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Sachsens dienstälteste Schlagzeugerin mag nicht unterrichten

Angela Ullrich gründete 1976 in Dresden die erste Mädchen-Band der DDR. Bis heute kann die Schlagzeugerin vom Rock ’n’ Roll nicht lassen und spielt jetzt in Meißen.

Von Andy Dallmann
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Schlagzeugerin mit amtlichem Hochschulabschluss: Angela Ullrich 1988 mit Agentur Null bei einem Open-Air-Konzert in Jena.
Schlagzeugerin mit amtlichem Hochschulabschluss: Angela Ullrich 1988 mit Agentur Null bei einem Open-Air-Konzert in Jena. © privat

Meißen. Nicht die Beatles, nicht die Rolling Stones, überhaupt keine Band aus dem Westen. „Unsere Helden waren die Puhdys“, sagt Angela Ullrich und gönnt sich ein breites Grinsen. „Die haben wir damals live gesehen und wir wussten nach diesem ersten Konzert sofort: Wie die wollen wir auch sein.“ Das war 1976 in Dresden, wo sich abseits der Reichweite bundesdeutscher Medien auch der Einfluss internationaler Musiktrends auf den Geschmack junger Menschen in Grenzen hielt. Dafür brannte die jäh entfachte Leidenschaft in Angela Ullrich und ihren Freundinnen umso heftiger. Die Achtklässlerinnen gründeten sofort nach ihrem Erweckungserlebnis eine Band.

„Ich war die Einzige, die kein Klavier, keine Geige, die überhaupt kein Instrument zu Hause hatte“, erinnert sie sich. „Ein Schlagzeug besaß niemand, somit blieb dieser Job frei, und ich habe ihn mir geschnappt – ohne Schlagzeug und ohne jede Ahnung.“ Sie haut sich auf die Oberschenkel und setzt förmlich den ganzen Probenraum mit ihrer Energie unter Strom. Im Keller des Kulturhauses Munzig, ein paar Kilometer von Meißen entfernt, bringt sie jetzt allwöchentlich ihre Band Crazy Birds auf Trab. Das Kulturhaus wiederum hatte sie mit ihrem Mann vor etlichen Jahren gekauft, jede Menge Konzerte und Partys veranstaltet, zuletzt aber auf Sparbetrieb umgestellt. Als Musikerin schafft sie das nicht, da ist sie nach all den Jahren noch immer auf Vollgas und auf Rock ’n’ Roll programmiert.

Röhrenradios als Verstärker

Als die Schülerinnen 1976 unter dem mittelmäßig originellen Namen Dresdner Mädchenband loslegten, waren sie tatsächlich die erste reine Mädchen-Combo in der DDR. Erst 1982 gründete Pankow-Manager Wolfgang Schubert Mona Lise, die später populärste Frauenband des Landes. Im selben Jahr benannte sich Angela Ullrichs Truppe in Na und um. Und fast etwas trotzig sagt sie jetzt, 40 Jahre später: „Wir wollten es wirklich wissen!“

Hatten sie anfangs noch mit geborgten Instrumenten, mit zu Verstärkern umfunktionierten alten Röhrenradios in der („immerhin beheizbaren!“) Garage ihre Eltern rumdilettiert, nahm das Projekt schnell Fahrt auf. „Wir waren zu dieser Zeit Autodidakten, aber mit spürbarem Ernst dabei“, sagt Angela Ullrich. „Irgendwann wurde jemand auf uns aufmerksam, hat uns in das Kulturhaus am Wasa-Platz vermittelt. Da bekamen wir einen ganzen Proberaum für uns allein und kauften die ersten richtigen Instrumente.“

Angela Ullrich mit ihrer aktuellen Band Crazy Birds. Weil drei der Musiker früher bei Electra spielten, sind etliche Songs der Dresdner Progrock-Combo im Programm.
Angela Ullrich mit ihrer aktuellen Band Crazy Birds. Weil drei der Musiker früher bei Electra spielten, sind etliche Songs der Dresdner Progrock-Combo im Programm. © PR

Die Kunde von den rockenden Mädchen machte schnell die Runde. „Kurioserweise wurden wir ziemlich schnell gebucht, obwohl uns niemand wirklich kannte. Doch je mehr wir gespielt haben, desto bekannter sind wir natürlich geworden.“ Lag das nur an der rein weiblichen Besetzung? „Ich denke mal, man hat uns schon ein bisschen belächelt. Aber die Leute waren auch fasziniert davon, dass wir so viele Songs gemacht und wild drauflos gespielt haben.“ Sie schüttelt den Kopf, lacht und erklärt: „Um englische Rock-Nummern nachspielen zu können, hatten wir uns zuvor beim Radiohören die Texte aufgeschrieben. Natürlich in einer komischen Lautschrift, denn Englisch konnte zu dieser Zeit keine von uns.“

Selbst die zunächst eher skeptischen Eltern fingen Feuer, fuhren die Mädchen zu Auftritten und halfen, wo sie nur konnten. „Wir haben häufig in Diskotheken über gute Anlage gespielt, das war cool.“ Der jeweilige DJ habe die Band als zusätzliche Attraktion in sein Programm eingebaut. Da der Saal eh stets voll war, sei es ihm egal gewesen, ob das Publikum lacht oder die Mädchen feiert. „Für uns gab es drei Mark pro Stunde und Nase, doch das bisschen Geld hat uns nicht interessiert.“

Da ging für mich die Sonne auf!

Angela Ullrich gab schon damals nicht nur den Takt vor, sie war auch die Kapellen-Leiterin, so die offizielle Bezeichnung, nachdem die Band regulär ins Konzertgeschäft eingestiegen war. „Ich wollte nie Chefin sein, war es aber komischerweise immer. Auch bei allen folgenden Projekten.“ Zunächst aber absolvierten sie und ihre Kolleginnen einen zweiwöchigen Ferienkurs der Musikhochschule, eine Mischung aus Eignungstest und Vorbereitung auf ein mögliches Musikstudium. Angela Ullrich strahlt beim Gedanken daran noch heute: „Da ging für mich die Sonne auf!“ Alles, was sie zunächst für die Zeit nach dem Abi als mögliche Perspektive im Blick hatte, löste sich in nichts auf. Sie wollte nur noch eins: Profi-Musikerin werden.

Die Besetzung der Band wechselte, Ullrich blieb stets die Konstante. Obwohl sie die erste Frau überhaupt war, die an der Dresdner Musikhochschule Schlagzeug studierte, habe sie sich dort nie als Exotin gefühlt. „Man war Student unter Studenten. Entscheidend war nur: Haste was gekonnt oder haste nichts gekonnt.“

Für die Live-Auftritte hingegen war das nicht immer wichtig. Als Studentinnen und jetzt unter dem Namen Na und tourend, hatten sie sehr viel zu tun. „Unser Manager musste nur den Telefonhörer abheben.“ Vor allem zur Unterhaltung von NVA-Soldaten waren sie extrem gefragt. Angela Ullrich: „In manchen Monaten haben wir 35 mal in irgendwelchen Kasernen gespielt. Das Frustrierende dabei: Es hätte auch gereicht, dort auf und ab zugehen.“

Zwei Musikerinnen sterben bei Unfall

Nach ihrer ersten Ostsee-Tournee wurden die Musikerinnen auf der Heimfahrt in einen Unfall verwickelt. „Meine beste Freundin Susanne Rahm, unsere Bassistin, und Keyboarderin Marion Häußler starben dabei“, sagt Angela Ullrich. „Das war schrecklich und fast das Ende der Band. Wir haben dann mit neuen Mädchen weitergemacht, aber der Spirit war weg. Die Neuen fanden es beispielsweise geil, nur über die Bühne zu laufen und dafür schon von den Soldaten gefeiert zu werden.

Der Höhepunkt der Na-und-Ära wurde zugleich zum Finale. „Wir waren 1985 in Ungarn bei einem großen Rockfestival, spielten da vor über 10.000 Leuten.“ Angela Ullrich, diese kleine, quirlige Frau, der scheinbar nichts die Laune verderben kann, wird plötzlich richtig wütend. „Alles war super und wurde noch besser: Nach dem Auftritt kam ein ungarischer Manager zu uns und lud uns ein, am selben Abend noch mal im angesagtesten Rockclub von Budapest spielen.“ Sie macht eine Pause, schüttelt sich. „Und da sagte unserer Gitarristin: Nein, das geht nicht, ich muss mich erst mal frisch machen. Da hatte ich die Schnauze voll!“ Sängerin Ina Morgenweck ging’s genauso; beide schmissen hin. „Ich hatte drei Monate Kündigungsfrist, kaum zu glauben, aber das gab es damals.“

Diese drei Monate nutzte Angela Ullrich, um an der Dresdner Musikhochschule nach Gleichgesinnten zu suchen. In Anschluss hatte sie eine neue Band, in der sie nun die einzige Frau war. 1985 startete sie mit Agentur Null.Eine Profi-Band mit entsprechenden Ansprüchen, die vor allem auf eigene Songs setzte und sich dafür von IC Falkenberg oder Fred Gertz Text schreiben ließ. Man trat beim Dresdner Wettbewerb um den Goldenen Rathausmann an und hatte danach ein Problem: „Uwe Hiob, unser Sänger, stand total auf so ein Münchner-Freiheit-Feeling“, erzählt Angela Ullrich. „Veranstalter und das Fernsehen wollten uns dann auch in diese Schlagerpop-Kiste stecken. Da hab’ ich gesagt: Passt auf Leute, das ist okay, wenn ihr das macht. Ich bin aber raus.“

Sie suchte sich noch mal eine komplett neue Besetzung zusammen, allerdings nicht an der Hochschule, sondern etwa bei einem Talente-Festival in Riesa. „Tom Vogel spielte da mit seiner Band. Ich habe gleich gesagt: Den will ich als Bassmann haben.“ Mit der neuen Truppe lief es richtig gut, man tourte durch die ganze DDR. „Legendär waren Auftritte in der Parkschänke Limbach-Oberfrohna.“ Der Wirt, der Bruder von Fußballstar Harald Irmscher; sei etwas vergesslich gewesen. „Wir kamen dort an, doch es hatte bereits eine andere Band aufgebaut. Als ich dem Wirt sagte, wir haben aber einen Vertrag mit dir für heute, hat er einfach einen Bierdeckel umgedreht, den Eintrittspreis geändert und gesagt: Die Bühne ist groß genug, stellt euch einfach mit drauf.“

"Richtiger geiler Rock" statt Schlagerpop

Mit dieser Truppe habe sie „richtig geilen Rock“ gemacht, Songs verfasst, kurz vor der Wende die Tür wieder aufgekriegt zum Rundfunk, einen ersten Song produziert. „Bevor der rauskam, fiel die Mauer. Damit war alles Makulatur. Muggen wurden abgesagt; Leute gingen, es sah plötzlich zappenduster aus.“

Zwei Jahre brauchte Angela Ullrich, um sich mit den neuen Bedingungen zu arrangieren und wieder Elan zu entwickeln. „Dann habe ich mit dem Fuß aufgestampft und gesagt: Wollen wir jetzt nicht endlich mal loslegen?“ Weil die Dresdner Band Electra gerade pausierte, holte sie sich Gitarrist Eckhard „Ecki“ Lipske und Keyboarder Andreas Leuschner ins Boot, später stieß auch Sänger und Gitarrist Gisbert Koreng dazu. Tom Vogel blieb ihr treu und so hat sie jetzt seit Jahren ihr Dreamteam zusammen. Das operiert in gleicher Besetzung unter zwei verschiedenen Namen.

Zu unruhig für den Job als Lehrerin

Als Crazy Birds spielt das Quintett Konzerte, covert internationale Hits und setzt zudem nach dem endgültigen Aus von Electra auf Songs dieser Band. Als Agentur Null gibt die Truppe wiederum ausschließlich Schulkonzerte. „Die Kids wissen über alles Bescheid, was man mit dem Computer machen kann“, so Angela Ullrich. „Aber echte Instrumente kennen sie nicht und sind immer total verblüfft, wenn sie sehen, was man damit anstellen kann.“ Schüler seien ein sehr kritisches, aber auch sehr aufmerksames Publikum.

Sollten sich speziell Mädchen nach einem Schulkonzert fürs Schlagzeug interessieren, sei ihr das ein Fest und sie vermittele sie gerne weiter an versierte Lehrer. „Aber selbst unterrichten? Nee, das ist nicht mein Ding.“ Angela Ullrich sagt, sie würde lieber als Bänkelsängerin umherziehen, niemals von der Musik lassen, jedoch ebenfalls niemals Lehrerin werden wollen. „Dafür bin ich zu unruhig. Und ich komme vom Rock ’n’ Roll einfach nicht los.“