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Umgefallene Bäume, abgesägte Stämme: Warum wird im Großen Garten nicht aufgeräumt?

Im Großen Garten in Dresden gibt es immer mehr "unordentliche" Stellen. Wo gefällte Bäume und zersägte Stämme die Sicherheit der Besucher nicht gefährden, soll das auch so bleiben. Was hinter dieser Entscheidung steckt.

Von Bettina Klemm
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Frank Bittrich vom Dresdner Umweltamt hockt vor einer gefällten Eiche im Großen Garten. Ginge es nach ihm, könnte das Totholz dort liegenbleiben.
Frank Bittrich vom Dresdner Umweltamt hockt vor einer gefällten Eiche im Großen Garten. Ginge es nach ihm, könnte das Totholz dort liegenbleiben. © Marion Doering

Dresden. Frank Bittrich macht im Großen Garten auf einen Duft, der leicht an Aprikosen erinnert, aufmerksam. Für ihn ist das ein sicheres Zeichen, dass ein Juchtenkäfer-Männchen in der Nähe sein muss und mit diesem Sexuallockstoff Weibchen sucht. "Der Osmoderma eremita, wie der Juchtenkäfer mit dem lateinischen Namen heißt, ist europaweit streng geschützt. Wir haben im Großen Garten eines der bedeutendsten Vorkommen", sagt er.

Klar, dass der Sachbearbeiter der Unteren Naturschutzbehörde der Stadt Dresden besonders auf diese Insekten achtet. Er braucht jedoch großes Glück, um die Käfer zu sehen. Manchmal sei das bei der Paarung der Fall. Ein sicheres Zeichen sind hingegen die abgeflachten Kotpellets am Boden.

Die scheuen Juchtenkäfer verraten sich durch einen aprikosenähnlichen Duft, zumindest die Männchen.
Die scheuen Juchtenkäfer verraten sich durch einen aprikosenähnlichen Duft, zumindest die Männchen. © Frank Bittrich

Das Männchen lebt nur wenige Wochen und bleibt meist in der Baumhöhle. Die Weibchen, sie sind zwei bis drei Monate am Leben, legen 20 bis 80 Eier in den Mulm der Baumhöhle. Dieser entsteht durch von Baumpilzen verursachte Fäule. Die Larve wiederum benötigt drei bis vier Jahre, bis sie etwa siebeneinhalb Zentimeter groß und zwölf Gramm schwer sind. Sie bilden aus Mulm und Kot einen großen Kokon und überwintern darin. Dann verpuppen sie sich und die neuen Käfer schlüpfen im Juni oder Juli.

Juchtenkäfer sind meist standorttreu, sie können Jahrzehnte in ihren mit Mulm gefüllten Höhlen beispielsweise in alten Eichen leben. Doch diese Lebensräume sind bedroht. Dabei geht es um unzählige im Holz lebende und Pilze fressenden Käfer- und andere Insektenarten. Wie auf Bestellung krabbelt am Boden ein Gelbbindiger Schwarzkäfer, Diaperis boleti, der sich von Baumpilzen wie dem Birken- oder Schwefelporling ernährt.

So sieht eine typische Juchtenkäfer-"Wohnung" aus.
So sieht eine typische Juchtenkäfer-"Wohnung" aus. © Marion Doering

Fehlen die Insekten, so wirkt sich das auch auf die Vögel aus. Ein Beispiel ist der relativ seltene Mittelspecht, der im Großen Garten zu finden ist und der sich überwiegend von diesen gehölzbewohenenden Insektenarten ernährt. Anders als der Buntspecht braucht er weiches, morsches Holz, um seine Bruthöhle zu schaffen. "Was jetzt passiert, wirkt sich wahrscheinlich erst in Jahrzehnten aus. Es ist wie bei einem Flaschenhals, irgendwann ist Schluss, dann gibt es die Tiere nicht mehr", erklärt Frank Bittrich, der an der Fachhochschule in Pillnitz studiert hat.

Doch der Große Garten ist eine Parkanlage, die in ihrer fast 350-jährigen Geschichte eine Reihe von Veränderungen erfahren hat. Sie ist ein Kulturdenkmal und soll sicher für alle zugänglich sein. Von den rund 17.500 Bäumen sind ein Drittel älter als 80 Jahre, einige sogar Jahrhunderte alt. Doch dem Großen Garten geht es nicht gut. Mussten 2016 noch 20 Bäume gefällt werden, waren es vier Jahre später schon mehr als 500, wie das Schlösserland Sachsen mitteilt. Wassermangel ist der Hauptgrund für das Sterben der Bäume.

Die Untere Naturschutzbehörde wiederum muss den Fällungen zustimmen. "Wir wollen möglichst viele Bäume erhalten, doch wenn diese beispielsweise an Wegen zur Gefahr werden, bleibt kein Spielraum. Wir suchen aber Kompromisse. So werden die gefällten Baumteile in weniger zugänglichen Bereichen gelagert", erklärt Bittrich. Der 41-Jährige zeigt den Baumstumpf einer großen Eiche am Kanal in der Nähe der Hauptallee. Wenige Meter daneben liegen die Stämme des einstigen Riesens. Unterschiedliche Insekten und Pilze leben in und an ihm weiter. So entsteht in der toten Eiche neues Leben. Die sich lösende Rinde bietet Tieren wie beispielsweise kleinen Fledermäusen Schutz.

Totholz bietet vielen Insekten im Großen Garten einen Lebensraum - teils über viele Jahre.
Totholz bietet vielen Insekten im Großen Garten einen Lebensraum - teils über viele Jahre. © Marion Doering

Auch so mancher toter Baum oder Hochstamm bleibt aus diesen Gründen erst einmal stehen. Es könnte viel mehr werden, aber der Große Garten wird intensiv genutzt. Leider reichen einigen Besuchern die Wege und ausgewiesenen Liegenwiesen nicht, sie kriechen ins Gestrüpp, schaffen Lagerplätze und Trampelpfade, die immer breiter werden und schließlich wie offizielle Wege wirken. Dann wiederum gilt auch dort die Pflicht zur Sicherheit.

Bittrich, der selbst gern mit seinem Sohn in der Natur unterwegs ist, sieht so wild entstandene Plätze und Wege mit Sorge. Durch das häufige Betreten wird die Struktur des Bodens verdichtet und Wasser kann schwerer eindringen. Je mehr illegale Wege entstehen, umso häufiger muss aus Sicherheitsgründen die Entscheidung zum Fällen getroffen werden. Dabei wurde einst das Wegesystem im Großen Garten mit Respekt vor den vorhandenen Bäumen angelegt. "Vor zehn Jahren hatten wir hier noch ein Meer von Buschwindröschen, jetzt sind diese verschwunden."

Auch dieser umgestürzte Baum im Großen Garten wird vorerst liegengelassen.
Auch dieser umgestürzte Baum im Großen Garten wird vorerst liegengelassen. © Marion Doering

Die waldähnlichen Bereiche sorgen auch für den Baumnachwuchs, dort wachsen beispielsweise Eichensämlinge, die einmal prächtige Bäume werden sollen. Allerdings macht sich der Jung-Ahorn zu sehr breit. Das Schlösserland und die Stadt Dresden planen deshalb wieder ein Parkseminar, an dem die Dresdnerinnen und Dresdner teilnehmen und junge Eichen pflanzen können. Gleichzeitig drängen sie den Jung-Ahorn zurück. Parallel gibt es auch Spendenaktionen wie Tree-DD für das Pflanzen neuer Bäume im Großen Garten.

Parkseminar: Freitag, 13. Oktober (einführender Teil), und Samstag, 14. Oktober (praktischer Teil). Anmeldung bis zum 29. September 2023 per E­Mail an [email protected]. Die Teilnahme ist kostenfrei und sowohl an beiden Tagen, als auch einzeln möglich. Die Anzahl der Plätze am 14. Oktober ist begrenzt. Nähere Informationen auf schlösserland-sachsen.de.