Dresden
Merken

Seltene Erkrankung: Dresdner Familie wird Teil einer außergewöhnlichen Kreuzfahrt

Seit 35 Jahren lebt Juliane mit einem extrem seltenen Gendefekt. Ihre Eltern engagieren sich für die Erforschung, die mit Chan Zuckerberg prominente Unterstützung erfährt.

Von Nadja Laske
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Peter, Maria und Fabian Kubsch (v.l.) teilen jede Freude, Sorge und Hoffnung im Leben mit Juliane, die an der sehr seltenen Erbkrankheit PCH2a leidet.
Peter, Maria und Fabian Kubsch (v.l.) teilen jede Freude, Sorge und Hoffnung im Leben mit Juliane, die an der sehr seltenen Erbkrankheit PCH2a leidet. © Sven Ellger

Dresden. Julianes Lächeln leidet am Leben. Wer sie zufrieden, leicht verschmitzt und entspannt lachen gesehen hat, wird ihr breites Grinsen nie vergessen. Dann und wann steht es ihr im Gesicht geschrieben. Aber nicht mehr so häufig wie früher.

Früher - vor ihrer schweren Lungenentzündung, mit der sie fast fünf Wochen auf der Intensivstation verbrachte. Früher - vor der jüngsten Corona-Infektion, die ihrer Familie erneut so viel Angst und Sorge bereitete.

Dass ihre Tochter krank ist, mit dem Wissen leben Maria und Peter Kubsch seit Julianes Geburt. Wie krank, das erfuhren sie erst 30 Jahre später, als die Genforschung Aufschluss geben konnte: PCH2a so die Diagnose – Pontozerebelläre Hypoplasie, eine angeborene, fortschreitende Erkrankung des Gehirns.

Seitdem ist klar, wie besonders Juliane ist: "Sechsmal häufiger gewinnt ein Mensch im Lotto", sagt Maria Kubsch. Auf eine Million Geburten komme im Schnitt ein Fall, nämlich dann, wenn eine Frau und ein Mann mit gleichem Fehler auf Chromosom 17 Eltern werden, und dieses an sich unproblematische Erbgut an ihr Kind weitergeben. In Deutschland leben nur rund 80 Kinder mit dieser PCH-Erkrankung.

Juliane trotzt der Lebenserwartung von PCH2a

Ein echtes Wunder ist Juliane außerdem, weil die offizielle Lebenserwartung kaum bis zum Schulalter reicht. Kurz vor Weihnachten hat sie jedoch ihren 35. Geburtstag gefeiert. "Das war ein wunderschöner Tag mit ganz treuen Freunden", erzählt ihre Mutter. "Jule hat genau gespürt, dass sie für alle im Mittelpunkt steht und war bestens gelaunt." Doch diese Leichtigkeit durchbricht die Schwere des Schicksals immer seltener.

"Sie fühlt sich zunehmend unwohler, das merken wir ihr deutlich an", sagt Peter Kubsch. Spastische Lähmungen wirken sich seit Jahren auf Knochen und Gelenke aus und bringen sie in schmerzhafte Fehlstellungen. Nachdem Juliane ihre Lungenentzündung und auch Corona überwunden hat, ist der Kampf gegen die Schmerzen täglicher Begleiter. Eine Behandlung der verkrampften Muskulatur mit Botox schlug nur kurzzeitig an. "Momentan probieren wir es mit Schmerzpflaster, doch die Dosierung ist noch nicht optimal", so ihr Vater.

Als Sächsische.de die Familie vor ziemlich genau vier Jahren das erste Mal traf, hatte sich ihr Leben um 180 Grad gedreht. Vielleicht nicht sichtbar. Juliane war schließlich weiterhin schwerstbehindert und der Alltag mit ihr eine große Herausforderung. Doch seit Maria, Peter und Julianes Bruder Fabian Kubsch den Namen dessen kennen, was ihr Leben so anders, als das der meisten Menschen macht, spüren sie starken Rückenwind.

Hoffnungsvolles Projekt: Eine Kreuzfahrt mit PCH

Sie begannen, sich in einem noch sehr jungen Verein zu engagieren und erfuhren im Austausch mit anderen Betroffenen und Medizinern immer mehr über Hintergründe, Verläufe und Perspektiven rund um PCH. Ein Jahr später begannen sie, ein ebenso aufregendes wie schwieriges, aber sehr hoffnungsvolles Projekt mitzuplanen: eine Kreuzfahrt zusammen mit anderen PCH-Kindern, ihren Angehörigen, Betreuern und Ärzten - zur Erholung, für Austausch und wissenschaftliche Beobachtungen.

"Aber dann kam Corona, und es wurde still um die Vorbereitungen", erzählt Maria Kubsch. Die Nachwehen der Pandemie sorgten dafür, dass auf dem avisierten Aida-Schiff nicht ausreichend rollstuhlgerechte Kabinen nutzbar waren. Ein Teil von ihnen musste die Gesellschaft für Corona-Quarantäne vorhalten. Nachdem der Krieg Russlands gegen die Ukraine begonnen hatte, stand zudem die geplante Route infrage. Dazu Julianes zusätzliche gesundheitliche Probleme.

Doch all das bremst nicht den Elan der Familie und ihrer Unterstützer. "Es war lange nicht vorstellbar, doch nun stehen wir tatsächlich kurz vor unserer großen Reise", sagt Maria Kubsch. Aida und der Verein haben die Planung wieder aufgenommen, jede noch so komplizierte Regelung konnte erfüllt und die Tour für insgesamt 27 PCH-Familien, wie sie sich selbst nennen, Pfleger, Therapeuten, Mediziner und Wissenschaftler fest gebucht werden. Keine Hotelanlage könnte so viele Gäste im Rollstuhl beherbergen. Schon deshalb fiel die Entscheidung auf ein Kreuzfahrtschiff.

"In unserem Kreis sind auch verwaiste Eltern herzlich willkommen. Zwei davon werden uns begleiten", sagt Maria Kubsch. Was einst als Mailingliste begann, später eine Whatsapp-Gruppe wurde und nun ein umfangreiches Forum ist, bietet betroffenen Familien laufend Antworten auf ihre Fragen im Umgang mit ihren Kindern, hält sie auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand und gibt Tipps fürs Ringen mit Behörden oder medizinischen Diensten. Immer mehr junge Eltern stoßen dazu, voller Neugier und Courage. Doch nicht nur der Schulterschluss der PCH-Familien ist Ziel der Vereinsarbeit, sondern die Erforschung des Gen-Defektes.

Zwei Millionen US-Dollar für Forschung an PCH

Wie zukunftsweisend dieses Engagement ist, beweist eine Auszeichnung, die Tore in die Zukunft öffnet: "Wir haben über die Chan-Zuckerberg-Initiative zwei Millionen US-Dollar zugesprochen bekommen", erzählt Peter Kubsch. Die Summe werde über vier Jahre ausgeschüttet - jeweils 400.000 Euro für Forschungszwecke an den Universitäten Freiburg und Tübingen sowie 100.000 Euro für die Vereinsarbeit. Auch die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung fördert die Forschung, die der PCH-Familie e. V. angeschoben hat.

Erklärtes Vorhaben ist es, PCH in fünf Jahren heilen zu können. Maria Kubsch hält das für sehr visionär, doch Ziele beflügeln bekanntlich. Bisher braucht es häufig schon bis zur Diagnose zu lange, je nachdem, wie informiert die Geburtskliniken und Kinderärzte sind, um auf erste Anzeichen zu reagieren. "Juliane hat nicht geschrien und zeigte auch keinen Saugreflex", erinnert sich ihre Mutter. Schluckschwierigkeiten, Atemstörungen, Epilepsie sind typische Begleiter der Erkrankung. In aller Regel ist das Kleinhirn der Babys unterentwickelt.

"Auch den älteren Kindern mit PCH, für die keine Heilung mehr möglich sein wird, könnte die Forschung viel Erleichterung bringen", sagt Maria Kubsch - nämlich dann, wenn sich auf dem Weg zur endgültigen Entschlüsselung der fehlerhaften genetischen Schaltstelle Erkenntnisse über Begleiterscheinungen ergeben. Beispielweise, warum viele Erkrankte so viel Luft schlucken und dadurch Schmerzen und Unwohlsein ertragen müssen. Oder wie sich die Spastiken mit ihren fatalen Folgen auflösen lassen.

Maria und Peter Kubsch sind voller Zuversicht: "Das Leben mit PCH ist schwer. Aber es ist schön und das Leben, das wir eben haben." Sie hoffen darauf, dass ihnen und den anderen Kindern und Eltern glückliche Momente leichter gelingen - und auf das nächste Lächeln ihrer Tochter Juliane.