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Restaurator sichert Dresdens "Pferdebändigerin"

Die berühmten Marmor-Kunstwerke im Großen Garten in Dresden sollen der Nachwelt erhalten bleiben. Fachleute setzen dafür jahrhundertealte Techniken ein.

Von Peter Hilbert
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Restaurator André Zehrfeld (l.) und SIB-Sachgebietsleiter Kai-Uwe Beger freuen sich, wie filigran die Negativform der Skulptur abgenommen werden konnte. Hier ist das Gesicht des Kentauren Eurytus aus der griechischen Mythologie zu sehen.
Restaurator André Zehrfeld (l.) und SIB-Sachgebietsleiter Kai-Uwe Beger freuen sich, wie filigran die Negativform der Skulptur abgenommen werden konnte. Hier ist das Gesicht des Kentauren Eurytus aus der griechischen Mythologie zu sehen. © Sven Ellger

Dresden. Etwas versteckt liegt die Werkstatt von André Zehrfeld im Hinterhof seines Rähnitzer Hauses. Hier ist der Dresdner Restaurator und Kunstformermeister dabei, eines der bedeutendsten Kunstwerke aus dem Großen Garten zu sichern, sodass die genauen Formen auch der Nachwelt erhalten bleiben. Dabei handelt es sich um die Marmorskulptur der Kentaurengruppe von Eurytus und Hippodameia, ins Deutsche übersetzt die Pferdebändigerin, aus der griechischen Mythologie.

Das ist die Skulptur von Eurytus und Hippodameia im Großen Garten. Sie steht noch dort, wo sie im 18. Jahrhundert von August dem Starken aufgestellt wurde.
Das ist die Skulptur von Eurytus und Hippodameia im Großen Garten. Sie steht noch dort, wo sie im 18. Jahrhundert von August dem Starken aufgestellt wurde. © René Meinig

Das Original steht direkt an der Hauptallee, wo sie sich aus Richtung Lennéstraße vorm Palais aufweitet. Direkt gegenüber ist als Pendant die Skulptur von Nessus und Deianira, der Geliebten des Herkules, zu bewundern. An diesem Tag ist Sachgebietsleiter Kai-Uwe Beger vom Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) in Zehrfelds Werkstatt gekommen, um den Fortschritt der Sicherungsarbeiten zu begutachten.

Der Meister: Berühmter Italiener schuf Dresdner Werke

Die beiden Kentaurengruppen hatte der berühmte italienische Bildhauer Antonio Corradini um 1720 geschaffen, erklärt Beger. Kunsthandwerker Zehrfeld hält mit einer speziellen Technik die genauen Formen der Marmorskulpturen fest, damit später Kopien davon gefertigt werden können. Im vergangenen Jahr ist das bei Nessus und Deianira geschehen, in diesem Jahr bei Eurytus und Hippodameia.

Unter schützenden Planen sichern die Restauratoren Susanna Sbaraglia und André Zehrfeld im Sommer 2021 die Formen einer Marmorskulptur im Großen Garten. Dabei handelt es sich um die Kentaurengruppe von Nessus und Deianira aus der griechischen Mythologie.
Unter schützenden Planen sichern die Restauratoren Susanna Sbaraglia und André Zehrfeld im Sommer 2021 die Formen einer Marmorskulptur im Großen Garten. Dabei handelt es sich um die Kentaurengruppe von Nessus und Deianira aus der griechischen Mythologie. © René Meinig

In Dresden gibt es außergewöhnlich viele Corradini-Kunstwerke, erklärt Zehrfeld. Nach seinem Meisterabschluss hatte sich der heute 53-Jährige 1996 noch in Venedig zum Restaurator qualifiziert. Dort hatte er auch seine Frau Susanna Sbaraglia kennengelernt, die ihn bei den Sicherungsarbeiten unterstützt.

Der Auftakt: August der Starke lässt Skulpturen aufstellen

1694 war das Palais im Großen Garten übergeben worden. Begonnen wurde damit, Sandsteinskulpturen aufzustellen. Nachdem sich August der Starke von der Prunkhochzeit seines Sohnes Friedrich August 1719 finanziell erholt hatte, ließ er ab 1728 etwa 200 Marmorskulpturen im Großen Garten aufstellen, um 1730 die beiden Kentaurengruppen.

Das ist die Skulptur von Nessus und Deianira, von der Restaurator Zehrfeld und seine Frau bereits eine Gipskopie hergestellt haben. Gezeigt wird, wie der Kentaur Nessus die Deianira, die Braut des Herkules, entführt.
Das ist die Skulptur von Nessus und Deianira, von der Restaurator Zehrfeld und seine Frau bereits eine Gipskopie hergestellt haben. Gezeigt wird, wie der Kentaur Nessus die Deianira, die Braut des Herkules, entführt. © Peter Hilbert

Alle Skulpturen standen dort bis zum Siebenjährigen Krieg. Doch nachdem die Preußen 1756 Dresden besetzt hatten und auch andere feindliche Truppen durch die Residenzstadt gezogen waren, wurden viele von ihnen gestohlen oder zerstört, erklärt Beger. Schließlich sei das ein Symbol für die Deklassierung der Wettiner gewesen, die die Macht symbolisierten. Heute zieren den Großen Garten noch 37 Skulpturen, 22 aus Sandstein, zwölf aus Marmor und drei Kunstmarmorabgüsse. Viele von ihnen sind seit den 1990er-Jahren gereinigt und ausgebessert worden.

Die Kentauren-Gruppen: 1760 erste Instandsetzung nötig

Obwohl andere Marmorskulpturen verschwunden sind, blieben die beiden Kentaurengruppen immer an ihrem Standort. Sie waren zwar 1760 im Siebenjährigen Krieg beschädigt, aber danach instand gesetzt worden. Bei den Bombenangriffen am Ende des Zweiten Weltkriegs im Februar 1945 wurden die Marmor-Kunstwerke wieder beschädigt. Danach beseitigten Fachleute der Dresdner Steinbildhauerfirma Hempel die Schäden, erklärt der SIB-Sachgebietsleiter. Allerdings gab es immer wieder Schäden durch Vandalismus, die beseitigt werden mussten.

Die Entführung: Eurytus raubt die Braut

Peirithoos, ein angesehener griechischer Adliger, feiert die Hochzeit mit Hippodameia, verweist Beger auf den Ursprung der Geschichte aus der griechischen Mythologie. Er gestattet auch den Kentauren, bei denen es sich um Mischwesen aus Mensch und Pferd handelt, am Hochzeitsmahl teilzunehmen. Als die außergewöhnlich schöne Braut erscheint, berauscht sich der betrunkene Kentaur Eurytus an ihrem Anblick. Er stürzt sich auf Hippodameia, greift die Neuvermählte bei den Haaren und raubt sie. Doch die Anwesenden greifen ein. Theseus, dem legendären König von Athen, gelingt es letztlich, sie wieder zu befreien. "Diese Skulptur vom Raub soll die Wildheit symbolisieren", sagt Beger.

Das ist die abgenommene Negativform der Hand von Hippodameia, die bei ihrer Hochzeit entführt wird.
Das ist die abgenommene Negativform der Hand von Hippodameia, die bei ihrer Hochzeit entführt wird. © Sven Ellger

Die Sicherung: Ewig haltbare Gipsschale

Eine Sicherung ist nötig, da es bei den Marmor-Skulpturen ein großes Problem gibt. Das raue Wetter in Deutschland greife nicht nur die Oberflächen, sondern auch die innere Struktur an. "Zwar sind die Kentaurengruppen auch nach über 300 Jahren noch stabil", sagt er. "Doch um das Original zu sichern, lassen wir jetzt Kopien anfertigen."

Im vergangenen Sommer hatten Zehrfeld und seine Frau die Formen der Skulptur von Eurytus und Hippodameia im Großen Garten abgenommen. Zuerst hatten die Kunsthandwerker hochwertiges Silikon mit dem Pinsel auf die Oberfläche aufgetragen. Aufgespritzt wurden danach zwei Schichten Zwei-Komponenten-Material. Dieses eng anliegende Kleid an der Figur ist sechs bis sieben Millimeter stark.

Mit diesen großen Schalen, die als Vorlage für den Gipsabguss dienen, ist der Pferdekörper des Kentauren Eurytus festgehalten. Zusammengesetzt sind diese und die anderen Schalen aus vielen Einzelteilen.
Mit diesen großen Schalen, die als Vorlage für den Gipsabguss dienen, ist der Pferdekörper des Kentauren Eurytus festgehalten. Zusammengesetzt sind diese und die anderen Schalen aus vielen Einzelteilen. © Peter Hilbert

Allerdings würde die Silikonhülle allein in sich zusammenfallen. Also bekommt sie eine Stützform. Teilweise werden Gipskeile in Vertiefungen eingefügt. Darüber kommt eine große Hülle aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Die 150 Einzelteile hat er bereits zu vier großen Teilen zusammengefügt. Anfang kommenden Jahres wird er dann einen Gipsabguss herstellen. Vereinfacht dargestellt sei die Gipsschale wie ein Schokoladenweihnachtsmann. Zwei Schichten Jutegewebe und ein Holzgestell verstärken den Gips. "Die Technik der Abdrücke hatten schon die alten Römer verwendet, als sie die Skulpturen der Griechen kopierten", erläutert der Kunsthandwerker. "Solche Gipsabgüsse sind unendlich haltbar."

Die Perspektive: Gipsschale kommt ins Depot

"Der Hauptzweck ist die Dokumentation des derzeitigen Zustandes", erklärt Zehrfeld. Wenn Bildhauer in vielen Jahrzehnten eine Kopie herstellen müssen, haben sie mit dem jetzigen Zustand eine gute Vorlage. Der Gipsabguss der Kentaurengruppe von Nessus und Deianira steht bereits im Palais, im Frühjahr sollen Eurytus und Hippodameia folgen. Endgültig sollen sie im geplanten Skulpturendepot untergebracht werden, das der SIB im Großen Garten bauen will.