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Rudert die Stadt bei der Polizeiverordnung für Dresden zurück?

Das Dresdner Rathaus wollte die Menschen verpflichten, sich von lauten Ansammlungen in der Stadt fernzuhalten. Es hagelte Kritik. Jetzt könnte der Entwurf überarbeitet werden.

Von Julia Vollmer
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Anwohner des sogenannten "Assi-Ecks" in der Dresdner Neustadt hatten geklagt, weil es ihnen nachts zu laut ist.
Anwohner des sogenannten "Assi-Ecks" in der Dresdner Neustadt hatten geklagt, weil es ihnen nachts zu laut ist. © Christian Juppe

Dresden. Der erste Entwurf zur neuen Polizeiverordnung für Dresden hat Mitte Januar für einiges Erstaunen und große Debatten gesorgt. Vor allem ein Satz wurde heftig diskutiert: "Während der Nachtruhezeiten ist jede Person verpflichtet, sich aus einer Menschenansammlung im öffentlichen Bereich zu entfernen oder von ihr fernzuhalten, wenn und solange von dieser Ansammlung unzumutbarer Lärm ausgeht."

Das würde bedeuten, dass es verboten wäre, sich zum Beispiel am "Assi-Eck", im Alaunpark, an der Elbe, im Großen Garten oder am Amalie-Dietrich-Platz zu treffen, wenn die Stadt dort "unzumutbaren Lärm" ausmacht. Was genau unter unzumutbar zu verstehen ist, ließ die Stadt in ihrem Entwurf offen.

Doch nun scheint die Verwaltung selbst noch einiges klären zu müssen. Sie hat die Polizeiverordnung von der Tagesordnung des Verwaltungsausschusses genommen.

Warum ist die Verordnung von der Tagesordnung genommen worden?

Auf Nachfrage von Sächsische.de heißt es aus dem Rathaus, es gebe "internen Klärungsbedarf". Rathaussprecher Kai Schulz antwortet auf Nachfrage, was etwa "unzumutbarer Lärm" sei: "Sollte die Polizeiverordnung wieder Gegenstand der Behandlung im Gremium sein, werden wir Ihre Fragen ausführlich beantworten." Da es jedoch auch noch zur Überarbeitung der Vorlage kommen könnte, sehe man von der Erklärung einzelner Bestandteile ab. Möglicherweise wird der Entwurf also überarbeitet.

Warum soll es überhaupt neue Regeln geben?

Klar ist, dass die Situation an der Kreuzung Louisenstraße, Görlitzer Straße und Rothenburger Straße, das sogenannte "Assi-Eck", Anlass für den neuen Passus in der Polizeiverordnung ist. Dort gibt nachts regelmäßig Lärm. Die Stadt sieht sich unter Zugzwang.

Zuletzt hatte die Stadt nach einem Gerichtsurteil versucht, am "Assi-Eck" ein Alkoholverbot durchzusetzen. Das Oberverwaltungsgerichtes (OVG) hatte entschieden, die Stadt solle für Ruhe an der Kreuzung sorgen. Anwohner hatten geklagt. Die Verwaltung scheiterte aber mit dem Alkoholverbot am Nein des Stadtrates.

Im Urteil des OVG vom Juli 2022 hieß es: "Die Landeshauptstadt wird erneut über ein Konzept zum Lärmschutz an der 'Schiefen Ecke' und Maßnahmen zu entscheiden haben." Insbesondere solle die Stadt "die Möglichkeit prüfen, die Lärmschutzbestimmungen der Polizeiverordnung um eine Regelung zu erweitern, die Personen die Verhaltenspflicht auferlegt, sich aus einer Menschenansammlung zu entfernen oder sich von ihr fernzuhalten, wenn und solange von ihr unzumutbarer Lärm während der Nachtruhezeiten ausgeht." Also genau so, wie es im ersten Entwurf zu der Polizeiverordnung stand.

Ist das Urteil noch bindend?

Das Urteil des Gerichts ist nach wie vor aktuell - und bindend. Norma Schmidt-Rottmann, Sprecherin des Oberverwaltungsgerichtes Bautzen, sagt: "Der Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts war unanfechtbar und ist rechtskräftig." Das Hauptsacheverfahren sei noch beim Verwaltungsgericht in Dresden anhängig.

Verwaltungsgerichtssprecher Robert Bendner bestätigt auf Anfrage, dass das Gericht der Klage der Anwohner stattgegeben habe. Nach dem ergangenen Urteil müsse die Stadt geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Vorschriften ihrer Polizeiverordnung zum Schutz der Nachtruhe durchzusetzen, soweit und solange an den Wohnungen der Kläger Geräuschpegel von 62 Dezibel regelmäßig überschritten werden. Dies gelte freitags und samstags zwischen 24 und 6 Uhr des Folgetags sowie an den übrigen Tagen zwischen 22 und 7 Uhr des Folgetags.

Das Urteil liege allerdings noch nicht in schriftlicher Form vor. Erst wenn es den Beteiligten "vollständig abgefasst" zugestellt wurde, beginnt die Monatsfrist zur Rechtsmitteleinlegung.

Was sind die Kritikpunkte an dem Entwurf?

"Mit Verboten allein wird die Neustadt nicht ruhiger, daran halten wir Grüne fest", so Grünen-Stadträtin Tina Siebeneicher. Auch SPD-Stadtrat Vincent Drews sieht in dem Entwurf "viel Blödsinn, den wir so nicht mittragen werden". Die Piraten-Vorsitzende Anne Herpertz findet die neue Verordnung in dieser Form verfassungswidrig, da sie die persönliche Freiheit einschränke.

Ende 2022 hatten Polizei, Ordnungsamt und Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) übereinstimmend berichtet, dass sich die Lage am Eck im Sommer 2022 deutlich beruhigt habe. Auch durch präventive Maßnahmen wie die Nachtschlichter, die Gespräche mit Feiernden und Anwohnern suchten. Dies wird es in diesem Sommer wieder geben.

Der Dresdner Rechtsanwalt Jens Hänsch, der auch Generalsekretär der Piraten Sachsen ist, bewertet den ersten Entwurf zur Polizeiverordnung als "untragbar". "So wie es im Entwurf aktuell steht, würde das Gebot, sich aus der Menschenansammlung zu entfernen, auch für private Partys etwa in Gartensparten gelten", sagt er. Es würden auch Menschen, die selbst gar keinen Lärm machen, mit in "Sippenhaft genommen", sie müssten mit Bußgeldern wegen einer Ordnungswidrigkeit rechnen.

Welche anderen Ideen gibt es, um die Probleme zu lösen?

Spricht man mit jungen Menschen in der Neustadt und Streetworkern, wird immer wieder deutlich: Ein großes Problem sind die fehlenden Treffpunkte und Freiräume. Im Kiez selbst, aber auch in der ganzen Stadt. So treffen sich also viele am "Assi-Eck" oder im Alaunpark. Doch dort fehlt es nach wie vor an der Beleuchtung, sodass sich junge Menschen zunehmend unwohler fühlen ob der sich häufenden Überfälle. Die SPD Neustadt hatte hier zuletzt nochmal Druck auf die Stadt gemacht, das Thema endlich anzupacken.

Die Lage an der Neustadt-Kreuzung war schon jahrelang Thema in den Debatten. Politiker und Politikerinnen und Sozialarbeiter weisen immer wieder darauf hin, dass Verbote die Probleme der fehlenden Treffpunkte für junge Menschen nicht lösen. "Es ist auch eine Frage der sozialen Teilhabe, dass sich Menschen an der Ecke treffen können, denen das Geld für Kneipen- und Clubbesuche fehlt", sagt Streetworker Fabian Günther von der mobilen Jugendarbeit Neustadt der Diakonie.

Grünen-Stadträtin Andrea Mühle betont, "Dresden mangelt es in allen Stadtteilen an Plätzen, an denen sich vor allem junge Menschen auch in nicht kommerziellem Kontext treffen können, die von ihnen gestaltet werden können und für die sie Verantwortung übernehmen können", sagt sie. Wenn man diese schaffen würde, könnte Dresden wirksamer "Neuland" betreten, statt mit ordnungsrechtlichen Winkelzügen.

Eine Option wäre es auch, die ehemals besetzten und immer noch leerstehenden Häuser, etwa auf der Lößnitzstraße oder die Putzi-Villen, zu sanieren und als Treffpunkte zu nutzen. Dasselbe gilt für das Areal am Alten Leipziger Bahnhof und das Gebiet Meschwitzstraße, diese hatte die SPD immer wieder ins Gespräch gebracht.