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Rechtsextreme Stadtfest-Schläger verurteilt

2016 haben mehrere Dutzend Täter auf dem Dresdner Stadtfest gezielt Jagd auf Ausländer gemacht. Nach zwei Jahren endet nun der Prozess.

Von Alexander Schneider
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Christian L. (l.) und René H. wurden am Freitag am Landgericht Dresden verurteilt. Schon zum zweiten Mal gemeinsam.
Christian L. (l.) und René H. wurden am Freitag am Landgericht Dresden verurteilt. Schon zum zweiten Mal gemeinsam. © Archiv SZ

Dresden. Am Freitag verurteilte das Landgericht Dresden zwei weitere Täter, die sich an den fremdenfeindlichen Angriffen auf Flüchtlinge beim Dresdner Stadtfest im August 2016 tatkräftig beteiligt hatten. René H., zuletzt Inhaber einer Sicherheitsfirma, wurde wegen gefährlicher Körperverletzung in neun Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt.

Der 35-Jährige sei der Organisator und Anführer der „rechtsextremen kleinen Bürgerwehr“ gewesen, die das Ziel gehabt habe, bei dem Fest Gewalt gegen Flüchtlinge auszuüben. Er habe die Gruppe von mindestens 25 Tätern angeführt und einem Afghanen unterhalb der Augustusbrücke ohne Vorwarnung den ersten Faustschlag verabreicht. Das sagte der Vorsitzende Richter Christian Linhardt in seiner Urteilsbegründung.

Der Mitangeklagte Christian Leister erhielt drei Jahren und zehn Monate Haft. Anders als H. sei der 31-Jährige erheblich und einschlägig vorbestraft. Seine Strafe fasste das Gericht zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten zusammen, in der auch zwei Urteile aus Thüringen enthalten sind – Angriffe auf Punker und Polizisten aus dem Jahr 2015.

Prozessbeginn im September 2019

Der Prozess hatte bereits im September 2019 begonnen. Die Angeklagten selbst machten keine Angaben zu den Vorwürfen. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte für L. etwas mehr – sechs Jahre – gefordert und für H. etwas weniger – drei Jahre und drei Monate. Die vier Verteidiger hatten auf Freispruch plädiert. Ihrer Meinung nach sei es in der rund 50-tägigen Hauptverhandlung nicht möglich gewesen, ihren Mandanten eine Beteiligung an dem rassistischen Fanal nachzuweisen. Insbesondere kritisierten sie den 34-jährigen Hauptbelastungszeugen als nicht glaubwürdig.

Der Vorsitzende Richter befasste sich daher in seiner etwa einstündigen Urteilsbegründung ausführlich mit der Aussage des „Kronzeugen“, der selbst an den Angriffen mitgewirkt hatte und bereits 2018 verurteilt worden war. Erst Anfang dieses Jahres wurde der Mann in der Hauptverhandlung über mehrere Sitzungstage vernommen.

Zwar habe der Zeuge in verschiedenen Vernehmungen „erhebliche Diskontinuitäten“ offenbart, insgesamt sei die Kammer jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass die Aussage des Mannes "im Kernbereich überzeugend" sei. Auch ein Belastungseifer habe man nicht erkennen können, so wäre es dem Zeugen leicht möglich gewesen, den Tatbeitrag der Angeklagten weit negativer darzustellen.

Hitler-Zeug und Hakenkreuze

Die Angeklagten hatten aus einer nationalsozialistischen Gesinnung heraus gehandelt, was die Kammer strafschärfend gewertet habe, so Linhardt. Bei René H. seien etwa ein T-Shirt mit einem Hakenkreuz sichergestellt worden, ein Foto zeige ihn in Hitlergruß-Pose zu sehen, er interessiere sich auch für die arische Bruderschaft und ähnliches mehr. Auch bei Christian L. seien NS-Devotionalien gefunden worden, in einem Brief aus der Haft habe er Mitgefangene als „genetischen Abfall“ bezeichnet.

Die neun Verletzten aus Afghanistan und dem Irak leiden zum Teil heute noch erheblich an den Folgen ihrer Verletzungen, physisch wie psychisch. Ein Opfer habe mehrfach operiert werden müssen, ihm hatte nach einem heftigen Tritt gegen den Kopf von einem bislang unbekannten Täter eine Platte im Kopf eingesetzt worden. Ein Mann war schwerbehindert, weil ihm in seiner Heimat eine Bombe beide Hände weggerissen hatte.

Positiv wurde im Strafmaß berücksichtigt, dass bei L. seit 2018 ein Umdenkprozess zu beobachten und er von 2002 bis 2009 Sanitäter gewesen sei. H. sei nicht vorbestraft, habe ein geregeltes Leben geführt und in der Untersuchungshaft an einem politischen Bildungsangebot teilgenommen.

Manche Verteidiger hatten argumentiert, die Bürgerwehr sei angeblich eine Folge der staatlichen Ohnmacht angesichts der sexistischen und körperlichen Gewalttaten von Ausländern während der Silvesternacht in Köln gewesen. Darauf erwiderte Linhardt, das Gewaltmonopol liege beim Staat. Er gestattet sich daher – und weil Verteidiger selbst das „Germanen-Recht“ angeführt hatten – einen „Exkurs“, in dem er auf die Grundpfeiler des modernen Staates einging, „was eigentlich gehobenes Schulwissen ist“.

Danach sei selbst die staatliche Gewalt durch Gesetze gebunden und werde etwa durch die Gewaltenteilung kontrolliert, um den Bürgern einen „Landfrieden“ zu garantieren. Auch wenn die Angeklagten aus strafrechtlichen Gründen nicht dafür verurteilt wurden, sie hätten mit dem Auftreten der „kleinen Bürgerwehr, die die Gewalt in ihre Hände genommen hat“ einen Landfriedensbruch begangen.

Beiden Tätern drohen weitere Urteile

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Darüber hinaus drohen den Angeklagten aufgrund weiterer Urteile insgesamt weit höhere Haftstrafen. René H. wurde erst im September 2020 in einem weiteren, langen Staatsschutz-Prozess am Landgericht Dresden zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Er habe sich 2015 an Überfällen der rechtsextremen „Freien Kameradschaft Dresden“ und der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“ beteiligt. Auch dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Im selben Prozess erhielt auch Christian L. eine Freiheitsstrafe, weil er sich im Januar 2016 an rechten Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz beteiligt hatte.

Während Christian L. derzeit auch dafür im Gefängnis sitzt, weil er am Rande einer rechtsextremen Demo am 1. Mai 2015 im thüringischen Saalhausen Punker geschlagen hatte, droht auch René H. dafür ein weiteres Urteil. Er wurde nach SZ-Informationen gemeinsam mit weiteren Dresdnern am Amtsgericht Rudolstadt angeklagt. Diese und weitere Taten sind unter dem Stichwort „Reisegruppe 44“ bekannt geworden.

Nur wenige Stadtfest-Schläger identifiziert

Mit René H. als Organisator und Christian L. sind nun fünf Täter als Mitglieder der „kleinen Bürgerwehr“ vom Stadtfest 2016 verurteilt worden. Ein weiterer Beschuldigter sei jüngst angeklagt worden, heißt es aus Ermittlerkreisen. Der geplante Auftritt dieser fremdenfeindlichen Schläger-Truppe war lange ein Rätsel.

Am Sonntag, 21. August 2016, hatten gegen Mitternacht zwei bis drei Dutzend Täter gezielt Jagd auf Flüchtlinge gemacht und mindestens 15 Männer und Frauen verletzt, die bis dahin auf den Neustädter Elbwiesen die Nacht genossen hatten. Selbst im Herbst 2018 konnte wohl kaum noch jemand ernsthaft damit rechnen, dass eine der schwersten rechtsextremen Gewalttaten Dresdens der vergangenen Jahre aufgeklärt werden könnte.

Gerade zwei Täter waren bis dahin von der Justiz verurteilt worden. Ein Heranwachsender, der seine Beteiligung daran im Rahmen eines weit größeren Verfahrens gestanden hatte, und ein 34-Jähriger, der die Vorwürfe vehement bestritten hatte – und schließlich im Jahr 2018 in zweiter Instanz auch dafür verurteilt wurde. Er ist der Kronzeuge des jüngsten Prozesses.

Im Dezember 2018 meldete sich dieser 34-Jährige bei der Polizei, gab zu, selbst an den Stadtfest-Angriffen mitgewirkt zu haben, und belastete drei weitere mutmaßliche Mittäter. So wurden die Ermittlungen gegen Christian L. und René H. sowie einen zur Tatzeit Heranwachsenden wieder aufgenommen. Letzterer wurde Anfang 2020 am Amtsgericht Dresden zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt – neben dem Stadtfest-Überfall auch für den rechten Überfall in Leipzig-Connewitz. Auch dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig.