Dresden
Merken

Dresdner Sozialarbeitende: "Die Kinder kommen vermehrt hungrig zu uns"

Beinahe jedes zehnte Kind in Dresden gilt als armutsgefährdet. Sozialarbeitende berichten, dass für manche Eltern selbst das Mittagessen unbezahlbar geworden ist.

Von Julia Vollmer
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die Debatte um die Kindergrundsicherung wurde in Dresden in den vergangenen Tagen emotional geführt. Durch die Verteuerung in zahlreichen Bereichen stehen viele Familien am finanziellen Abgrund.
Die Debatte um die Kindergrundsicherung wurde in Dresden in den vergangenen Tagen emotional geführt. Durch die Verteuerung in zahlreichen Bereichen stehen viele Familien am finanziellen Abgrund. © Hauke-Christian Dittrich/dpa

Dresden. Die Preise für das Mittagsessen in Kitas und Schulen sind stark gestiegen. Im Supermarkt kostet der Einkauf deutlich mehr und auch die Nebenkostenabrechnung wird teurer. Für viele Dresdner Familien ist es keine leichte Zeit. Durch die Verteuerung stehen sie am finanziellen Abgrund.

Das bemerken auch die Sozialarbeitenden der Mobilen Arbeit Friedrichstadt (MAF) von Outlaw. "Wir stellen fest, dass die jungen Menschen, die unseren Kinder- und Jugendtreff nutzen, seit circa einem halben Jahr vermehrt hungrig sind. Sie fragen bewusst nach, ob wir noch etwas zu essen haben", erzählt Streetworkerin Larissa Schicke.

Dass Kinder und Jugendliche teilweise hungrig in den Treff kommen, sei nicht neu, dass sie die Sozialarbeitenden bewusst damit konfrontieren, allerdings schon. Das lasse jedoch nicht immer Rückschlüsse auf die familiäre Situation zu. "Aber das ist unsere Beobachtung und wir versuchen derzeit, Supermärkte oder Privatpersonen zu finden, die uns kontinuierlich Lebensmittelspenden zur Verfügung stellen können", sagt sie.

Um Kinder und Familien zu helfen, die mit steigenden Kosten und niedrigen Löhnen kämpfen, hat die Ampel-Koalition auf Bundesebene die Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag verankert. Sie soll Leistungen wie Kindergeld und Sozialleistungen bündeln, neben dem Grundbetrag von 250 Euro monatlich pro Kind soll es flexibel Zusatzleistungen je nach Familiensituation und Einkommen geben. Eigentlich soll sie 2025 kommen, doch die FDP hält sie für zu teuer. Dabei ist der Bedarf groß.

Fast jedes zehnte Kind gilt als armutsgefährdet

Laut kommunaler Bürgerumfrage von 2022 gelten in Dresden 9,4 Prozent der Haushalte mit Kindern als armutsgefährdet. Das ist beinahe jedes zehnte Kind. Eine Person gilt nach der EU-Definition als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. Sachsenweit ist sogar jedes fünfte Kind und jeder dritte junge Erwachsene von Armut bedroht. Dies geht aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung vom Januar hervor.

"Von armutsgefährdeten Kindern kann man auch sprechen, wenn man die SGB-II-Empfänger, also etwa Bürgergeld, betrachtet. Diese bilden jedoch nur einen Teil der Haushalte, die armutsgefährdet sind, ab", so das Dresdner Sozialamt. Betrachtet man diese Bedarfsgemeinschaften mit Kindern, waren es 2022 insgesamt 7.465 , ein Jahr zuvor waren es noch 1.420 weniger.

Besonders viele Betroffene leben laut der Stadt in Prohlis, Reick, Südvorstadt-West und Gorbitz. Aktuell gibt es neben dem Bürgergeld, Wohngeld und Kindergeld auch Leistungen wie Kinderzuschlag und Geld aus dem Paket "Bildung und Teilhabe" für betroffene Familien.

"Das teurere Mittagessen ist ein großes Problem"

Florian Mindermann, Referent Kinder- und Jugendhilfe bei der Dresdner Arbeiterwohlfahrt (Awo) beobachtet, dass "die Schere zwischen Arm und Reich bei den Familien immer weiter auseinandergeht." Die Betroffenen würden täglich unter Verzicht und Scham leiden und hätten weniger Zugang zu Bildung und sozialer Teilhabe. Zur Teilhabe zählen auch ein Besuch im Zoo oder Theater und ein Urlaub.

Die Möglichkeit für Familien, sich finanziell Hilfe zu holen wie über das Paket "Bildung und Teilhabe", müsste dringend bekannter gemacht werden. Unter anderem kann darüber das Essen in Schule und Kita bezahlt werden. "Das teurere Mittagessen ist ein großes Problem, viele Kinder fallen hier durch das Raster", so Mindermann.

Auch die Caritas in Dresden berichtet von einem erhöhten Beratungsbedarf. "Die Grundsicherung für Kinder ist dabei nur ein Aspekt der Armutsgefährdung. Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigen Einkommen haben schlechtere Bildungs- und Teilhabechancen", sagt Sprecher Andreas Schuppert.

Durch die Inflation und die Erhöhung der Energiepreise seien Familien oft zuerst von Armut betroffen. "Oft können die Beiträge für Sportvereine, Musikschulen oder andere außerschulische Aktivitäten nicht mehr gezahlt werden", so Schuppert.

"Es ist ein gesellschaftlicher Skandal"

Die Dresdner Caritas fordert daher "eindringlich Finanzzusagen für Familienleistungen, die das Existenzminimum aller Kinder verlässlich absichern. Es ist ein gesellschaftlicher Skandal, dass jedes fünfte Kind in Armut leben muss."

Ein schnelles Handeln bei der Einführung der Kindergrundsicherung fordern auch Grünen-Stadträtin Tina Siebeneicher und Linken-Stadträtin Pia Barkow. "Es muss unbürokratisch und einfach zu beantragen sein und die Kosten decken, die für den Lebensunterhalt anfallen und auch mal einen Schwimmbadbesuch zulassen", so Barkow.

Die Kindergrundsicherung würde besonders Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen unterstützen, so Sachsens SPD-Co-Vorsitzender Henning Homann. Stadtrat Vincent Drews ergänzt, es "ist dringend nötig, Hilfen wie das Bildung-und-Teilhabe-Paket bei den Betroffenen bekannter zu machen".