Führt Dresden die Bezahlkarte für Geflüchtete ein, Frau Kaufmann?
Dresdens Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) spricht im Interview über ihre Sicht auf die Geldkarte für Geflüchtete, 80-Cent-Jobs und fehlende Schulplätze.
Dresden. Die Bezahlkarte, die für geflüchtete Menschen in Sachsen als Pilotprojekt eingeführt werden soll, sorgt für heftige Debatten. Die Karte soll Bargeldzahlungen ablösen und entweder monatlich oder im zweiwöchigen Rhythmus durch die Landkreise oder die Landesdirektion mit Guthaben aufgeladen werden so die Pläne. Den Karteninhabern soll es möglich sein, einmal im Monat einen Betrag von 50 Euro abzuheben. Die Nutzung soll zunächst auf Sachsen beschränkt sein. Dresdens Sozialbürgermeisterin spricht über den Startzeitpunkt für Dresden, Wartezeiten auf Sprachkurse und Suche nach Wohnungen.
Frau Kaufmann, seit Wochen wird über die Einführung der Bezahlkarte für geflüchtete Menschen diskutiert. In den sächsischen Landkreisen geht es jetzt am 1. April los. Wann beginnt die Einführung in Dresden?
Sobald der Bund und die Länder uns die angekündigte einheitliche Bezahlkarte zur Verfügung stellen. Das kann jedoch noch etwas dauern. Ein europaweit gesuchter Anbieter wird die Karte programmieren und mit den Kommunen einführen. Von einem Flickenteppich, wo jeder Landkreis und jede kreisfreie Stadt auf eigene Kosten separate Systeme entwickeln und betreiben, halte ich nichts. Mit solchen Insellösungen kommt die Digitalisierung nicht voran. Deshalb setzen wir auf die bundesweit einheitliche Bezahlkarte, auch wenn das möglicherweise noch etwas dauert.
Die Karte löste Kritik aus, dass es nicht menschenwürdig sei, dass die geflüchteten Menschen nicht komplett selbst entscheiden können, was sie wo kaufen können. Wie sehen Sie das?
Ich sehe die Karte eher als Chance und nicht als Restriktion. Es soll ja auch einen Bargeldbetrag geben, über den die Geflüchteten dann frei entscheiden können.
Wo sehen Sie denn die Vorteile dieser Karte?
Die Karte ist eine Erleichterung für die Verwaltung, was die Ausgabe der Gelder für die Menschen betrifft. Es ist aber auch eine Erleichterung für die geflüchteten Menschen, die sich das Geld sonst persönlich in den Behörden abholen müssen. Menschen mit eigenem Mietvertrag oder einer eigenen Arbeit können sich ja auch eine andere EC-Karte beantragen. Aber ich muss es ganz klar sagen: Wir brauchen verbindliche Regelungen und die Kosten müssen zentral vom Bund und den Ländern getragen werden. Das darf nicht zulasten der Kommunen gehen.
"Im Moment gehen wir davon aus, dass wir alle Geflüchteten unterbringen können"
Viele Diskussionen gab es auch um den Thüringer Landkreis, in dem nun geflüchtete Menschen für 80 Cent die Stunde arbeiten sollen. In Dresden gibt es diese Arbeitsgelegenheiten schon länger. Wird hier auch so wenig bezahlt?
Richtig. Asyl-Arbeitsgelegenheiten sind für uns kein Neuland, die gibt es schon seit Jahren und werden von den Geflüchteten gut angenommen. Die 80 Cent Aufwandsentschädigung pro Stunde sind bundeseinheitlich festgeschrieben. Das Geld ist ein Anreiz für die Teilnehmenden, es wird nicht auf die Asylbewerberleistung angerechnet. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht und wir werden das Eingliederungsinstrument weiter nutzen.
Wie viele Menschen sind in diesen Arbeitsgelegenheiten untergebracht?
Das Sozialamt bietet im Moment 142 Plätze in zwölf Maßnahmen. Die Tätigkeiten sind breit gefächert. Zum Beispiel in Suppenküchen und Begegnungsstätten. Die Vorteile sind, dass die Teilnehmenden noch besser Deutsch lernen, eine Tagesstruktur haben und ihr Können in bestimmten Berufsfeldern erproben. Der allergrößte Teil der Menschen möchte auch arbeiten.
Wie viele geflüchtete Menschen erwartet Dresden in diesem Jahr und kann Dresden die Unterbringungspflicht erfüllen?
Es gibt nach wie vor keine genauen Prognosen vom Bund und vom Freistaat. Deshalb erstellen unsere Fachleute eine eigene Prognose. Demnach erwartet die Stadt für dieses Jahr 2200 Menschen aus den klassischen Herkunftsländern und 300 Schutzsuchende aus der Ukraine. Im Moment gehen wir davon aus, dass wir alle Personen unterbringen können.
"Investitionen in Geschosswohnungsbau sind nachhaltiger als Wohncontainer"
Wie viele Menschen haben Sie bisher aufgenommen in diesem Jahr?
Dresden hat im Januar und Februar insgesamt 240 Menschen aufgenommen. Dazu kommen 107 Geflüchtete aus der Ukraine, die uns von der Landesdirektion zugewiesen wurden.
Wie läuft die Suche nach den Unterbringungsobjekten?
Das ist ein langwieriger Prozess. Das Amt für Hochbau und Immobilienverwaltung akquiriert immer wieder Objekte, die dann detailliert geprüft werden. Da wird beispielsweise gecheckt, ob die räumlichen und technischen Bedingungen erfüllt sind, wie es um die Erreichbarkeit und die soziale Infrastruktur steht und ob die Kosten im Rahmen sind. Zu Jahresbeginn gingen sechs Wohncontainerstandorte in verschiedenen Stadtteilen in Betrieb. Aktuell wird die ehemalige Schule an der Alexander-Herzen-Straße in Klotzsche zum Wohnheim für Geflüchtete umgebaut. Die Einrichtung geht Ende dieses Jahres an den Start. Parallel läuft die Sanierung an der ehemaligen Cityherberge an der Lingnerallee weiter. Nach Abschluss der Arbeiten kann die Einrichtung flexibel mit bis zu 280 Geflüchteten belegt werden. Mit diesen Kapazitäten ist dann noch ein bisschen Luft bei der Unterbringung.
Zuletzt war es ein Problem, Menschen in eigenen Wohnraum zu vermitteln. Wie sieht es da aus?
Pro Monat wechseln zwischen 70 und 90 Menschen in eigenen Wohnraum. Das Sozialamt unterstützt sie dabei. Es wird aber zunehmend schwieriger, weil es so wenige freie bezahlbare Wohnungen gibt. Rund 900 Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge leben in städtischen Unterkünften, obwohl sie eigentlich schon eine eigene Wohnung haben könnten. Das ist in der Tat ein Problem. Deshalb werde ich auch nicht müde, das Thema bezahlbares Wohnen immer wieder zu forcieren. Investitionen in leistbaren Geschosswohnungsbau sind allemal nachhaltiger als Wohncontainer auf wertvollen Baugrundstücken. Damit der Wohnungsbau wieder in Schwung kommt, brauchen wir aber auch die passende Förderkulisse.
"Ein Problem ist, dass nicht immer die Sprachkurse in den Sprachniveaus zur Verfügung stehen, die aktuell gebraucht werden"
Ein großes Problem ist, dass nicht alle geflüchteten Kinder einen Schulplatz haben. Zuletzt waren es über 200. Warum bekommen die Behörden das nicht geregelt?
Jedes Kind und jeder Jugendliche hat ein Recht auf Bildung. Bildung ist Ländersache. Und dieses Recht wird seitens des Landes im Moment ausgesessen. Die Folge ist leider, dass die Kinder und Jugendlichen wertvolle Wochen und Monate des gemeinsamen Lernens verlieren. Ihnen entgehen Wissen, Teilhabe und Chancen, die ihnen zustehen. Ich fordere das Landesamt für Schule und Bildung dringend zum Handeln auf. Wir brauchen ausreichend Schulplätze auch für geflüchtete Kinder und Jugendliche, damit ihre Integration nicht auf der Strecke bleibt.
Ebenso wurde kritisiert, dass die Menschen sehr lange auf Sprachkurse warten müssen. Wie ist da der Stand der Dinge?
Aktuell gibt es immer mal wieder freie Plätze in Integrationskursen, insbesondere in den Basiskursen. Die Kurse organisiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Auf der Webseite bamf-navi.bamf.de lässt sich mit wenigen Klicks herausfinden, wann und wo die nächsten Kurse in Dresden starten. Die Geflüchteten können sich dann direkt beim Kursanbieter anmelden. Ein Problem ist, dass natürlich nicht immer die Sprachkurse in den Sprachniveaus zur Verfügung stehen, die aktuell gebraucht werden. Da kann es dann im Einzelfall länger dauern bis zum Kursbeginn.
Zuletzt war es auch ein Problem, dass geflüchtete Menschen aus der Ukraine sehr lange auf die Anerkennung ihrer Studien und Berufsabschlüsse warten mussten. Wann bekommt das die Behörden nicht besser in den Griff?
Das ist keine Aufgabe des Jobcenters, auch nicht der Stadtverwaltung. Um die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen kümmern sich je nach Berufszweig Kammern und Ministerien. Mit dem Anerkennungsfinder im Internet lässt sich die zuständige Stelle herausfinden. In Dresden hilft die Beratungsstelle IBAS bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Die Anerkennung selbst dauert dann in der Tat recht lange. Ich wünsche mir da seitens der ausführenden Stellen eine Beschleunigung, damit die Arbeitsmotivation nicht auf der Strecke bleibt und die benötigten Fachkräfte schnell in reguläre Jobs kommen.