SZ + Dresden
Merken

Dresdens letzter Universalgelehrter

Sein Forschungslabor hat alle Regierungen des vergangenen Jahrhunderts überstanden. Vor 25 Jahren starb der Wissenschaftler Manfred von Ardenne.

Von Ralf Hübner
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Der Physiker Manfred von Ardenne 1989 am Schreibtisch in seiner Villa auf dem Weißen Hirsch. Auf Ardennes Namen gehen rund 600 Erfindungen und Patente in der Funk- und Fernsehtechnik, Elektronenmikroskopie, Kern-, Plasma- und Medizintechnik zurück.
Der Physiker Manfred von Ardenne 1989 am Schreibtisch in seiner Villa auf dem Weißen Hirsch. Auf Ardennes Namen gehen rund 600 Erfindungen und Patente in der Funk- und Fernsehtechnik, Elektronenmikroskopie, Kern-, Plasma- und Medizintechnik zurück. © SZ/Marion Gröning

Dresden. Der Tod des Wissenschaftlers hat bewegt. "Der große Ardenne. Plötzlich blieb sein Herz stehen", titelte eine Boulevardzeitung. In den Nachmittagsstunden des 26. Mai 1997 war der Physiker Manfred Baron von Ardenne im Alter von 90 Jahren in seiner Villa auf dem Weißen Hirsch gestorben. Nach kurzer Krankheit sei er im Kreise seiner Familie für immer eingeschlafen, berichtete damals die "Sächsische Zeitung".

Mit dem Tod des Physikers verliere die Wissenschaft einen der letzten großen Universalgelehrten dieses Jahrhunderts. An der Trauerfeier in der Kapelle des Waldfriedhofes auf dem Weißen Hirsch hatten sich 500 Trauergäste eingefunden.

Der Theologe Klaus-Peter Hertzsch, ein Freund der Familie, würdigte das Lebenswerk des Verstorbenen. Politiker aus Ost, West und der DDR sowie Zeitungskolumnisten zollten ihm Respekt.

Erste Versuche mit elf Jahren

Der Durchbruch war Ardenne schon im Alter von 24 Jahren gelungen. Als er 1931 auf der Funkausstellung in Berlin die erste vollelektronische Fernsehübertragung der Welt vorstellte, erregte das internationales Aufsehen. Mit 30 entwickelte er das Raster-Elektronenmikroskop und stieg endgültig zur deutschen Forscher-Elite auf.

Dabei konnte Ardenne weder ein Abitur noch einen ordentlichen Studienabschluss vorweisen. Er entstammte einer großbürgerlichen Offiziers- und Beamtenfamilie. Der Vater war der Regierungsrat Baron Egmont von Ardenne, Mutter Adela kam aus einer Hamburger Patrizierfamilie. Großmutter Elisabeth von Plotho diente Theodor Fontane als Vorbild für dessen "Effi Briest".

Als Ardennes Vater 1913 ins Kriegsministerium versetzt wurde, zog die Familie mit fünf Kindern in den Berliner Villenvorort Lichterfelde. Erst elfjährig bastelte der junge Manfred an Fernrohren, Fotoapparaten und Alarmanlagen und machte Versuche in einem ersten kleinen Labor in der elterlichen Wohnung. Mit 16 Jahren meldete er sein erstes Patent an. Etwa 600 weitere sind es später noch geworden.

Manfred von Ardenne hatte einen Förderer in dem Industriellen Siegmund Loewe. Mit 19 Jahren erfand er die Dreifachröhre, mit 21 richtete er ein eigenes Laboratorium ein. Trotz des fehlenden Abiturs konnte er sich an der Universität in Berlin für ein Studium der Physik, Chemie und Mathematik einschreiben, das er jedoch schon nach vier Semestern wieder abbrach.

Während der Nazi-Zeit wurde der Staatssekretär und spätere Reichspostminister Wilhelm Ohnesorge, ein Kriegskamerad des Vaters, sein Fürsprecher. Obwohl Ardenne selbst nie Mitglied der Nazi-Partei war, zeigte er wenig Berührungsängste: Er arbeitete an der kriegswichtigen Radartechnik. Und nachdem im Dezember 1938 Otto Hahn und Fritz Straßmann die Kernspaltung gelungen war, hatte Ardenne wohl rasch deren militärische Bedeutung erfasst und forschte in einem unterirdischen kernphysikalischen Bunkerlabor seit 1942 an Verfahren zur Isotopen-Trennung.

Besuch von Walter Ulbricht

Damit hatte sich Ardenne für die Mitarbeit am sowjetischen Atomwaffenprogramm nach Kriegsende empfohlen. Die Arbeiten brachten ihm den Stalinpreis ein, auch wenn das von ihm entwickelte Verfahren der elektromagnetischen Trennung von Uranisotopen bei der sowjetischen Atombombe nicht eingesetzt wurde.

Auch die Mächtigen der DDR hofierten Ardenne. Doch als er im März 1955 mit der Familie seien Wohnsitz in Dresden nahm, war das nicht ganz freiwillig. Wäre er in den Westen gegangen, hätte der Verlust des Laboratoriums gedroht. Nur drei Tage nachdem Ardenne in Dresden eingetroffen war, stattete ihm SED-Chef Walter Ulbricht einen Besuch ab und brachte eine Luxuslimousine als Geschenk mit. Er soll ihm zudem regelmäßige Staatsaufträge zugesichert haben. Mit dem Sturz Ulbrichts 1971 ging jedoch der direkte zur Macht verloren.

Ende der 1950er-Jahre hatte sich der Forscher der Medizin zugewandt. Mit rund 500 Mitarbeitern war die größte privatwirtschaftliche Forschungseinrichtung im Ost-Block entstanden. Das Institut entwickelte Anlagen zur Patienten-Überwachung, Herz-Lungen-Maschinen, Ultraschalldiagniostik-Anlagen.

Spektakulär war auch seine Erfindung der Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie. Bis zuletzt forschte er an der systemischen Krebs-Mehrschritt-Therapie, von der er hoffte, dass sie dessen Lebenswerk werden würde. Doch blieb ihm die Anerkennung aus Fachkreise oft verwehrt. Die Umwälzungen 1989 hatten für das Forschungsinstitut katastrophale Folgen. Fast alle Verträge mit staatlichen Betrieben wurden gekündigt, das Institut aufgeteilt.

Sie suchen eine historische Ausgabe aus über 75 Jahren Sächsischer Zeitung? [email protected]