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Diese Dresdnerin ist langzeitarbeitslos und hat keine Langeweile

Der Verein "Jugend Arbeit Bildung" gibt Hunderten Menschen Struktur und Sinn im Leben. Warum das die Gesellschaft schützt und stützt.

Von Nadja Laske
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Margitta Zaloga arbeitet gern im Verein. "Hier bin ich viel lebenslustiger geworden", sagt sie.
Margitta Zaloga arbeitet gern im Verein. "Hier bin ich viel lebenslustiger geworden", sagt sie. © René Meinig

Dresden. Es war ihr Traumberuf. Als Margitta Zaloga nach der Schule ihre Ausbildung zur Gemüsegärtnerin begann, hatte sie gefunden, was ihr wirklich Freude macht. So empfand sie das ein langes Arbeitsleben lang, und ginge es nach ihr, verbrächte sie ihre Tage nach wie vor als Gärtnerin.

"Aber dann habe ich einen Bandscheibenvorfall bekommen, dazu Rheuma und eine Schuppenflechte", erzählt die 60-Jährige. Nicht mehr in der Lage, in ihrem Beruf zu arbeiten, wurde Margitta Zaloga 2010 arbeitslos und kehrte nie wieder zu ihrer körperlichen Fitness zurück.

"Der Verlust meiner Arbeit und das viele Zuhause sein hat sich gar nicht gut auf mein privates Leben ausgewirkt. Ich bin richtig depressiv geworden", erzählt sie. Aus dem gewohnten und geschätzten Arbeitsalltag zu fallen, veränderte das ganze Leben nachhaltig.

Denkt sie heute zurück, nennt sie einen entscheidenden Lichtblick: "Ich bekam im Jobcenter eine neue Bearbeiterin, die sich gründlich mit meinem Werdegang befasst und versprochen hat, mir aus dieser Untätigkeit herauszuhelfen."

Fünf Stunden am Tag: Nistkästen bauen und Gemüse anpflanzen

Der 38-jährige Malkhaz Begashvili kann auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht arbeiten. Doch im Verein sind seine Fertigkeiten wichtig.
Der 38-jährige Malkhaz Begashvili kann auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht arbeiten. Doch im Verein sind seine Fertigkeiten wichtig. © René Meinig

Ihr verdankt Margitta Zalonga, dass der Verein "Jugend Arbeit Bildung", kurz JAB e.V. ein neuer Hoffnungsschimmer und eine stabile Größe in ihrem Leben wurde. Seit März 2020 arbeitet sie nun in dessen Werkstätten - im Rahmen einer Maßnahme, die im Behördendeutsch den sperrigen Namen "Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung" hat.

Mit Leben gefüllt heißt das: Menschen, die aus den verschiedensten Gründen keine Chancen mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, bekommen in den Werkstätten des öffentlich anerkannten Trägers die Möglichkeit, unter Anleitung einer sinnvollen, wertschöpfenden und nachhaltigen Arbeit nachzugehen.

Seit gut 30 Jahren ist der Verein aktiv. Pro Jahr hat er rund 200 Teilnehmer, davon 40 Prozent Frauen. Sie werden bei sehr langer Arbeitslosigkeit - das sind 75 Prozent - entweder vom Jobcenter vermittelt oder kommen als geduldete beziehungsweise noch nicht anerkannte Flüchtlinge über das Sozialamt in die ehemalige Kamerafabrik an der Bismarckstraße.

Dort sind sie je nach Möglichkeiten und Neigungen fünf Stunden am Tag in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig. Der Verein Jugend Arbeit Bildung, dessen Name auf eine Zeit zurückgeht, zu der besonders unter jungen Menschen eine hohe berufliche Perspektivlosigkeit herrschte, bietet Holz-, Metall-, Kreativ- und Nähwerkstätten. Außerdem unterhält er im Ostragehege eine rund 3000 Quadratmeter große Fläche, auf der Teilnehmer Obst und Gemüse anbauen. Der sogenannte Tafelgarten stellt seine Produkte erntefrisch der Dresdner Tafel zur Verfügung.

Verein macht Arbeiten, die für die freie Wirtschaft zu aufwändig sind

Margitta Zaloga sitzt unter einem halben Dutzend anderer Frauen und stickt einen Blätterreigen auf eine Grußkarte. Handarbeiten haben ihr schon immer Spaß gemacht. "Am liebsten würde ich natürlich im Garten arbeiten", sagt sie, "Aber das kann ich ja nicht mehr." Während sie den feinen Zwirn durchs Papier fädelt, feilt Malkhaz Begashvili eine Etage höher an einem Igel. Das Holz-Tier wird später einen Garten schmücken oder Kinder spielen damit.

Nistkästen, Insektenhotels, Schachspiele, Dekofiguren und sogar ein Billardtisch entstehen in den Werkstätten. Die Nähstuben produzieren Kostüme für Theateraufführungen oder Aufbewahrungen für Spielsachen. Kindergärten, Pflegeheime, Museen, Firmen und Privatpersonen sind dankbare Abnehmer dafür. Damit die Arbeit des Vereins jedoch dem ersten Arbeitsmarkt nicht in die Quere kommt, darf er nur Aufträge ausführen, die für die freie Wirtschaft viel zu aufwändig und unwirtschaftlich sind. Solche, für die sich kein Handwerksbetrieb und kein anderer Dienstleister finden würde.

Davon gibt es genug. "Unsere Teilnehmer arbeiten zum Beispiel Zäune und Parkbänke auf, bauen Spielhäuser für Kitas", sagt Vereinschefin Solveig Buder, die im Verein Migranten auch in Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Mit diesen Aufgaben lernen die Frauen und Männer, die sonst untätig zu Hause säßen, wieder ihren Tag zu strukturieren. Sie schulen ihre Fähigkeiten, erlangen Selbstwertgefühl und tragen dazu bei, dass der Verein rund 30 Prozent seines Budgets selbst verdient.

Sergeji Schiller (l.) ist 60 Jahre alt und hat goldene Hände. Das bestätigt sein Praxisanleiter Maik Jähnig. Weil der gebürtige Russe jedoch eine Sprachblockade hat, findet er auch keine Anstellung. Im Verein aber baut er traumhafte Insektenhotels und Vog
Sergeji Schiller (l.) ist 60 Jahre alt und hat goldene Hände. Das bestätigt sein Praxisanleiter Maik Jähnig. Weil der gebürtige Russe jedoch eine Sprachblockade hat, findet er auch keine Anstellung. Im Verein aber baut er traumhafte Insektenhotels und Vog © René Meinig

"Ich bin der Stadt Dresden sehr dankbar, dass sie ein solch wichtiges Angebot fördert", sagt Solveig Buder. Eigene Einkünfte seien jedoch ebenso wichtig, um die Praxisanleiter dauerhaft zu beschäftigen und nicht aufgrund zeitlich begrenzter Maßnahmen immer wieder selbst in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Insgesamt hat der Verein 25 Mitarbeiter, davon fünf Sozialpädagogen.

Vier Prozent schaffen es zurück auf den Arbeitsmarkt

Ziel sei es zwar, mit dieser Beschäftigung Menschen nach langer Arbeitslosigkeit in den Arbeitsmarkt zu integrieren. "Die traurige Wahrheit ist jedoch, dass das bei nur vier Prozent gelingt", sagt Solveig Buder. Gemeinsam mit der kaufmännischen Geschäftsführerin des Vereins, Christine Graf, tut sie dennoch alles, um den Menschen unter ihrem Dach ein positives Lebensgefühl zu vermitteln.

Das besteht nun einmal daraus, gebraucht und respektiert zu sein, einen geregelten Tag zu haben und menschliches Miteinander zu erleben. Das soziale Wesen Mensch werde sonst nicht nur zu einer Belastung für die Gesellschaft, sondern sogar zu einer Bedrohung.

Margitta Zaloga kann das bestätigen: Ihr Leben geriet aus den Fugen, als sie ihre Arbeit dauerhaft verlor. Das zog psychische Probleme nach sich. "Seitdem ich hier meine Aufgabe habe und manchmal sogar unsere Praxisanleiterin vertreten darf, fühle ich mich richtig gut", sagt sie. Besonders das Zusammensein mit den ausländischen Teilnehmern, von denen sie viel über deren Kultur erfährt oder mit ihnen kocht, gefällt ihr. "Hier bin ich viel lebenslustiger geworden."