Dresden
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Dresdens erste Neubaukirche

Vor 40 Jahren wurde in Dresden-Prohlis eine neue Kirche gebaut. Warum sie im Osten eine besondere Bedeutung hat und wie sich die Gemeindearbeit seitdem immer wieder wandelt.

Von Nora Domschke
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Michael Sollfrank (l.) und Pfarrer Wolf Jürgen Grabner blicken in die Geschichte der Prohliser Kirchgemeinde zurück. Vor 40 Jahren bekam sie einen Neubau an der Georg-Palitzsch-Straße. Der grüne Glockenturm wurde aber erst 2006 gebaut.
Michael Sollfrank (l.) und Pfarrer Wolf Jürgen Grabner blicken in die Geschichte der Prohliser Kirchgemeinde zurück. Vor 40 Jahren bekam sie einen Neubau an der Georg-Palitzsch-Straße. Der grüne Glockenturm wurde aber erst 2006 gebaut. © Marion Doering

Dresden. Die Dresdner sind in vielem gern Vorreiter. Zahlreiche Erfindungen sollen auf die Kappe kluger Menschen in dieser Stadt gehen - wie etwa die neuartige Kaffeefiltertüte, die die Dresdner Hausfrau Melitta Bentz 1908 beim Patentamt anmeldete, um nur ein prominentes Beispiel zu nennen. Doch es gibt auch weniger bekannte Entwicklungen, bei denen Dresden eine Vorreiterrolle einnimmt. So steht im Stadtteil Prohlis die erste Kirche, die zu DDR-Zeiten in Dresden neu gebaut wurde. Zudem war sie 1982 die erste Kirche in einem Plattenbaugebiet.

Mithilfe von Westmitteln finanziert, bekam das eben erst hochgezogene Neubauviertel einen für damalige Verhältnisse sehr modernen Kirchenbau. In Dresden war es das erste Bauprojekt, das im Rahmen des Programms "Neue Kirchen für neue Städte" entstanden ist. Die Architektur war mit ihren offenen Räumen und kahlen Sichtbetonwänden zunächst gewöhnungsbedürftig und hatte nicht allzu viele Anhänger, erinnert sich Michael Sollfrank, der sich ab 1988 um die Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde kümmerte. Seit vergangenem Jahr ist der Religionspädagoge Rentner, doch aus der Prohliser Kirche ist der 67-jährige gebürtige Dresdner nicht wegzudenken.

Wandel in Wohnviertel und Kirche

Noch immer lebt er in seiner Wohnung im Pfarrhaus, betreut Konfirmanden und Familiengottesdienste, stellt jedes Jahr das Krippenspiel auf die Beine und hilft beim Adventsmarkt. Als er Ende der 1980er-Jahre zur Gemeinde stieß, war Prohlis ein anderes Wohnviertel als heute. "Das Plattenbaugebiet hat seit der Wende einen Wandel durchgemacht", erzählt Michael Sollfrank. Damals lebte die gehobene Mittelschicht in den modernen Häusern. "Es war ein Privileg, in Prohlis zu wohnen."

30.000 Menschen fanden Anfang der 1980er-Jahre im Viertel ein neues Zuhause. "Die Kirchgemeinde spielte eine wichtige Rolle und war immer sehr eng mit dem Stadtteil verbunden. Hier lernten sich die Menschen kennen, es gab Hauskreise, die Gemeinde ist schnell gewachsen." 4.000 Mitglieder zählte sie damals, drei Jugendgruppen und jährlich 45 Konfirmanden wurden in der Gemeinde betreut.

Sichtbeton und bunte Metallgeländer - der Altarraum der Prohliser Kirche trifft nicht jeden Geschmack. 1982 wagte die Gemeinde eine völlig neuartige Architektur.
Sichtbeton und bunte Metallgeländer - der Altarraum der Prohliser Kirche trifft nicht jeden Geschmack. 1982 wagte die Gemeinde eine völlig neuartige Architektur. © Marion Doering
Der Aufenthaltsraum mit Empore und großer Glasfront ist ein beliebter Treffpunkt für die Prohliser.
Der Aufenthaltsraum mit Empore und großer Glasfront ist ein beliebter Treffpunkt für die Prohliser. © Marion Doering
Vor 40 Jahren ein moderner Neubau, inzwischen etwas sanierungsbedürftig - die Kirche an der Georg-Palitzsch-Straße prägt den Stadtteil bis heute.
Vor 40 Jahren ein moderner Neubau, inzwischen etwas sanierungsbedürftig - die Kirche an der Georg-Palitzsch-Straße prägt den Stadtteil bis heute. © Marion Doering

"Jugendarbeit in der DDR nicht so gern gesehen"

Der DDR-Staat habe den Kirchen zwar die Religionsfreiheit weitestgehend gewährt, sagt Michael Sollfrank. "Aber unsere Jugendarbeit war zum Teil nicht so gern gesehen. Hier trafen sich bis zu 80 Punks, die in der DDR nicht gewollt waren." Alle in der Gemeinde sind sich sicher, so Sollfrank, dass die Staatssicherheit die Jugendgruppen damals unterwanderte. Den jungen Menschen seien viele Themen außerhalb der Gemeindearbeit wichtig gewesen, wie etwa Umweltfragen.

Während zu DDR-Zeiten der Fokus auf der Jugend und ihren Belangen lag, rückten nach der politischen Wende soziale Themen in den Mittelpunkt. Die besser Betuchten und Gebildeten zogen weg aus "der Platte", das soziale Gefüge änderte sich. Wer wenig Geld hatte, konnte sich oft nur eine Wohnung in einem der großen Neubaugebiete leisten. Armut und geringe Bildung trafen geballt aufeinander. Auch hier war die Gemeinde gefragt. "20 Jahre lang organisierten wir hier das Prohliser Frühstück."

Für einen Euro gab es nicht nur gesundes Essen, sondern - und das sei noch viel wichtiger - die Möglichkeit, andere Menschen zu treffen. In der Coronazeit war das verboten, das Frühstücksangebot fiel dem letztlich zum Opfer. Nun gibt es als Alternative jeden Dienstag ab 12 Uhr einen Mittagstisch. "Die Menschen genießen es, mal für ein Stündchen beisammen zu sitzen und sich auszutauschen."

Gemeinden strukturieren sich in Kirchspielen neu

Trotz des Engagements im Stadtteil schrumpft die Gemeinde seit Jahren. Derzeit zählt sie noch 1.550 Mitglieder. "Das nimmt massiv ab", sagt Pfarrer Wolf-Jürgen Grabner, der für das Kirchspiel Dresden-Süd zuständig ist. Aufgrund des Mitgliederschwundes organisieren sich die Dresdner Gemeinden seit zwei Jahren in diesen Kirchspielen. Zu Dresden-Süd gehören neben Prohlis auch die Kirchgemeinden Bannewitz, die Christuskirche Strehlen, Leubnitz-Neuostra und Schloss Lockwitz.

Mitarbeiter und Geld müssen sich diese Gemeinden teilen, jede hat ein eigenes Profil. Weil man in Prohlis viel Erfahrung damit hat, ist die Gemeinde für die Kinder- und Jugendarbeit zuständig. "Unser Gebäude bietet sich dafür an", sagt Michael Sollfrank. Es gibt zwei große Räume und einen Keller mit Tischtennisplatte. "Wir hoffen, dass es auf dieser Schiene für uns weitergeht."

Was bleibt, ist die soziale Arbeit im Stadtteil, alle Angebote, auch die kulturellen, werden sehr gut angenommen. "Da hat sich in den letzten Jahren viel bewegt", sagt Sollfrank mit Blick auf die vielen Veranstaltungen. "Das ist unsere Chance. Wie müssen raus aus der Kirche, hinein in den Stadtteil. Nur so können wir die Kirche lebendig halten."