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Kleingartenverein in Dresden: Mehrgenerationen-Gärtnern am Südhang

Kleingärten sind heute total gefragt. In der Sparte "Wilder Mann I" in Dresden-Trachenberge prallen verschiedene Generationen und Lebensweisen aufeinander. Zu Besuch in einem Mini-Kosmos.

Von Juliane Just
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Gudrun und Hans Becker pflegen ihren Kleingarten in Trachenberge schon seit 34 Jahren. Im Sommer sind sie fast täglich hier - auch wegen der Gemeinschaft der Hobby-Gärtner.
Gudrun und Hans Becker pflegen ihren Kleingarten in Trachenberge schon seit 34 Jahren. Im Sommer sind sie fast täglich hier - auch wegen der Gemeinschaft der Hobby-Gärtner. © Marion Doering

Dresden. Kleingärten bieten Städtern eine Zuflucht ins Grüne, haben bei manchen aber auch noch immer einen spießigen Ruf. Zu viele strenge Regeln, ältere Gärtner, die grimmig über den Gartenzaun schielen und alles schlecht heißen, was die Jungen tun. Es wird Zeit, mit diesem Vorurteil aufzuräumen - und die Dresdner zeigen, wie es geht.

Die Kleingartensparte "Wilder Mann I" liegt im Dresdner Norden an einem Südhang. Früher waren das Weinberge, die in Radebeul begannen und hier ihr Ende fanden. Deswegen bestehen die Gärten bis heute aus Terrassen, die Wege dahin sind steil und klein. Der Ausblick von hier ist unbezahlbar - das gesamte Innenstadt-Turmensemble ist von hier zu sehen: Hofkirche, Frauenkirche, Rathaus. Bei klarem Wetter könne man bis nach Prohlis und Gorbitz, ja bis an die tschechische Grenze schauen.

Hans und Gudrun Becker genießen diesen Blick seit 34 Jahren. Fast 20 Jahre haben sie mit Unterbrechungen auf ihren Garten gewartet, so war das eben zu DDR-Zeiten. Tomaten, Kartoffeln, Zucchini, Himbeeren, ja sogar aus dem Kern gezogene Wildpfirsiche und mehr ernten sie von dem 300 Quadratmetern Grün.

Bis heute kommen die beiden 84-Jährigen im Sommer fast jeden Tag hierher, im Winter seltener. Der Aufstieg am Südhang bis fast ganz nach oben, wo ihre Sparte liegt ist mühsam, aber lohnt sich immer. "Ich bin noch agil und brauche diese Beschäftigung", sagt Hans Becker.

Wein im Dresdner Kleingarten sollte einst an der Weinbergskirche ranken

Auffallend ist der Wein, der das Gartenhäuschen inzwischen komplett umrankt und eine besondere Geschichte hat. Denn eigentlich sollte die Pflanze die nahegelegene Weinbergskirche verschönern, wanderte dann aber zu Familie Becker. 1990 war das, vor 33 Jahren. Seither fädelt, flechtet und schneidet Hans Becker die Reben, an denen pralle Früchte hängen. Gerade färben sie sich von hellem Grün zu saftigem Lila. Gemeinsam mit den Nachbar-Gärtnern sammeln sie die Früchte und lassen den eigenen Saft in einer Mosterei abfüllen.

Die Weintrauben im Garten von Gudrun und Hans Becker werden so langsam reif. Eigentlich sollte dieser Wein einst an der benachbarten Weinbergskirche ranken, wächst aber nun seit 1990 in der Kleingartenanlage "Wilder Mann I".
Die Weintrauben im Garten von Gudrun und Hans Becker werden so langsam reif. Eigentlich sollte dieser Wein einst an der benachbarten Weinbergskirche ranken, wächst aber nun seit 1990 in der Kleingartenanlage "Wilder Mann I". © Marion Doering

Überhaupt sei das Zusammenleben mit den anderen Gärtnern angenehm. Man tauscht sich über den Gartenzaun aus - über Pflanzen, aber auch über Kultur und Veranstaltungen. Man kennt sich eben. Die Mitglieder sind zwischen 3 und 90 Jahren, mehrere Generationen und Lebensweisen prallen hier aufeinander. "Viele junge Leute bringen neue und wichtige Dinge mit in die Gärten und den Verein ein", sagt Gudrun Becker.

Genau so sieht es auch der Vorstandsvorsitzende Hendrik Fritzsche, mit 44 Jahren sozusagen selbst noch einer der Jungen. "Wir sind eine Gemeinschaft und helfen einander. Das steht nicht nur in der Satzung, sondern ist auch so", sagt er. Wenn ältere Leute die Gartenpflege nicht mehr schaffen, wird geholfen. Wenn Familienzuwachs ansteht und der Garten erst einmal zur Nebensache wird, ebenso.

Im Kleingartenverein "Wilder Mann I" wird viel für das Wir getan

In der Kleingartensparte wird viel für das Wir getan. Es gibt einen Gemeinschaftsgarten, mehrere Nachbarschaftsprojekte, Wildkräuter-Patenschaften, einen Weinlehrpfad, einen "Naschweg" mit Früchten und einen Erntetisch, an dem Obst und Gemüse mitgenommen werden kann. Das gilt nicht nur für die 65 Parzellen-Inhaber, sondern für alle Anwohner in der Nachbarschaft. "Wir sind ein offener Garten, die Tore sind nicht verschlossen", so Fritzsche.

Vielleicht ist es dieses Miteinander, das den Verein jetzt 100 Jahre hat alt werden lassen. Mehrmals stand die Sparte vor dem Aus - 1933, als die Nazis die Kleingärtner enteigneten, aber auch erst vor sieben Jahren, als Investoren den fruchtbaren Südhang als Bauland umfunktionieren wollten. "Wir haben uns in den vergangenen sieben Jahren vor Gericht gestritten", sagt der Vereinsvorstand. 2022 haben die Kleingärtner gewonnen. Sie haben jetzt eine unbefristete Pacht, sind unkündbar.

"Die Kleingartensparte ist Frischluftschneise für die Stadt und Biotop", bekräftigt Hendrik Fritzsche. Und ja, es gibt hier natürlich Regeln. Beispielsweise muss mindestens ein Drittel der jeweiligen Gartenfläche für den Obst- und Gemüseanbau genutzt werden. So schreibt es das Bundeskleingartengesetz vor. Es müssen bestimmte Arbeitsstunden für die Gemeinschaft erbracht werden. In Dresden gibt es über 300 Kleingartenanlagen, die diesen Regeln unterliegen.

Eigener Garten in Dresden: "Wir haben gezögert, es aber nie bereut"

Dass Brian von Rüden mal eine Gartensparte beackern würde, konnte er sich lange nicht vorstellen. Gebürtig kommen er und sein Mann Benjamin aus Chicago. Der Beruf führte sie über den Atlantik nach Dresden, in das sie sich so sehr verliebten, dass sie insgesamt drei Mal wiederkamen - und schließlich blieben. "Wir wurden gefragt, ob das Gärtnern nicht etwas für uns wäre. Wir haben ein bisschen gezögert, es aber nie bereut", resümiert Brian von Rüden nach sechs Jahren als Garten-Neuling.

Brian (l.) und Benjamin von Rüden mit Sohn Elias in ihrem Garten der Kleingartenanlage "Wilder Mann I" in Dresden-Trachenberge. Obwohl sie erst zögerten, ob sie je Hobby-Gärtner werden wollen, haben sie es bis heute nicht bereut.
Brian (l.) und Benjamin von Rüden mit Sohn Elias in ihrem Garten der Kleingartenanlage "Wilder Mann I" in Dresden-Trachenberge. Obwohl sie erst zögerten, ob sie je Hobby-Gärtner werden wollen, haben sie es bis heute nicht bereut. © Marion Doering

Heute haben die Männer ihren Garten nur wenige Meter von denen der Beckers entfernt. "Am Anfang habe ich sie oft um Rat gefragt oder meine Mutter in Amerika angerufen. Ich hatte nicht viel Erfahrung", sagt der 44-Jährige. Die Gartenlaube, die sie vom Vorgänger übernahmen, renovierte er bis auf die Grundmauern. Er besorgte er sich 1.500 Holzschindeln, bestrich sie eigenhändig und baute sie ein. So wurde aus einer DDR-Laube eine schwedische Hütte.

Für den vierjährigen Sohn Elias sei der Garten in der Corona-Pandemie "die Rettung" gewesen. Als nahezu alles, was das tägliche Leben bis dato ausgemacht hatte, eingeschränkt wurde, konnte man hier weiterhin gärtnern. "Wir sind mitunter zwei Mal am Tag hergefahren", so Brian von Rüden. Wie aus einem Samen in der Erde eine Pflanze werde, die schließlich Früchte trage, habe die kindliche Wahrnehmung auf die Welt erweckt.

Das Miteinander in der Kleingartenanlage lobt der 44-Jährige. Natürlich gebe es verschiedene Charakter, aber das sei eben überall so. Es seien zahlreichen Generationen vermischt, aber man komme gut zurecht. Und macht nicht auch das Gesellschaft aus?