sagt die Mutter von Tina und Toni Fischer. Sie müsse von Zeit zu Zeit die Gläser und das Geschirr in den Schränken neu ordnen.

Die Wand ist das kleinere Übel

Trotz allem hat die Familie nie daran gedacht, das Haus zu verkaufen und wegzuziehen. Es ist ja nicht auf einmal mehr Verkehr und Lärm geworden, sondern so peu à peu. "Immer mehr, immer schneller, immer lauter", sagt Tina Fischer. Sie ist hier aufgewachsen, hat es vier Jahrzehnte miterlebt. Jetzt macht sie sich mit ihrem Bruder dafür stark, dass ihre Familie endlich geschützt wird. Schließlich waren sie und das Haus eher da und haben die Großeltern schon vergeblich gekämpft. "Wir sind nicht auf Krawall gebürstet", sagen sie, aber es ist ein Pegel erreicht, den sie nicht mehr hinnehmen wollen.

Die Fischers wollen den effektivsten Lärmschutz. Das bedeutet entsprechend hohe Schutzwände mit einer ansprechenden Gestaltung. Also keine Mauer, die den Lärm nur für das Untergeschoss mindert und keine, die als graue Wand vorm Grundstück steht. Ihr Haus ist etwa zwölf Meter hoch, das nebenan noch höher. Eine Mauer bis zum obersten Geschoss? Schwer vorstellbar. Die Wand ist auch nicht unser Traum, sagen die Fischer. Doch sie ist das kleinere Übel im Vergleich mit dem Lärm. Dafür geben sie auch ein Stück ihres Grundstückes ab.

Forderung: Einbezogen, beteiligt, gehört werden

Das Grundstück der Fischers ist laut Bahn eines von etwa 80, das vom Streckenausbau zwischen Dresden und Heidenau stärker betroffen ist. Rund 60 Prozent der Grundstücke befinden sich auf dem Abschnitt unmittelbar vor der Tunneleinfahrt in Heidenau. Die Betroffenheit könne bis zum Abriss von Gebäuden gehen, sagt die Bahn. Derzeit würden die Planungen weiter optimiert, um das möglichst zu verhindern. Mit den betroffenen Gewerbebetrieben sei man im Gespräch, wurde kürzlich im Stadtrat gesagt. Da war auch Tina Fischer und wunderte sich: Wieso nicht mit Anwohnern wie uns? "Ich lade alle Verantwortlichen gern ein, vorbeizukommen und sich das anzusehen bzw. anzuhören."

Der Lärmschutz ist Teil des Neubau-Vorhabens. Konkrete Projekte dafür gibt es noch nicht, doch: Der Schallschutz wird über die bisher geplanten Maßnahmen hinausgehen, hat die Bahn schon vor über zwei Jahren gesagt - da war noch nicht klar, wie die Strecke verläuft.

Den Fischers ist klar, heute und morgen wird sich so schnell nichts ändern. Vielleicht in zehn bis 15 Jahren, sagt Toni Fischer. Noch wird geplant, noch ist viel offen. Und genau das betrachten die Fischers als Chance - und ist ihre Forderung: Einbezogen, beteiligt und gehört werden. Das Hören hat in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. "Wir wohnen hier im Lärmdreieck von Heidenau", sagt Tina Fischer.