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Ein Rucksack voll mit Wasser, Socken und Unterwäsche: Unterwegs mit der Heilsarmee durch Dresden

Die beiden Sozialarbeiter Anita Herbst und Nico Schmiedhofer helfen Menschen, die von Obdachlosigkeit, Armut und Suchterkrankungen betroffen sind. Ein Vormittag auf der Prager Straße in Dresden.

Von Julia Vollmer
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Die beiden Sozialarbeiter Anita Herbst und Nico Schmiedhofer sind in der Stadt unterwegs.
Die beiden Sozialarbeiter Anita Herbst und Nico Schmiedhofer sind in der Stadt unterwegs. © SZ/Julia Vollmer

Dresden. Hektisch ist es an diesem Vormittag auf dem Vorplatz des Dresdner Hauptbahnhofes. Passanten eilen über den Platz, Touristen knipsen Fotos. Dazwischen steht ein junger Mann und sucht in einer Mülltonne nach Essbarem. Es geht ihm nicht gut, das ist deutlich zu sehen. Seine Kleidung konnte er länger nicht waschen, seine Augen haben einen traurigen Ausdruck. Langsam und vorsichtig nähern sich die Streetworker Anita Herbst und Nico Schmiedhofer dem Mann. "Hallo, wie geht's dir? Können wir dir helfen?", fragen sie. Den Menschen immer auf Augenhöhe und ohne Druck begegnen - das ist ihre Maxime.

Im Rucksack immer das Allernötigste dabei

Sie wollen die Menschen nicht nötigen, mit ihnen zu sprechen, sondern Bereitschaft signalisieren, da zu sein und zu helfen, wenn sie das wünschen. Mehrfach in der Woche sind die beiden Sozialarbeiter von der Dresdner Heilsarmee auf Streetwork unterwegs in der Altstadt und in der Neustadt. Neben der Heilsarmee sind auch Sozialarbeiter von Safe Dresden und der Diakonie in der Stadt unterwegs, um sich um Betroffene zu kümmern. Denn der Bedarf ist groß.

Die Zahl der wohnungslosen Menschen ist zuletzt gestiegen auf mehr als 300 Personen. Und das sind "nur" die Menschen, die bei der Stadt offiziell Hilfe suchten.

Immer dabei auf dem Rücken von Anita Herbst und Nico Schmiedhofer: ein Rucksack gefüllt mit Wasser, Unterwäsche, Socken und Flyern. Der junge Mann auf dem Vorplatz möchte an diesem Morgen kein Gespräch. Er dreht sich um, sagt danke und läuft seiner Wege.

"Ich nehme gern ein paar Windeln für die Kinder

Doch nur wenige Meter weiter kniet Svetlana Federorva auf der Prager Straße. Sie kommt aus Rumänien und hat ein Bild ihrer Kinder vor sich stehen. Sie bittet die Passanten um Geld. Um die Privatsphäre der hilfebedürftigen Menschen zu schützen, um die es in diesem Beitrag geht, sind deren Namen von der Redaktion geändert worden. Anita Herbst und Nico Schmiedhofer hocken sich hin. Sie wollen nicht von oben herab mit ihr sprechen. "Wie geht's dir", fragt Anita sie. "Brauchst du Hilfe? Brauchst du Unterwäsche oder Socken?" Svetlana Federorva lächelt. "Ich nehme gern ein paar Socken, Unterwäsche und Windeln für die Kinder."

Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verschiedener Träger beobachten, dass es vor allem für EU-Bürger wie Svetlana Federorva in Dresden schwierig ist, Hilfe zu finden, da sie durch das soziale Raster fielen und keinen Anspruch auf Sozialleistungen hätten. Menschen aus Osteuropa trifft man immer wieder auf den Dresdens Straßen.

Gerade mit den Menschen, die nicht Deutsch als Muttersprache sprechen, ist die Übersetzungsapp auf dem Handy sehr hilfreich. Diese App spricht nicht nur Englisch und Französisch, sondern auch Ungarisch, Slowakisch oder Rumänisch. Anita Herbst spricht ihre Fragen in ihr Handy und die App übersetzt.

Krimis mag Harry am liebsten

Der Abschied von Svetlana ist herzlich, per Handschlag versprechen die beiden Streetworker, am übernächsten Tag wieder zu kommen und Windeln und Duschbad mitzubringen.

Der Job der beiden Heilsarmee-Streetworker ist nicht immer einfach, die Themen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind, sind hart: psychische Erkrankungen, Suchterkrankungen, Obdachlosigkeit, Verlust von Partnern, Kindern oder schlimme Trennungen.

Weiter geht es die volle Prager Straße entlang. Passanten stürzen vorbei. Menschen, denen es nicht gut geht, die um Geld bitten, werden übersehen oder ignoriert. Auf einer kleinen Nebenstraße auf einer Bank sitzt Harry Meiser, versunken in sein Buch. Er lebt schon seit vielen Jahren auf der Straße. Hilfe nimmt er nicht so gern an, das bereitet Anita Herbst manchmal Sorgen. "Ich frage ihn jedes Mal, ob er was zu essen oder zu trinken möchte, und er lehnt meistens ab", sagt sie. Doch dieses Mal freut er sich über die Frage, ob er am übernächsten Tag bei der nächsten Streetworkrunde ein belegtes Brötchen möchte. Er stimmt zu. Oft ist im Rucksack der beiden Sozialarbeiter ein Buch für Harry Meiser, Krimis mag er am liebsten. Er lächelt , freut sich, die beiden bekannten Gesichter der Sozialarbeiter zu sehen, und nimmt das Buch strahlend entgegen.

Streetworker: Besser Geld statt Lebensmittel geben

Immer wieder fragen sich Passanten, ob es sinnvoll ist, den Menschen Geld in die Hand zu drücken, oder doch lieber etwas zu essen für sie zu kaufen. Die beiden Streetworker haben da eine ganz klare Haltung: "Ich finde immer, die Menschen sollten selbst entscheiden. Daher rate ich, ihnen Geld zu geben", sagt Anita Herbst. Es könne beispielweise niemand am Tag zehn Döner essen, die Passanten vorbeibringen, auch wenn das alles nett gemeint ist, sagt sie.

Den Menschen, die sie unterwegs treffen, erzählen sie von den Angeboten, die es in der Stadt gibt. So betreibt die Heilsarmee einen eigenen Tagestreff in Reick und bietet auch mehrfach in der Woche eine Suppenausgabe im Bischofsplatz an. Dort gibt es warmes Essen, Getränke und eine sozialpädagogische Beratung. Wie auch im Tagestreff. Bei Bedarf vermitteln die Sozialpädagogen an das Sozialamt, Jobcenter, zu Suchtberatungsstellen oder zu Ärzten. Wenn die Menschen das möchten, werden sie auch zu den Behörden begleitet.

Und dafür sind Nico Schmiedhofer und Anita Herbst viel zu Fuß unterwegs. "Die 10.000 Schritte auf dem Schrittzähler machen wir auf jeden Fall voll bei einer Streetworkrunde", sagt Herbst mit einem Schmunzeln, als die beiden wieder am Hauptbahnhof ankommen.