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Archäologen legen uralte Kanäle im Dresdner Zwinger frei

Jetzt ist im Dresdner Zwingerhof ein ganzes System von historischen Leitungen sichtbar. Das bringt eine überraschende Erkenntnis für Dresdens ältesten noch betriebenen Kanal.

Von Peter Hilbert
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Dresdens Kanalnetzchef Frank Männig (l.) und Archäologe Hartmut Olbrich am ältesten freigelegten Sandsteinkanal im Zwinger. Anhand eines alten Plans prüfen sie, wo der Anschluss ans kleine Abwassernetz am Theaterplatz liegen könnte.
Dresdens Kanalnetzchef Frank Männig (l.) und Archäologe Hartmut Olbrich am ältesten freigelegten Sandsteinkanal im Zwinger. Anhand eines alten Plans prüfen sie, wo der Anschluss ans kleine Abwassernetz am Theaterplatz liegen könnte. © Sven Ellger

Dresden. Bereits seit über zwei Jahren untersucht Hartmut Olbrich mit seinem Team vom Landesamt für Archäologie den Zwingerhof. Damit leisten sie die Vorarbeit, damit der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) den Zwingerhof sanieren kann.

An diesem Tag hat der promovierte Bauhistoriker und Archäologe mit Frank Männig einen Fachmann im Zwingerhof an seiner Seite, der sich als Gebietsleiter Kanalnetzbetrieb bei der Stadtentwässerung bestens mit dem Dresdner Abwassernetz auskennt. Denn bei den Grabungen wurden auch uralte Kanäle freigelegt, deren mögliche Anschlüsse in das umliegende Netz Olbrich einordnen will.

Die Entdeckung: Ältester Kanal vor 350 Jahre gebaut

Mindestens drei unterschiedliche Sandsteinkanäle haben die Archäologen im Zwingerhof freigelegt. Kanalnetzchef Männig hat einen alten Leitungsplan für das Gebiet aus der Zeit um 1800 mitgebracht, den er vom Landesamt für Denkmalpflege hat. Das sieht er als Möglichkeit, um mögliche Anschlüsse auf der anderen Seite des heutigen Zwingers zu erkennen.

Direkt neben der Freitreppe der Gemäldegalerie haben die Archäologen ein Stück des ältesten Kanals im Zwingerhof freigelegt.
Direkt neben der Freitreppe der Gemäldegalerie haben die Archäologen ein Stück des ältesten Kanals im Zwingerhof freigelegt. © Sven Ellger

Direkt neben der Freitreppe vor der Gemäldegalerie haben die Archäologen den ältesten Sandsteinkanal freigelegt, der aus der Hofmitte in Richtung Theaterplatz verläuft. Experte Olbrich geht davon aus, dass er in den 1670er-Jahren im Zuge des Baus des zweiten Reithauses angelegt wurde, da er klar nach dem Gebäude ausgerichtet ist. Das ist einer der Vorgängerbauten im Bereich des heutigen Zwingers. Damit ist der Kanal rund 350 Jahre alt.

Auf dieser Grafik sind der Verlauf der alten Stadt- und Festungsmauern sowie die Standorte der einstigen Festbauten im Bereich des heutigen Zwingers zu sehen.
Auf dieser Grafik sind der Verlauf der alten Stadt- und Festungsmauern sowie die Standorte der einstigen Festbauten im Bereich des heutigen Zwingers zu sehen. © SZ Grafik

Zwischen 1672 und 1678 wurde auch ein Schießhaus zum Festschießen gebaut. Zudem entstand bis 1691 ein Redoutenhaus für höfische Tanzveranstaltungen. Als August der Starke 1694 Kurfürst wurde, folgte noch ein Komödienhaus (siehe Grafik). Erst ab 1709 ließ er den Zwinger errichten. Das Gebäude der heutigen Gemäldegalerie wurde erst 1855 übergeben.

Die Erkenntnis: Italiener nutzten Kanal für ihr Dörfchen

Der Kanalnetzchef ist nicht nur über das heutige Leitungssystem gut im Bilde, sondern hat sich auch mit der Geschichte befasst. Die alten Kanäle im heutigen Zwingerhof hatten nach Erkenntnissen der Archäologen auch Anschlüsse ans benachbarte Netz. Auf dem Theaterplatz gibt es Dresdens ältestes noch genutztes Kanalnetz. In den Plänen der Stadtentwässerung ist das etwa 200 Meter lange System mit dem Baujahr 1871 ausgewiesen. Die aus Sandsteinquadern gebaute Hauptröhre ist 1,40 Meter hoch, die flacher liegenden Querkanäle 50 Zentimeter. Eine ehemalige Kollegin hatte Männig jedoch erzählt, dass es deutlich älter sein muss. Sein Forscherdrang war geweckt.

Unter dem Theaterplatz liegt Dresdens ältester Kanal, durch den heute aber nur noch Regenwasser fließt.
Unter dem Theaterplatz liegt Dresdens ältester Kanal, durch den heute aber nur noch Regenwasser fließt. © Sven Ellger

"Ich habe mich danach intensiv damit befasst", nennt der Abwasserfachmann den Ursprung. Er schaute sich alte Stadtpläne an und stellte fest, dass die Kanäle nicht zur Bebauung des Theaterplatzes im späten 19. Jahrhundert passten. Sehr wohl jedoch zur Struktur des Italienischen Dörfchens und des Morettischen Opernhauses, das danebenstand.

Das Italienische Dörfchen wurde Mitte des 18. Jahrhunderts errichtet, als auch die Hofkirche gebaut wurde. Deren italienischer Architekt Gaetano Chiaveri hatte dafür Handwerker und Künstler aus seinem Heimatland nach Dresden geholt. Vom Italienischen Dörfchen wurde nach Männigs Erkenntnissen offenbar das Abwasser durch diese Kanäle abgeleitet. Das bestätigt auch der alte Lageplan.

Kanalnetzchef Frank Männig inspizierte vor einigen Jahren den Sandsteinkanal unterm Theaterplatz. Er hatte herausgefunden, dass er wesentlich älter ist als im Plan verzeichnet.
Kanalnetzchef Frank Männig inspizierte vor einigen Jahren den Sandsteinkanal unterm Theaterplatz. Er hatte herausgefunden, dass er wesentlich älter ist als im Plan verzeichnet. © Peter Hilbert

Männig ging bisher davon aus, dass der Kanal mit dem italienischen Dörfchen gebaut wurde. Doch der jetzt von den Archäologen freigelegte älteste Kanal im Zwinger führt genau in die Richtung, wo auf der anderen Seite der Gemäldegalerie auch ein Kanal-Anschluss auf dem alten Plan verzeichnet ist. "Das ist für mich eine interessante Neuigkeit", sagt Männig. "Möglicherweise sind die Kanäle auf dem Theaterplatz älter das Italienische Dörfchen. Von der Bauweise dürfte es passen." Der vorhandene alte Kanal könnte dann vom Hüttendorf genutzt worden sein. Von dort floss damals das Abwasser mit dem Kaitzbach in einen Auslass unterhalb der Augustusbrücke.

Der zweite Kanal: Steine vom Reithaus-Abbruch genutzt

Nur einen Steinwurf neben dem ältesten liegt auch der freigelegte zweitälteste Kanal. Er stammt aus der Zeit ab 1710, als der Zwinger bereits in Bau war. Das erkennt Archäologe Olbrich auch daran, dass ehemalige Werksteine mit Resten von Profilen, so genannte Spolien, vom Abbruch der Vorgängerbauten des Zwingers stammen.

Das ist der zweitälteste Kanal im Zwingerhof, der um 1710 gebaut wurde. Die Sandsteine mit den teilweise auf Sichtbarkeit gearbeiteten Flächen verdeutlichen, dass sie vom Abbruch von Vorgängerbauten des Zwingers stammen.
Das ist der zweitälteste Kanal im Zwingerhof, der um 1710 gebaut wurde. Die Sandsteine mit den teilweise auf Sichtbarkeit gearbeiteten Flächen verdeutlichen, dass sie vom Abbruch von Vorgängerbauten des Zwingers stammen. © Sven Ellger

"Die Steine, die wir zuordnen können, sind vom zweiten Reithaus", erklärt er. "Es sind aber leider keine aufwändigen Ornamente darunter."

Der dritte Kanal: Vor Fürstenhochzeit gebaut

Das dritte Kanalsystem mit quadratischen Deckplatten datiert der Experte auf annähernd 1718/1719. Zu dieser Zeit wurde der Zwingerhof bereits als Festplatz für die Fürstenhochzeit von Augusts Sohn Kurprinz Friedrich August im September 1719 hergerichtet und die große Fläche musste aufwändig entwässert werden.

Dieser Kanal wurde 1718 im Zwingerhof angelegt. Damit ist er der Drittälteste.
Dieser Kanal wurde 1718 im Zwingerhof angelegt. Damit ist er der Drittälteste. © Sven Ellger

"Für mich ist es natürlich interessant, wie die Kanäle im Zwinger mit den Kanalsystemen in den umliegenden Gebieten zusammenhängen", sagt der Archäologe mit Blick auf Männigs Erklärungen.

Die Sanierung: Grabungen im Herbst, Bau 2024 beendet

Für die archäologischen Grabungen investiert der Freistaat insgesamt rund eine halbe Million Euro. Wegen der vielen Funde dauern sie etwas länger als geplant. Im Herbst will Olbrichs Team jedoch fertig werden.

Der Zwingerhof ist derzeit eine Großbaustelle. Während Archäologen noch den Untergrund erkunden, sind schon viele Arbeiten geschafft worden.
Der Zwingerhof ist derzeit eine Großbaustelle. Während Archäologen noch den Untergrund erkunden, sind schon viele Arbeiten geschafft worden. © Sven Ellger

Der SIB plant, bis Ende 2024 den Zwingerhof auszubauen. Dafür investiert der Freistaat knapp 15 Millionen Euro.