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Dresdner Bergsteiger Götz Wiegand: Ein Verlust beschäftigt ihn extrem

In seinem ersten eigenen Buch erzählt der Dresdner Alpinist Götz Wiegand von Glücksgefühlen und schweren Stunden, Ehrlichkeit zu sich selbst und der Sehnsucht nach Nähe und Ferne.

Von Nadja Laske
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Götz Wiegand mit seinem ersten eigenen Buch, von dem er sagt: "Ich bedanke mich bei ihm. Es hat sich förmlich von selbst geschrieben."
Götz Wiegand mit seinem ersten eigenen Buch, von dem er sagt: "Ich bedanke mich bei ihm. Es hat sich förmlich von selbst geschrieben." © Marion Doering

Dresden. Zwei Männer im Schnee. Götz Wiegand und sein Kumpel Bubek. Sie stehen, Oberkörper frei, schwarze lange Hosen, eine Art Gamaschen bis zu den Knien gezogen, in der weißen Landschaft und lassen sich die Sonne auf die Bäuche scheinen. Felsmassive im Hintergrund. Ein Moment größten Glücks.

Das Foto entstand auf dem Maljowiza-Gipfel des Rilagebirges in Bulgarien, 2.729 Meter hoch. "Für mich war dieser Aufstieg der Übergang vom Wandern zum Bergsteigen", sagt Götz Wiegand. Gerade hatte er sein Diplom geschrieben. Bis zur Verteidigung blieb noch etwas Zeit, und die nutzte er für diese Tour - immer im Hinterkopf, dass er bald als Maschinenbauingenieur nur noch wenige Wochen Urlaub im Jahr haben und seine Tage im Neonlicht eines Kombinats verbringen würde.

So wurde die Reise nach Bulgarien zum Schlüsselerlebnis für ihn. Etliche Male zuvor war er schon mit Freunden dort gewesen, um das berühmte Rila Kloster zu besuchen und die Landschaft auf Wanderungen zu erkunden. "Aber an jenem Tag auf dem Maljowiza bin ich zum Bergsteiger geworden."

Götz Wiegand schreibt erstes eigenes Buch

Den Augenblick trägt er tief im Herzen, das Foto dazu zeigt er in seinem neuen Buch. "Up and down: Hohe Berge, fremde Länder und der Rock 'n' Roll" heißt es und ist gerade erschienen. Es ist Wiegands erstes Buch, das er ganz allein geschrieben hat. "Den Wunsch hatte ich schon lange", sagt er, "Wenn man mit anderen zusammen schreibt, muss man Kompromisse eingehen." Doch manche Geschichte wollte er anders erzählen, so wie er sie ganz persönlich erlebt hat und erinnert.

Dafür reiste er kurz vor Weihnachten 2021 nach Sansibar. Weil es schön, warm und ruhig dort ist. Ein Jahr später flog er wieder hin. Am Meer fand er ein hübsches Café, dessen beste Tische direkt am Wasser stehen. "Da wollte ich unbedingt arbeiten, aber es gab keine Steckdose und mein Laptop war rasend schnell hinüber." Also ging er in ein Schreibwarengeschäft und kaufte Schulhefte, in die er seine Erinnerungen schrieb. "Das war sozusagen ebenfalls eine Art Rückkehr in die Vergangenheit."

Zu der gehört das Lebensgefühl junger Leute, die in ihren achtwöchigen Ferien hinaus in die Welt wollten, so weit sie für DDR-Bürger reichte. Rumänien, Bulgarien, immer als Tramper. "Wir haben uns die Hohe Tatra erwandert, bis mich ein Bergkumpel Mitte der 1980er-Jahre zum ersten Mal mit zum Klettern nahm."

Selfmade: Steigeisen und Daunenjacken für Berg-Besteigung

Steigeisen haben sie sich damals selbst gebaut und Kinder-Ski zu breiten Kurz-Ski zusammengeschraubt, um meterhohen Schnee zu passieren, ohne bis zum Hals einzusinken. Das Konstrukt funktionierte genauso wenig, wie die Selfmade-Schneeschuhe aus alten Tennisschlägern. Zu kaufen gab es eine vernünftige Kletterausrüstung eben nicht.

"Wir haben Daunen gesammelt und zu einem Bekannten geschickt, der uns damit Daunenjacken nähte", erzählt Götz Wiegand. Auch Bergschuhe wurden über Kontakte von Hand angefertigt. "Die gingen nicht kaputt. Ich habe meine von damals immer noch." Schlingen und Karabiner schickte ihm seine Cousine aus dem Westen. "Aber ich konnte sie nicht überstrapazieren. Schließlich brauchte ich auch noch Platten und gute Jeans."

Seit jener Zeit hat Götz Wiegand vier Achttausender bestiegen, zwei davon sogar zweimal. An zwei dieser Riesen ist er gescheitert - wenn es überhaupt ein Scheitern ist, das Ziel, den Gipfel, nicht zu erreichen. Wie lange hält sich eine solche Enttäuschung nach zum Teil jahrelanger Vorbereitung? "Das geht schnell vorbei", sagt er, "Denn, wenn es so kommt, gibt es dafür triftige Gründe." Neben der Gesundheit und Konstitution der Bergsteiger ist das vor allem das Wetter. Das hat die Teilnehmer der Expedition in solchen Fällen meist tagelang herausgefordert und zermürbt. "In dieser Situation ist man davon vollkommen erschöpft und nur froh, heil zurückgekommen zu sein."

"Wir konnten ihn nicht wiederbeleben"

Dass es anders passieren kann, auch das hat er erlebt - im Jahr 2000 starb sein Freund Bernd Mehnert beim Abstieg vom Achttausender-Gipfel des Makalu. In einem Interview, das Götz Wiegand zwei Jahre danach gab, stellt er noch die rhetorische Frage, ob er dieses Drama hätte verhindern können. Heute, gut zehn Jahre später, sagt er: "Ich habe eine Mitschuld an Bernds Tod. Ich wusste, wie er tickte und dass er sich nicht gut genug selbst einschätzen konnte. Ich hätte ihn nicht mitnehmen sollen oder zumindest am Berg anders reagieren müssen."

Vor Erschöpfung war Bernd Mehnert auf gut 7.000 Metern umgekehrt, hatte es sich dann doch anders überlegt und kam zurück. "Ich war der Expeditionsleiter und hätte ihn zurückschicken können", sagt Götz Wiegand. Die Gruppe erklomm vollzählig den Gipfel, übernachtete dort und rüstete am nächsten Morgen zum Abstieg. "Dabei ist Bernd im Schnee zusammengebrochen. Wir konnten ihn nicht wiederbeleben."

Der Verlust beschäftigt ihn bis heute. "Aber erst, als ich mir eingestanden habe, dass ich mitverantwortlich bin, konnte ich beginnen, das Erlebte zu verarbeiten." Im Buch hat er ihm ein Kapitel gewidmet. Es klingt nachdenklich und poetisch aus und markiert ein neues Bewusstsein, das Götz Wiegand aus der Erfahrung erwuchs: "Es hat einen von uns getroffen, unter diesem Eindruck bin ich noch bedachter geworden."

Dresdner Götz Wiegand: "Es reicht jetzt"

Nach acht Expeditionen zu Achttausendern plus all den anderen Bergbesteigungen, die zum Teil Geschichte schrieben, findet der 63-Jährige: "Es reicht jetzt." Zwar hat er Ziele, aber sie liegen nicht mehr im höheren vierstelligen Bereiche gen Himmel. "Ich möchte gern Alaska erleben und noch einmal Robert Peroni in Ostgrönland treffen", sagt er. Der ehemalige Extremsportler und Bergsteiger beeindruckt ihn sehr.

Die Balkanländer liebt Götz Wiegand, Afrika hat er sich im Laufe der vergangenen Jahre genähert: Uganda, Tansania, Sambia... Die nordischen Länder schätzt er für ihre Weite. "Da ist Platz, einfach Platz!" Ganz anders als Neu-Delhi: "Da ist kein Platz." Und wenn er einmal fliehen müsste, wohin würde er gehen? Götz lacht: "Das kommt ganz darauf an, wovor ich fliehen müsste." Aber Albanien hat es ihm angetan - die Landschaft, die Leute, Beach und Berge.

Durch Wales, Usbekistan, Nepal, Ungarn führt er Reisende außerdem professionell. Safaris, Wanderungen, Weltöffner mit Leidenschaft. "Aber ich bin auch gern hier daheim in Dresden", sagt er, lehnt sich im Korbstuhl zurück, nippt am Weißwein und streichelt den Kater.

Am Donnerstag, 31. August, 20 Uhr, hält Götz Wiegand mit Geschichten und Fotoimpressionen auf dem Aktivhof Porschdorf einen Vortrag, begleitet von Bluesmusiker Tino Z. Das Buch "Up and down: Hohe Berge, fremde Länder und der Rock'n'Roll" ist im Notschriften Verlag erschienen und zu 26,90 Euro im Buchhandel zu haben.