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Warum Wohnungseigentümer in Dresden mit dem Bauträger Baywobau streiten

Rund 300 Mängel soll es im Wohngebiet Heidepark in Dresden geben. Die Sache geht nun vor Gericht. Ist es das wert? Oder ist der Streit nur Ausdruck von recht haben wollen?

Von Ulrich Wolf
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René Böhme (links) und Norbert Zeidler haben zwei Wohnungen im Dresdner Heidepark gekauft. Seit Jahren streiten sie mit ihrem Bauträger um Mängel.
René Böhme (links) und Norbert Zeidler haben zwei Wohnungen im Dresdner Heidepark gekauft. Seit Jahren streiten sie mit ihrem Bauträger um Mängel. © © Foto: Matthias Rietschel

Abgeschirmt von Palisaden und Sandsteinmauern inmitten alter Bäume liegen die sieben Wohnhäuser am östlichen Stadtrand von Dresden. „Heidepark“ heißt das Areal. In den Beeten vor den Viergeschossern dürsten Heidepflanzen; sie sind die Namensgeber der Gebäude. Das Haus mit der Nummer 8g heißt Armeria, das ist die lateinische Bezeichnung für die Grasnelke. Dort lebt René Böhme.

Zur Erdgeschosswohnung des 63-Jährigen gehören eine Terrasse und ein kleiner Garten. In der offenen Wohnküche glänzt eine weiße Küche, seine Bücher sind in einer Vitrine aus Holz und Glas. Im Flur steht ein Bauernschrank von 1816. Mehr als drei Jahrzehnte lang arbeite Böhme als freiberuflicher Restaurator, sanierte unter anderem eine denkmalgeschützte Villa. „Wirtschaftlich war das Schwachsinn, aber es hat Spaß gemacht“, sagt er. Für die Gestaltung seines früheren Ateliers in Pulsnitz gab’s 2002 den Deutschen Fassadenpreis. Was Bausachen angeht, ist Böhme zumindest nicht ahnungslos.

Ortswechsel. Berndt Dietze sitzt Anfang Juli in einem Restaurant in der Stadtmitte. Das heißt „Platzhirsch“. Der Name passt irgendwie zu seinem Arbeitgeber, den Baywobau-Konzern mit Sitz in München. Dietze leitet dessen Dresdner Niederlassung. Die ist vielleicht nicht der, aber zumindest einer der Platzhirsche bei Bauprojekten in der Landeshauptstadt: Das Schlosseck am Neumarkt gehört zu den Referenzen, diverse Gebäude am Postplatz, ein Campus an der Universität. „Unglaubliche Verdienste für diese Stadt“ habe Dietze, urteilt die Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden. Die Leser der Dresdner Neuesten Nachrichten kürten den 79-Jährigen zu einem von zehn Dresdner des Jahrzehnts 2010 bis 2020. Schon sein Vater hatte einen kleinen Baubetrieb, in dem er mit anpacken musste. Was Bausachen angeht, ist auch Dietze zumindest nicht ahnungslos.

Was Böhme und Dietze verbindet: Der eine wohnt in einem der Häuser, die der andere gebaut hat. Weshalb es seit Jahren Streit gibt. Der Heidepark ist ebenfalls ein Baywobau-Projekt. Die Firma organisierte als Bauträger zwischen 2014 und 2016 den Bau und Verkauf der sieben Stadthäuser. 51 Wohnungen gibt es dort, sie kosteten zwischen 300.000 und 500.000 Euro. Ein Drittel der Eigentümer sind reine Kapitalanleger, die anderen Eigennutzer.

Warum ein Schlichtungsversuch Ende 2016 scheitert

Wie Böhme. Er sagt, er habe sich ab 2014 nach einer Wohnung in Dresden umgeschaut. Im Heidepark sei er fündig geworden. Doch schon bei der Besichtigung seiner heutigen Wohnung 2016 habe er "Auffälligkeiten" festgestellt und mit der Baywobau diskutiert. Er ließ einen Gutachter kommen, schrieb Mails und Briefe. Ende 2016 habe Dietze ihm die Rückabwicklung des Kaufvertrages angeboten.

Tatsächlich existiert ein Brief von Baywobau-Chef Dietze vom 16. Dezember 2016, der Sächsische.de vorliegt. In dem Schreiben behauptet der Bauträger jedoch, Böhme selbst habe die Offerte gemacht. Dietze bezeichnete die Rückabwicklung damals „als einen sehr guten Weg, um den ständig zu erwartenden Auseinandersetzungen, welche für beide Seiten sehr unschön sind, zu entgehen“. Doch, sagt Dietze heute, der Mann habe ganz genau gewusst, was er da „für eine Perle an Wohnung“ hat. Das Angebot sei nur Schau gewesen. Klar, ein Restaurator gucke in jede Ecke, aber Böhme sei ein „Eiferer und Rechthaber“. Es sei „ein großer Fehler“ gewesen, ihm die Wohnung zu verkaufen.

Dresdens Baywobau-Chef Berndt Dietze schlägt auf einer Baustelle in der Innenstadt beim Richtfest 2019 einen Nagel ein.
Dresdens Baywobau-Chef Berndt Dietze schlägt auf einer Baustelle in der Innenstadt beim Richtfest 2019 einen Nagel ein. © Archivbild: Rene Meinig

René Böhme hat Besuch. Am Esstisch seiner Küche sitzt der Bauingenieur Norbert Zeidler. Der könnte mit seinen 70 Jahren längst Ruheständler sein, doch es treibt ihn immer noch um die Welt. In Nepal hilft er derzeit beim Bau einer Wasserkraftanlage. Nun ist er aber wieder mal in seiner Heimatstadt. Zeidler hat im „Grasnelken“-Haus die oberste Wohnung gekauft. Er, Böhme und die anderen Bewohner im Heidepark bilden eine Eigentümergemeinschaft. Deren Interessen vertritt Zeidler als sogenannter Verwaltungsbeirat. Er lobt Böhme und seine „fundierten Kenntnissen zu Baufragen in den verschiedensten Mängelbereichen“.

Der Restaurator hat nicht nur Mängel in seiner eigenen Wohnung aufgelistet. Er erinnert sich: „Ich war zu Gast bei einem Mitbewohner im dritten Obergeschoss, stand mit einem Glas Whiskey auf dem Balkon, schaute nach oben und sah, wie sich das Furnier der Dachverblendung ablöste. Das war der Auslöser.“ Seitdem reihe sich Akte an Akte, mindestens 1.200 Stunden habe er damit verbracht. Es geht um Fehler am Dach, um Probleme bei der Entwässerung, um falsch eingesetztes und verarbeitetes Material. Bestätigt und geprüft von Gutachtern. Die Mängel hätten die Baywobau beziehungsweise deren Generalunternehmer Rommel-Bau zu verantworten. Böhme vermutet in dieser Firma einen "Handlanger der Baywobau", um eventuelle Probleme abzufangen und weiterzureichen an die eigenen Subunternehmen. Mindestens 15 sollen es gewesen sein beim Bau des Heidepark-Areals. „Wenn wir uns nicht wehren, ist das hier in zwei, drei Jahren ein Randviertel.“

So recht wollen die Vorwürfe nicht passen zum bisher eher sauberen Image der Baywobau und ihres Chefs. Oder sind Böhme & Co. nur die Ersten, die es wagen, sich gegen einen Großen der Branche zu wehren? David gegen Goliath?

Das jüngste Projekt der Baywobau umfasst den Bau von zwei- bis dreietagigen Stadthäusern im Universitätsviertel von Dresden.
Das jüngste Projekt der Baywobau umfasst den Bau von zwei- bis dreietagigen Stadthäusern im Universitätsviertel von Dresden. © Archivbild: Christian Juppe

Zu den Vorzeige-Projekten der Baywobau gehört auch die Wiederbelebung des einstigen Lahmann-Sanatoriums auf dem Weißen Hirsch, wo schon der Literat Thomas Mann kurte. Böhme und ein weiterer Eigentümer versichern schriftlich, Dietze habe erzählt, dass die Baywobau dort „so viel Ärger um Mängel, Einbußen und Verluste erlitten hat, dass man im Heidepark sparen und billig bauen musste“. Dietze widerspricht. Er müsse sich an Vertrag und die Baubeschreibung halten. Er könne gar nicht nach Gutdünken vermeintlich billigeres Material bestellen. Der Billigbau-Vorwurf sei "purer Unsinn" und ein Mittel der "uns hassenden Eigentümer, um uns zu diskreditieren".

Der Umgang mit den Mängeln ist ein Dauerthema unter den Eigentümern. Sämtlicher Schriftverkehr dazu hat Beiratschef Zeidler in einer passwortgeschützten Cloud abgelegt. Dort finden sich 55 Dateiordner mit 1.647 Seiten: Gutachten, Stellungnahmen, Anwaltsschreiben, Skizzen, Fotos, Aufrisse, Einladungen, Briefe, Protokolle, Mails. Auf den Eigentümerversammlungen stand der Umgang mit der Baywobau seit 2019 mindestens achtmal auf der Agenda.

Die harte Linie findet nicht nur Zustimmung

Das Thema ist keineswegs unstrittig. Ein Eigentümer schreibt Ende 2021: „Ich denke, dass (…) anstatt eines jahrelangen Rechtsstreits vernünftige Kompromisse nötig sind. Und das sehe ich nicht als die Stärke eines Herrn Böhme.“ Ein anderer gibt zu bedenken: „Auch, wenn ich Hr. Böhmes Engagement schätze, so hat er als Bullterrier eine rote Linie überschritten“. Ein von den Eigentümern bestellter Gutachter gab im Mai 2021 seinen Auftrag zurück; er kritisierte eine angebliche Kompromisslosigkeit seitens der Wohnungsinhaber. Für Baywobau-Chef Dietze sind das Indizien, dass Böhme die Eigentümer steuert. Der kontert: In der Regel agierten Eigentümergemeinschaften sehr träge, die wenigsten wehrten sich "auch aus Unkenntnis über Umfang und Gewicht der Mängel" gegen ihren Bauträger. „Wir aber ziehen das jetzt durch.“

René Böhme und Norbert Zeidler organisieren die Auseinandersetzung um Baumängel in der Heidepark-Siedlung. Die Häuser sind nach typischen Heidepflanzen benannt.
René Böhme und Norbert Zeidler organisieren die Auseinandersetzung um Baumängel in der Heidepark-Siedlung. Die Häuser sind nach typischen Heidepflanzen benannt. © © Foto: Matthias Rietschel

Dresden, Mitte April. Die Heidepark-Eigentümer sind zu einer außerordentlichen Versammlung in einen Businesspark in Dresden geladen. Ein Mitarbeiter der Hausverwaltung kontrolliert die Stimmberechtigungen. Insgesamt sind 48 der 51 Eigentümer vertreten, jedoch nur zehn in Präsenz. Alle anderen haben Vollmachten erteilt. Wichtigster Tagesordnungspunkt ist erneut der Streit mit der Baywobau. Es liegt der Antrag vor, beim Landgericht Dresden ein Beweissicherungsverfahren anzustreben. Der für die Eigentümergemeinschaft tätige Anwalt erklärt: „Das setzt die Verjährung aus.“ Und macht deutlich: „Gehen wir vor Gericht, ist ein Vorschuss fällig.“ Zudem müssten die dann vom Gericht bestellten Gutachter bezahlt werden. Die seien bei Weitem nicht komplett erstattungsfähig. Meist verständigten sich die Parteien in dem Beweisverfahren, dann würden die Kosten geteilt. Verständigten sie sich nicht, komme es zu einer Klage. Der Gewinner könne dann sämtliche Kosten von der Gegenseite verlangen. Trotz der Unwägbarkeiten beschließt die Versammlung mit 38 Ja-Stimmen, „über die von der Baywobau (…) abgelehnten bzw. nicht anerkannten (…) Nacherfüllungs-, Mängelbeseitigungs- sowie Gewährleistungsansprüche (…) ein selbstständiges Beweisverfahren einzuleiten“.

Das Gericht beschäftigt sich jetzt mit Dichtstofffugen

Ende Juni jubilieren Böhme und Zeidler. „Es ist geschafft!“, teilen sie der Eigentümergemeinschaft mit. „Unser Beweisantrag wurde fristgerecht übermittelt.“ In dem Dokument sind 349 angebliche Mängel aufgelistet bei Balkonen, Dachterrassen, Wohnungstüren, Treppenhäusern, Fenstern, Kellern, Tiefgarage, Fassaden, Carports, Beleuchtung und Zäunen. Die Kosten für die Fehlerbeseitigung sind „vorläufig auf 800.000 Euro“ beziffert. Das Landgericht darf sich nun mit Fragen beschäftigen wie: „Wurde die Außenfensterbank am bodentiefen Fenster mit Neigung und unter Spannung eingebaut?“ Oder: „Hat die Anputzleiste des zweiflügeligen Fensters außen rechts, senkrecht einen Abstand von drei Millimeter zur Rollladenführungsschiene?“ Oder: „Sind abgerissene Dichtstofffugen im Stoßbereich von Trittschutz (Riffelblech) zu Blendrahmenprofil und Leibungsputz feststellbar?“

2015 war der Heidepark noch eine Baustelle. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren Dreiviertel der 300.000 bis 500.000 Euro teuren Wohnungen verkauft.
2015 war der Heidepark noch eine Baustelle. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren Dreiviertel der 300.000 bis 500.000 Euro teuren Wohnungen verkauft. © Archivfoto: Christian Juppe

Auf diese Entwicklung angesprochen, zuckt Dietze die Schultern. Er habe alles versucht, um die Sache aus der Welt zu schaffen, sagt er. Seine Branche werde wegen des Ukraine-Krieges und der Inflation ohnehin in eine große Krise schlittern, „da hat mir dieses Verfahren noch gefehlt“. Er betont, die Baywobau erkenne trotz "einiger Falschdarstellungen deutlich mehr als die Hälfte der beanstandeten Mängel an". Beim Rest müsse nun eben das Gericht entscheiden. „Erkennt das weitere Mängel an, gebe ich das an Rommel-Bau weiter und der wiederum beauftragt dann seinen entsprechenden Subunternehmer.“

Die Heidepark-Eigentümer haben bislang rund 130.000 Euro für inzwischen acht Gutachter sowie etwa 50.000 Euro für den Rechtsanwalt bezahlt. Böhme und Zeidler sind sich bewusst, dass der Streit sich noch weitere Jahre hinziehen kann. „Wir wollen einfach 100 Prozent vertraglich vereinbarte Bauleistung für 100 Prozent bezahlten Kaufpreis“, sagt Zeidler. Und kündigen für die nächste Eigentümerversammlung im August eine weitere Diskussion an: „Inbetrachtziehung einer Betrugsanzeige gegen die Baywobau wegen Anzahl und Umfang der Baumängel, welche deutlich das Maß versehentlicher Baumängel übersteigen und auf Vorsatz bzw. organisiertes und geplantes Vorgehen hinweist.“