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Dresdner für 15 Jahre in Kuba inhaftiert: "Man hat die Angst in seinen Augen gesehen"

Auf Familienbesuch in Havanna filmt ein Deutsch-Kubaner mit dem Handy Demonstrationen - und bekommt 15 Jahre Haft. Zwei Jahre später macht sich seine Frau in Dresden große Sorgen um seinen Zustand.

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"15 Jahre Haft schafft mein Mann nicht": Silke Frometa Compte, Ehefrau des in Kuba Inhaftierten und Maria (l) und Janie (r), seine Töchter.
"15 Jahre Haft schafft mein Mann nicht": Silke Frometa Compte, Ehefrau des in Kuba Inhaftierten und Maria (l) und Janie (r), seine Töchter. © dpa

Havanna. Lange hatte sich der Frust bei den Kubanern angestaut. Vor zwei Jahren entlud er sich in den wohl größten Protesten seit der Revolution von 1959. Frust über stundenlanges Schlangestehen für immer magerere Lebensmittelrationen, über Mangel an Medikamenten und medizinischer Ausrüstung inmitten einer Pandemie, ewige Stromausfälle, einstürzende Häuser, politische Repression.

Am 11. Juli 2021 fand im Ort San Antonio de los Baños eine seltene Demonstration statt. Noch bevor die Regierung das Internet drosselte, wurden Videos in sozialen Medien verbreitet. In zahlreichen anderen Teilen des kommunistischen Karibikstaates gingen Tausende Menschen, überwiegend friedlich, auf die Straße, forderten Freiheit oder riefen "Wir haben Hunger". Die Sicherheitskräfte lösten die Proteste mit Gewalt auf, diese flammten am nächsten Tag aber noch einmal auf.

Luis Frómeta Compte war damals zu Besuch bei seinen Geschwistern in La Güinera, einem armen Stadtteil am Rande der kubanischen Hauptstadt. Von dort war er 1985 mit 22 Jahren als Gastarbeiter nach Dresden gegangen, wo er eine Ausbildung zum Forstfacharbeiter machte, Vater zweier Töchter und 1997 deutscher Staatsbürger wurde.

"Die Psyche ist definitiv hin bei ihm": In Kuba inhaftierter Luis Frómeta Compte.
"Die Psyche ist definitiv hin bei ihm": In Kuba inhaftierter Luis Frómeta Compte. © Janie Frometa Compte

"Man hat richtig Angst in seinen Augen gesehen"

Am 12. Juli ging er mit seinem Schwager eine Flasche Rum kaufen, wie seine Ehefrau Silke Frómeta Compte, die in Dresden geblieben war, der Deutschen Presse-Agentur erzählt. Draußen fand eine Demo statt, sie schlossen sich an. Es war einer der letzten Proteste, und der vielleicht blutigste. Steine flogen, ein Demonstrant wurde von der Polizei erschossen. Frómeta Compte filmte mit seinem Handy und wurde festgenommen. Auf einem Video ist zu sehen, wie er von Männern in zivil mit Schlagstock an der Kehle weggezerrt wird. "Man hat richtig die Angst in seinen Augen gesehen. Furchtbar", sagt seine Frau.

Ihr zufolge wurde ihr Mann im Verhör geschlagen und gedrängt, zu gestehen, dass ihn Deutschland und die EU bezahlt hätten, die Demonstrationen anzuzetteln. Er habe davon eine Verletzung am Kopf, die nie behandelt worden sei. Ihm sei mit dem Erschießen gedroht worden, wenn er nicht rede. Er habe aber nichts gemacht und daher auch nichts gestanden.

Die deutsche Botschaft in Havanna unterstützt Frómeta Comptes Familie - etwa im Umgang mit Behörden, ihr wird der Zugang zu ihm aber verwehrt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzte sich laut einem Sprecher vor kurzem in einem Brief an den kubanischen Präsidenten Miguel Díaz-Canel für Frómeta Comptes Freilassung ein.

Silke Frómeta Compte und die Töchter ihres Mannes schreiben ihm Postkarten, obwohl ihm keine Post ausgehändigt wird, wie sie erzählt. "Wir bombardieren die mit Karten." Einmal im Monat demonstrieren sie in Dresden. "Ich liebe meinen Mann über alles und kämpfe bis zum letzten Atemzug meines Lebens, dass er freikommt." Sie mache das auch für seine drei Enkel. "Weil die vermissen ihren Opa auch ganz doll."

Die Familie Frómeta Compte ist kein Einzelfall. Nach Zahlen der Menschenrechtsgruppe Justicia 11J wurden im Zuge der Proteste des 11. Juli mehr als 1.500 Menschen festgenommen. Mehr als 700 sitzen demnach noch immer im Gefängnis, viele haben langjährige Strafen bekommen. Es hat seither vereinzelt kleinere Proteste gegeben, aber die meisten Aktivisten und Dissidenten sind entweder in Haft oder im Exil.

25 Jahre kubanische haft wegen Aufruhr

Frómeta Compte wurde wegen Aufruhr zu 25 Jahren Haft verurteilt, später wurde die Strafe auf 15 Jahre reduziert. "15 Jahre schafft mein Mann nicht", sagt seine Frau. Er habe Bluthochdruck, Schilddrüsen- und Rückenprobleme. Er sei ergraut und habe den Glanz in seinen Augen verloren. "Die Psyche ist definitiv hin bei ihm."

Im berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis Combinado del Este muss sich der 60-Jährige ihr zufolge nun eine Zelle ohne Fenster mit 30 Schwerverbrechern sowie Kakerlaken und Ratten teilen. Seine Familie könne ihn einmal im Monat besuchen und ihm Essen mitbringen. Die Rationen im Gefängnis seien um 70 Prozent reduziert worden.

Die 57-Jährige, die für ein Logistikunternehmen arbeitet, oft nachts, hat bisher zweimal die teure Reise nach Kuba zu ihrem Mann gemacht, zuletzt im März. Sie habe ihn insgesamt dreimal für je eine halbe Stunde sehen dürfen. "Meine Psyche, die ist auch komplett am Ende."

In der Folge des 11. Juli verschafften sich aber auch neue Stimmen Gehör. Amelia Calzadilla war damals mit 30 Jahren Führungskraft bei einem staatlichen Tourismusunternehmen. Ihr Vater hatte an der Seite von "Che" Guevara gekämpft; sie war in den kommunistischen Jugendgruppen aktiv, habe an 42 Veranstaltungen mit Fidel Castro teilnehmen dürfen.

Nach den Protesten seien auf der Arbeit alle angewiesen worden, deren Befürworter in sozialen Medien zu konfrontieren. Daraufhin habe sie gekündigt, erzählt Calzadilla der dpa. "Ich habe nie daran gedacht, auf die Straße zu gehen oder so; ich werde aber auch nicht die Leute angreifen, die es tun, weil es ihnen schlecht geht."

In der Geschichte Kubas gebe es ein vor und ein nach dem 11. Juli, meint sie. Der Unterschied zu früheren Protesten sei, dass das Geschehen dokumentiert werden und die Welt mehr als nur die offizielle Version der Regierung erfahren konnte. Sie deutet auf ihr Smartphone: "Das gab es früher noch nicht." Inzwischen prangert die dreifache Mutter selbst in Live-Videos auf Facebook Missstände an. (dpa)