Dresden. Katrin Ruffani arbeitet mit ihrer Kelle in einer tiefen Grube vor der Porzellansammlung im Zwingerhof. An ihrer Seite sind Felix Pelz und Jasper Boernert, die ihr Freiwilliges Soziales Jahr in der Denkmalpflege absolvieren. Die 55-jährige Grabungsarbeiterin vom Landesamt für Archäologie war schon an vielen historischen Orten Dresdens mit dabei, als der Untergrund auf Spuren der Vergangenheit untersucht wurden – so am Taschenbergpalais oder an der Augustusbrücke.
Doch hier ist sie mit ihren Kollegen auf ein besonderes Bauwerk gestoßen. "Seit vergangener Woche haben wir das Fundament eines alten Turmes freigelegt", erklärt die Dresdner Fachfrau. Das stammt von der zweiten Dresdner Stadtmauer. "Das sind sehr schöne Befunde, die wir nicht erwartet hatten", sagt sie.
Die Grube hinter dem Bauzaun klafft vor der Bogengalerie J mit der Porzellansammlung, die in Richtung Kronentor verläuft. Auf der anderen Seite des Hauptwegs vor dem Glockenspielpavillon ist es den Archäologen gelungen, Teile der ersten drei Dresdner Stadtmauern freizulegen. "Das ist ein exemplarisches Beispiel, wie die Stadt seit dem Mittelalter gewachsen ist", sagt Grabungsleiter Hartmut Olbrich.
Der promovierte Bauforscher, der Architekt und Archäologe ist, nutzt zum Auftakt der Zwingerhofsanierung diese einmalige Chance. Der 61-Jährige Experte untersucht mit seinem Grabungsteam seit März vergangenen Jahres den Untergrund des geschichtsträchtigen Areals auf Spuren der Vergangenheit.
Der Ursprung: Mittelalterliche Mauer schützt Dresden
Für Olbrich hat die freigelegte Fläche vor der Bogengalerie M zwischen Glockenspiel- und Deutschem Pavillon eine besondere Bedeutung. "Es gibt keine andere Stelle in dieser Stadt, an der noch die drei Stadtmauern aus der Zeit des hohen Mittelalters, des späten Mittelalter und der frühen Neuzeit so exemplarisch erhalten sind."
Die älteste von ihnen ist direkt zu Füßen der Bogengalerie freigelegt. Sie ist Ende des 12./Anfang des 13. Jahrhunderts errichtet worden und somit weit über 800 Jahre alt. Dabei handelt es sich um eine einfache Mauer aus Kalksteinen, sogenannten Plänern, die nur in Lehm gesetzt und verfugt sind. "Das war bis zum 15. Jahrhundert eine gängige Praxis", erklärt Olbrich. Darüber bestehen die Mauern aus einer Schicht gebrochener Ziegelsteine.
Die zweite Mauer: Geschützt von tiefem Stadtgraben
Etwa zehn Meter vor der mittelalterlichen ersten Mauer wird zwischen 1427 und 1431 eine Vormauer als Verstärkung errichtet und ein tiefer Stadtgraben angelegt. "Das sumpfige Gelände vor dieser Stadtmauer durfte damals aber nicht durch massiv gemauerte Gebäude bebaut werden", erklärt Olbrich. "Man wollte nicht, dass sich Feinde hinter Gebäuden verschanzen und mit Geschützen die Stadt angreifen können."
Das ist auch die Stadtmauer, an der Olbrichs Grabungsteam auf der anderen Seite des Hauptwegs die Turmfundamente freigelegt haben. Diese zweite massive Mauer ist mit einer Stärke von rund 1,40 Metern bereits viel stabiler als die alte mittelalterliche Lehmmauer. "Man sieht, wie die neuen Mauern immer mehr Schutz vor den sich weiter entwickelnden Feuerwaffen bieten", erläutert der Grabungsleiter.
Die dritte Runde: Festungsmauer mit ersten Bastionen
Seit 1485 ist Dresden Residenzstadt der albertinischen Linie der Wettiner. 1547 erhält Herzog Moritz von Sachsen die Würde des Kurfürsten und damit das Recht, den Kaiser mit wählen zu dürfen. "Damit beginnt der Ausbau Dresdens zur Residenzstadt und zur Festung", sagt Olbrich.
Errichtet werden damals ab 1546 über drei Meter dicke Festungsmauern aus massiven Sandsteinquadern mit Bastionen an den Ecken, von denen aus angreifende Feinde mit Kanonen beschossen werden können. Doch die Feuerkraft der Geschütze erhöht sich zu dieser Zeit schnell. Das Problem ist: Die Mauer aus der Mitte des 16. Jahrhunderts steht zu nahe am Residenzschloss.
Also entsteht bereits zwischen 1569 und 1574 eine vierte Stadtmauer mit zwei großen Bastionen, die das ganze Areal des heutigen Zwingers sowie des Theaterplatzes umfasst. Damit entstehen große Flächen vor dem Schloss, auf dem der kurfürstliche Hof dann seine Repräsentationsbauten errichtet – Bauten, denen die Archäologen auch noch nachspüren werden.
Ein Teil der dritten Stadtmauer ist jetzt in einer großen Grube sichtbar. Nach hinten verstärkt ist sie durch knapp zwei Meter breite und vier Meter langen Mauerzungen – ein mächtiges Bauwerk, das noch in großen Teilen unterirdisch erhalten ist.
Der Fund: riesige Kanonenkugeln entdeckt
Doch die Archäologen finden nicht nur alte Mauern im Untergrund. Entdeckt wurden bei den Grabungen auch Teile von steinernen Kanonenkugeln, die einen Durchmesser von bis zu 70 Zentimetern haben. "Mit ihnen wurde die alte Stadtmauer beschossen", erläutert Olbrich.
Diese und auch andere Funde – wie Gesichter oder Fragmente von Skulpturen – werden in Absprache der Zwingerbauhütte des Staatsbetriebes Sächsisches Bau- und Immobilienmanagement (SIB) übergeben, die sie reinigt, auf Material und farbiger Fassungen hin untersucht sowie in Katalogen erfasst.
Die Perspektive: Zwingerhof soll 2024 saniert sein
Im neuen Jahr werden die Grabungen auf dem Hauptweg zwischen den großen Zwingerbrunnen und dem Wallpavillon fortgesetzt, kündigt Olbrich an. So wird es möglich, dass der Zugang durchs Kronentor ab Anfang Januar nach langer Sperrung wieder freigegeben werden kann, bestätigt Zwingerbaumeister Kai-Uwe Beger vom SIB. Möglich wird das auch, da sich die Archäologen flexibel zeigen.
"Wir gehen gern auf Wünsche beim Bauablauf ein und springen mit unseren Grabungen von einer Ecke des Zwingerhofs zur anderen", sagt Grabungsleiter Olbrich. "Die Zusammenarbeit mit dem SIB und den beauftragten Planern funktioniert sehr gut." Noch im kommenden Jahr sollen die archäologischen Grabungen abgeschlossen werden. Die abschnittsweise Sanierung dauert bis zum Spätsommer 2024. Dafür investiert der Freistaat rund elf Millionen Euro.