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Keine Noten mehr an Dresdner Schulen bis Klasse 8?

Es gibt Ideen, das Bildungssystem in Sachsen zu erneuern. Eine davon will Noten abschaffen und durch schriftliche Bewertungen ersetzen. Am Ende eine realistische Variante?

Von Julia Vollmer
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"Eine bloße Schulnote sagt nichts aus": Zensuren verursachen oft Druck und Stress. Jetzt gibt es grundsätzliche Überlegungen.
"Eine bloße Schulnote sagt nichts aus": Zensuren verursachen oft Druck und Stress. Jetzt gibt es grundsätzliche Überlegungen. © SZ/Uwe Soeder

Dresden. Fünf in Mathematik oder eine Vier in Deutsch: Der Frust bei Dresdner Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern ist mitunter groß. Ebenso wie der Leistungsdruck. Nun hat eine vom sächsischen Kultusministerium beauftragte Expertenkommission vorgeschlagen, Schulnoten bis zur achten Klasse abzuschaffen. Stattdessen, so eine Idee, könnten Kinder in Schriftform eine Rückmeldung bekommen. Teil des Gremiums war Maxi Heß, Schulleiterin der Unischule.

Was ist das Anliegen hinter der Idee?

"Eine bloße Schulnote, eine Vier in Mathe oder in Deutsch, sagt nichts darüber aus, was der Schüler oder die Schülerin weiß oder nicht weiß", sagt sie. "Vielleicht kann er oder sie gut addieren aber noch nicht so gut subtrahieren. Außerdem ist das auch immer davon abhängig, wie der Lehrer oder die Lehrerin bewertet - und auch von der Tagesform", so Heß. Vielleicht hat das Kind in der Nacht vor der Klassenarbeit schlecht geschlafen oder hat Ärger mit den Eltern oder Freunden?

Die Schulleiterin schlägt daher eine schriftliche Einschätzung der Schüler vor. "Dabei kann man viel besser darauf eingehen, was die Kinder und Jugendlichen schon können, statt immer nur auf die Defizite zu schauen", sagt sie. Die Kinder und Jugendlichen sollten trotzdem "Leistungen erbringen", aber so könne man ein Stück weit den Druck herausnehmen. Größere Schüler ab der 9. Klassen könnten die Notengebung dann differenzierter sehen.

Immer wieder wird diskutiert, ob nicht zuerst die Noten in den "Begabungsfächern" Kunst, Musik und Sport abgeschafft werden sollen. Das allerdings sieht Maxi Heß kritisch. "Es hätte meiner Meinung nach den Effekt, dass die Schüler diese Fächer dann vielleicht als weniger wichtig ansehen, und das sind sie ja nicht."

Maxi Heß ist Direktorin der Universitätsschule.
Maxi Heß ist Direktorin der Universitätsschule. © Sven Ellger

Keine Noten mehr - wie sehen das die Schüler selbst?

Der frisch gewählte Dresdner Stadtschülerrat-Vorstand um Nicolas Boucher, Viktoria Torno und Artem Abrosimow findet es "wichtig, dass wir uns Alternativen zu klassischen Notengebung anschauen". Noten verursachten bei vielen Schülerinnen und Schüler Druck und Stress, sagt Viktoria Torno. Gleichzeitig sei es aber schwierig, auch mit den Bewertungen in Worten ausschließlich objektiv zu sein, finden die Schülervertreter. Die könnten, je nach Lehrkraft genauso subjektiv ausfallen wie die Noten als Ziffern.

Ein Vorschlag der Schüler ist daher zum Beispiel, beim Sport nicht die Noten abzuschaffen, aber die geforderten Ziele pro Note individueller an Kriterien wie die Körpergröße anzupassen - etwa beim Hochsprung.

Was sagen die Eltern?

Stefan Kraft vom Kreiselternrat in Dresden will sich nicht festlegen, ob er den Vorschlag gut findet oder nicht. "Die Argumente pro oder kontra klassische Notengebung sind vielfältig." Aber: "Schulnoten sollten der objektiven Feststellung eines Wissensstandes bei den Kindern und Jugendlichen dienen." Fest stehe allerdings, dass Zensuren zum Teil weniger objektiv sind als es viele wünschen. "Vor allem die Vergleichbarkeit zwischen einzelnen Schulen und auch Bundesländern muss erheblich bezweifelt werden", so Kraft.

Ob und wie gut Schule ohne Noten am Ende wirklich funktioniert und ob die proklamierten Vorteile in der gewünschten Form durchschlagen, lasse sich nur in der Praxis prüfen. "Das muss in Form von Modellprojekten passieren, die wissenschaftlich begleitet und evaluiert gehören. Sollte sich herausstellen, dass es positive Effekte durch das Weglassen von Noten oder durch die Ergänzung von ausführlicheren Worturteilen gibt, sollte man am Ende auch mutig genug sein, Althergebrachtes zu verändern." Als Elternvertretung sei es dem Kreiselternrat aber wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler sowie auch die Eltern in einen solchen Prozess mit eingebunden sind. "Wir stehen dem Thema offen und konstruktiv kritisch gegenüber."

Wo steht das Kultusministerium in der Diskussion?

Aus dem Kultusministerium heißt es: "Die Diskussion über die Benotung oder auch andere alternative Rückmeldeformate zur Lern- und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler wird derzeit im Rahmen des initiierten Projektes Bildungsland Sachsen geführt." Dabei werde der Blick auf alle Fächer gerichtet. Bei den Beratungen hätten Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Schulleitungen, Eltern und Vereine mit am Tisch gesessen.

Der Beratungsprozess soll demnächst beendet sein. Danach wird ausgewertet. "Im Frühjahr wird das Kultusministerium im Ergebnis des Prozesses eine Strategie vorlegen. Dem Ergebnis wollen wir nicht vorgreifen", so Dirk Reelfs, Sprecher des Kultusministeriums. Daher halte er sich mit Bewertungen einzelner Maßnahmen oder Empfehlungen, die im Rahmen des Beratungsprozesses geäußert wurden, zurück. Der Diskussionsprozess solle "ergebnisoffen" stattfinden.