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So aufwendig ist die Kopie der berühmtesten Skulptur im Großen Garten in Dresden

Seit Jahren kopiert ein Bildhauer das bedeutendste Kunstwerk des Großen Gartens in Dresden. Worauf es jetzt bei den Feinheiten ankommt.

Von Peter Hilbert
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Auge in Auge mit dem Zeit-Gott Chronos arbeitet Bildhauer Andreas Klein in seiner Potsdamer Werkstatt. Schließlich geht es jetzt um feinste Details an der Kopie der Skulptur „Die Zeit raubt die Schönheit“ für den Großen Garten in Dresden.
Auge in Auge mit dem Zeit-Gott Chronos arbeitet Bildhauer Andreas Klein in seiner Potsdamer Werkstatt. Schließlich geht es jetzt um feinste Details an der Kopie der Skulptur „Die Zeit raubt die Schönheit“ für den Großen Garten in Dresden. © Peter Hilbert

Dresden. Andreas Klein steht hoch oben in seiner Potsdamer Werkstatt gleich hinter dem Schlosspark Sanssouci. Schließlich ragt die weiße Skulptur aus Carrara-Marmor über drei Meter empor. Mit einer feinen Raspel ist der 54-jährige Steinbildhauermeister dabei, einer Augenbraue von Chronos den letzten Schliff zu geben. Deshalb arbeitet er Auge in Auge mit dem griechischen Zeit-Gott Chronos, der eine Schönheit emporhebt. Schon seit Ende 2018 ist der Potsdamer Marmor-Experte an der Kopie der Figurengruppe aktiv.

Das Original „Die Zeit raubt die Schönheit“ steht über 200 Kilometer entfernt im Dresdner Großen Garten. Es ist das bedeutendste Kunstwerk der Anlage. Doch seit zehn Jahren steht es unter einem schützenden Häuschen. Chronos kann nämlich einen der beiden Flügel nicht mehr schwingen, da er 2013 abgebrochen ist. Seitdem hängt „Die Zeit raubt die Schönheit“ in den Seilen und ist somit vorerst gesichert, erläutert Kai-Uwe Beger. Als Sachgebietsleiter beim Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) ist er dafür zuständig. Nicht nur der Götterflügel ist weg, auch andere Teile sind abgebrochen. Zudem durchziehen Risse die Skulptur.

Direkt vor dem Palais ist das provisorische Häuschen, unter dem die beschädigte Marmorskulptur „Die Zeit raubt die Schönheit“ im Großen Garten steht.
Direkt vor dem Palais ist das provisorische Häuschen, unter dem die beschädigte Marmorskulptur „Die Zeit raubt die Schönheit“ im Großen Garten steht. © Sven Ellger

Der Zustand sei nicht verwunderlich. Immerhin haben der Gott und seine Schönheit bereits das staatliche Alter von weit über 300 Jahren, erklärt Beger. Ende der 1680er-Jahre hatte der Bildhauer Pietro Balestra das Kunstwerk geschaffen. Die Figurengruppe symbolisiert, wie vergänglich Schönheit ist. Also sollte die Zeit gut genutzt werden. Der Italiener war ein Schüler von Gian Lorenzo Bernini, einem der bedeutendsten Bildhauer und Architekten des Barock, der sich im Petersdom und an vielen anderen Orten der heiligen Stadt verewigt hat. Seit 1728 steht Chronos mit seiner Schönheit im Großen Garten.

Heute zieren den Großen Garten noch 37 Skulpturen, darunter 22 aus Sandstein und zwölf aus Marmor. Viele von ihnen sind seit den 1990er-Jahren gereinigt und ausgebessert worden. Marmorfiguren haben dabei ein schützendes Acrylharzbad bekommen. Das Harz dringt in Risse und schwache Stellen, schließt sie so und festigt die Substanz. Doch bei der Zeit-Gruppe und anderen Marmorkunstwerken reicht das nicht mehr. „Man kann sie nicht mehr restaurieren“, sagt Beger.

Erst Gipsmodell - dann Marmor-Abbild

Deshalb arbeitet Steinbildhauer Klein an der Kopie. Der SIB setzt auf seine umfangreiche Erfahrung, die er sich seit der Wende auch im norditalienischen Carrara, dem Mekka der Natursteinindustrie, angeeignet hatte. Allein für den Schlosspark Sanssouci schuf er sieben Kopien von Skulpturen, so die „Allegorie der Luft“, die zu den bedeutendsten dortigen Kunstwerken zählt.

2018 rollt der 21 Tonnen schwere Block aus sehr weißem Marmor für die „Zeit raubt die Schönheit“ aus Carrara über den Brenner-Pass nach Potsdam. Den Block hatte Klein dort ausgewählt. Zuvor hatte sein Dresdner Bildhauer-Kollege Stefan Dürre ein Gipsmodell als Vorlage hergestellt. Die Arbeit beginnt. Mit schweren Werkzeugen, wie großen Winkelschneidern, Fäusteln und Spitzeisen arbeitet der Bildhauer die groben Konturen aus.

Links steht das Gipsmodell, rechts die Marmorkopie. Andreas Klein freut sich, dass er schon so weit gekommen ist.
Links steht das Gipsmodell, rechts die Marmorkopie. Andreas Klein freut sich, dass er schon so weit gekommen ist. © Peter Hilbert
Vor allem Schleifpapier, feine Raspeln und Schleifmittel benötigt der Bildhauer bei den letzten Feinarbeiten.
Vor allem Schleifpapier, feine Raspeln und Schleifmittel benötigt der Bildhauer bei den letzten Feinarbeiten. © Peter Hilbert
Das ist die „Allegorie der Luft“, die zu den bedeutendsten Skulpturen im Schlosspark Sanssouci zählt. Diese und sechs weitere dortige Kopien hat Bildhauer Klein geschaffen.
Das ist die „Allegorie der Luft“, die zu den bedeutendsten Skulpturen im Schlosspark Sanssouci zählt. Diese und sechs weitere dortige Kopien hat Bildhauer Klein geschaffen. © Peter Hilbert
Andreas Klein zeigt Vorlagen vor dem alten Foto, die er neben dem Gipsmodell für die Feinarbeiten an dem Marmor-Kunstwerk benötigt.
Andreas Klein zeigt Vorlagen vor dem alten Foto, die er neben dem Gipsmodell für die Feinarbeiten an dem Marmor-Kunstwerk benötigt. © Peter Hilbert
An einigen Stellen ragen noch Stäbe aus dem fein bearbeiteten Marmor-Kunstwerk heraus. Sie sind nötig, um ihm beim Transport nach Dresden zusätzlichen Halt zu geben. Beim letzten Feinschliff wird sie der Bildhauer beseitigen.
An einigen Stellen ragen noch Stäbe aus dem fein bearbeiteten Marmor-Kunstwerk heraus. Sie sind nötig, um ihm beim Transport nach Dresden zusätzlichen Halt zu geben. Beim letzten Feinschliff wird sie der Bildhauer beseitigen. © Peter Hilbert
Aus einem 21 Tonnen schweren Block hat der Bildhauer die Skulptur mit Chronos und der Schönheit seit Ende 2018 herausgearbeitet.
Aus einem 21 Tonnen schweren Block hat der Bildhauer die Skulptur mit Chronos und der Schönheit seit Ende 2018 herausgearbeitet. © Peter Hilbert
Mit solchen selbstgefertigten feinen Schleifsteinen arbeitet der Meister derzeit an Details der Skulptur. Schließlich kommt es hier auf den Zehntelmillimeter an.
Mit solchen selbstgefertigten feinen Schleifsteinen arbeitet der Meister derzeit an Details der Skulptur. Schließlich kommt es hier auf den Zehntelmillimeter an. © Peter Hilbert

Damit die Maße genau stimmen, muss er Zehntausende Punkte mit seinem Punktiergerät vom Modell zur Kopie übertragen. Die Arbeit ist weit fortgeschritten, jetzt sind die Feinheiten dran. „Dabei geht es nicht nur darum, die Oberfläche zu glätten, sondern alle Feinheiten einzuarbeiten“, erklärt Andreas Klein. Als Beispiele führt er Gewandfalten, Haarstrukturen, Lippen, Finger- und Fußnägel oder Rosenblätter an. Deshalb arbeitet der Fachmann mit speziellem Schleifpapier, selbstgefertigten kleinen Schleifsteinen, feinen Raspeln und Diamant-Schleifmittel.

Modelle und Fotos zum Vorbild

„Bei diesem Arbeitsgang muss ich mich extrem konzentrieren“, berichtet er. „Denn diese Feinheiten wird man künftig sehen. Hier geht es um Zehntelmillimeter“ Der Meister möchte einerseits eine ganz präzise Form haben, andererseits sollen beispielsweise Stoffe der Gewänder eine bestimmte Weichheit ausstrahlen, die dem Original entsprechen. „Das ist ein enormer Aufwand. So ist allein für die Fingernägel einer Hand ein ganzer Arbeitstag nötig“, sagt er.

Da reicht das Modell allein nicht mehr aus. „Ich führe viele Vorlagen zusammen.“ Zu denen gehört ein großes Foto der Skulptur um 1900, weitere Fotos oder Modelle anderer Kunstwerke. „Da sind noch viele Details zu erkennen, die im Gipsmodell nicht mehr so detailliert sichtbar sind“, erklärt Klein.

„Habe ich ein Detail fertiggestellt, bin ich oft sehr zufrieden“, erläutert er den aufwendigen Prozess. „Einige Tage später fällt mir dann doch noch eine Feinheit auf, sodass ich nochmal ranmuss.“

Drei Monate Feinschliff vor Ort in Dresden

Beim Vor-Ort-Termin sind besonders wegen der Feinheit der Oberfläche Stäbe sichtbar, die aus dem Kunstwerk herausragen. „Sie werden der Skulptur beim Transport zusätzlichen Halt geben“, erklärt er. Am Fuß und am Sockel lässt er auch noch drei bis vier Zentimeter starken Marmor stehen, damit diese Bereiche beim Transport nicht beschädigt werden. „Wenn etwas abbrechen würde, wäre das der Supergau“, sagt der Bildhauer.

Nachdem Fachleute das Kunstwerk kritisch begutachtet haben, rollt es im Mai kommenden Jahres per Spezialtransport zum Großen Garten. An einem überdachten Arbeitsplatz am Palais werden Modell und Kopie noch einmal aufgestellt. Drei Monate lang wird der Meister der Figurengruppe dann noch den letzten Schliff geben, bevor sie auf dem angestammten Platz das kaputte Original ersetzt. „Meine Konzentration nimmt jetzt immer mehr zu. Die Arbeit an der Skulptur wird immer diffiziler, exakter und genauer“, berichtet der Bildhauer. „Da wird es eine Freude, wenn sie fertig ist.“ Immerhin hat er dann fast fünf Jahre nur daran gearbeitet.