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Stardirigent Christian Thielemann hört bei "Tristan" nicht auf Richard Wagner

Der Chef der Staatskapelle macht mit grandiosen Solisten die Oper „Tristan und Isolde“ zum Ereignis. Die Partitur ignoriert er dabei, aber nicht die Noten.

Von Bernd Klempnow
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Christian Thielemann (o.) dirigierte wieder „mit Verehrung, Respekt, Hingabe, Liebe und ein bisschen Angst“.
Christian Thielemann (o.) dirigierte wieder „mit Verehrung, Respekt, Hingabe, Liebe und ein bisschen Angst“. © Matthias Creutziger

Das ist preußische Disziplin: Exakt fünf Stunden nachdem Christian Thielemann auf seinem Pult im Graben der Dresdner Semperoper die Partitur der Oper „Tristan und Isolde“ aufgeschlagen hatte, schlug er sie nach dem letzten Ton wieder zu. Zuvor hatten er und das mucksmäuschenstille Publikum lange der verklingenden Musik nachgelauscht. Das Zuklappen der Partitur war dann das Signal zum Jubel im Saal, auf der Bühne und im Graben. Die Musiker applaudierten ungewöhnlich stürmisch ihrem Chefdirigenten zu, der ihnen. Die 1.200 im nicht ganz ausverkauften Saal feierten die Solisten sowie die Musiker frenetisch und stehend. Und auch die Sänger klatschten sich und den Musikern zu, umarmten sinnbildlich die Zuschauer.

Allen war an diesem Sonntagabend klar: Sie hatten mit der Wiederaufnahme von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ gerade Sternstunden erlebt. Seit 1995 ist diese Produktion vom Wiener Ausstatter Marco Arturo Marelli im Repertoire der Semperoper. Aber noch nie hatte bei den bisherigen 53 Vorstellungen ein so durchgängig erstklassiges Ensemble musiziert. Der Grund: Mit Christian Thielemann stand der Wagner-Experte schlechthin am Pult, der die Staatskapelle mit vielen, ganz genauen Proben auf ein solches Level hob, dass diese Musik opiatische Züge bekam. Und der Dirigent hatte die besten Interpreten für die ungemein heiklen Partien zusammengetrommelt. Selbst die kleineren Rollen wurden delikat gesungen.

"Wie sich die Herzen wogend erheben! Wie alle Sinne wonnig erbeben!“ – Szene mit Camilla Nylund und Klaus Florian Vogt in "Tristan und Isolde".
"Wie sich die Herzen wogend erheben! Wie alle Sinne wonnig erbeben!“ – Szene mit Camilla Nylund und Klaus Florian Vogt in "Tristan und Isolde". © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Dabei ignorierte der Dirigent Anweisungen des Komponisten, wonach speziell der dritte Akt so furchtbar sei, dass die Leute verrückt werden müssten, der also bitte nur mittelmäßig gut gespielt werden solle. Thielemann spricht ja von dieser Oper selbst als Büchse der Pandora, die ihn fertigmache, weshalb er „Tristan“ nur alle paar Jahre dirigiere. Trotzdem hat er das Werk wie kein Zweiter verinnerlicht, denn er schaute während der ganzen Aufführung nicht einmal in die vor ihm aufgeschlagene Partitur. Mehr noch. Sein Dirigat war ausgesprochen sparsam und zurückhaltend, er ließ der Kapelle viel Freiraum. Und die musizierte so homogen und transparent, begleitete die Sänger so traumhaft sicher und schön, dass Thielemann zu den Schlussminuten mit Isoldes Liebestod quasi nur noch mit den Fingern Zeichen gab.

Eigentlich ist diese Musik nicht fassbar. Denn Wagner reichte für sein Liebesdrama nicht ein klassisch-eruptiver Orgasmus als Höhepunkt. Er wollte ein unstillbares Sehnen und Brennen ungeheurer Liebeswonne, zu deren Erlösung eigentlich nur der Tod tauge. Dieses vertonte der dichtende Komponist mit einer anschwellenden, sich immer weiter steigernden Weise, einem Strom von so schauerlicher wie süßer Unendlichkeit und extremer Intensität. „Der ,Tristan’ geht von null auf dreihundert, darin liegt seine Brisanz, das Verführerische und Gefährliche“, sagt Thielemann. Und deshalb ist die Oper bei den Solisten so gefürchtet, weil sie stundenlang und schwerste Stellen zu singen haben. Die Isolde-Besetzungen in Dresden waren bisher sehr unterschiedlich, zuweilen spitze, zuweilen okay. Doch fast nie waren die Tristan-Darsteller den Kolleginnen ebenbürtig – auch, weil Dresden eben keine etwa Münchner Gagen zahlen kann.

Restkarten kosten zwischen 80 und 250 Euro

Diesmal aber stimmte alles. Speziell die drei Hauptpartien waren mit langjährigen Ensemble-Mitgliedern besetzt, die zwar längst als freiberufliche Sänger weltweit unterwegs sind, aber immer wieder gern in der Semperoper singen. Camilla Nylund gab erstmals in Dresden die Isolde und überzeugte mit ihrem immer noch ungemein lyrischen, leichten Sopran, der trotzdem die Schlagkraft hat, bei bestimmten Passagen über das Orchester zu kommen. Tenor Klaus Florian Vogt feierte sein Debüt als Tristan und stand nicht nur den Musikmarathon mühelos durch, sondern fügte mit seiner weich grundierten Stimmklangfarbe der Figur neue Facetten hinzu. Georg Zeppenfeld interpretierte – erneut – souverän und markant den König Marke. Exemplarisch bei allen waren das Spiel und die Textverständlichkeit – Glanzleistungen zum Niederknien.

Noch dreimal läuft dieser „Tristan“. Die Restkarten kosten zwischen 80 und 250 Euro. Das ist zweifelsfrei viel Geld. Angesichts der Tatsache, dass mit Thielemanns Weggang im Sommer nach Berlin höchstwahrscheinlich nie wieder ein „Tristan“ in der Semperoper musikalisch und sängerisch so singulär zu erleben sein wird, sollten Unentschlossene die Chance zum Besuch noch einmal abwägen.

  • „Tristan und Isolde“ am 25. und 28. 1. sowie 3. 2. in der Semperoper; Restkartentelefon 0351 4911705