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Vor Geiselnahme in Dresden: So lief der Angriff auf Radio Dresden ab

Am Samstag nahm ein Mann in der Altmarktgalerie in Dresden zwei Geiseln. Zuvor hatte er versucht, in die Redaktionsräume von Radio Dresden einzudringen. Er scheiterte an einer Tür.

Von Moritz Schloms
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Der Radiosender Radio Dresden sendet aus dem Bürogebäude Ammonhof. Der Täter versuchte dort einzudringen, scheiterte jedoch.
Der Radiosender Radio Dresden sendet aus dem Bürogebäude Ammonhof. Der Täter versuchte dort einzudringen, scheiterte jedoch. © dpa/Bodo Schackow

Dresden. Noch bevor die dramatische Geiselnahme in der Altmarktgalerie begonnen hatte, schlug David W. kurz nach acht Uhr morgens am Ammonhof auf. Das Ziel des 40-Jährigen: Radio Dresden.

Das Bürogebäude Ammonhof befindet sich etwa einen Kilometer vom Hauptbahnhof und einen Kilometer von der Altmarktgalerie entfernt. In dem eiförmigen Haus befinden sich unter anderem die Redaktionen von Hitradio RTL und Radio Dresden. Am Samstagmorgen hielten sich in dem Gebäude nur wenige Personen auf, in der Radio-Redaktion waren vier Personen. So erzählt es Geschäftsführer Tino Utassy, der sich zum Zeitpunkt des Vorfalls zu Hause aufhielt.

Der Ammonhof in Dresden von oben. In der dritten Etage befinden sich die Redaktionsräume von Radio Dresden.
Der Ammonhof in Dresden von oben. In der dritten Etage befinden sich die Redaktionsräume von Radio Dresden. © Jürgen-Michael Schulter/ Agentur

Der 40-jährige David W. drang in das Gebäude ein, schoss eine Tür kaputt. Die Schusswaffe, die er bei sich trug, hatte er sich offenbar illegal besorgt. Die Redaktion von Radio Dresden ist in der dritten Etage, es gibt mehrere Ein- und Ausgänge. An einer Tür machte sich der Täter zu schaffen.

Im Inneren der Redaktion wurden eigenartige Geräusche vernommen. Die anwesenden Mitarbeiter glaubten zunächst, dass Handwerker diese verursachen. Weit gefehlt. Recht schnell erkannten die Mitarbeiter, dass sie sich in einer gefährlichen Situation befanden.

Mann schießt mehrfach auf die Tür der Redaktion

Der Mann schoss auf die Tür, verursachte mehrere Löcher in der Glasfront, konnte aber nicht in die Redaktion eindringen. "Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo haben wir unser Sicherheitskonzept mit der Polizei überarbeitet. Wir haben unter anderem an den Türen nachgerüstet", sagt Geschäftsführer Tino Utassy. Bei dem islamistisch motivierten Terroranschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo wurden 2015 elf Menschen getötet.

Während David W. mit der Tür kämpfte, flohen die vier Mitarbeiter. "Einer hat mir gesagt: In so einem Moment denkst du nicht rational, du funktionierst einfach nur", so Utassy. Sie irrten durchs Gebäude, hatten Angst. Bis dato war nicht klar, ob es sich um einen Einzeltäter handelt oder mehrere Personen im Gebäude waren.

Schließlich gelangten die Mitarbeiter unverletzt nach draußen, trafen dort auf die Polizei. Dort hatten die Radio-Mitarbeiter einen Notruf abgesetzt. Bei eisigen Temperaturen standen die Mitarbeiter im T-Shirt vor dem Gebäude, die Polizei rückte vor. Der 40-Jährige hatte sich zu diesem Zeitpunkt mutmaßlich schon aus dem Staub gemacht. Sein nächstes Ziel war die Altmarktgalerie.

Radioprogramm im Autopilot

Doch was passiert mit dem Radioprogramm, wenn niemand mehr im Studio ist? "Einer der Mitarbeiter hatte noch geistesgegenwärtig auf einen Knopf gedrückt, um das Programm automatisch abzuspielen", sagt Utassy. Das kann man sich wie bei einem Autopiloten vorstellen. Musik und vorab aufgenommene Beiträge werden automatisch abgespielt, doch niemand kann mehr moderieren.

Tino Utassy ist der Geschäftsführer von Radio Dresden. Er ist froh, dass an diesem Tag keinem seiner Mitarbeiter etwas passiert ist.
Tino Utassy ist der Geschäftsführer von Radio Dresden. Er ist froh, dass an diesem Tag keinem seiner Mitarbeiter etwas passiert ist. © Radio Dresden

Seit der Corona-Pandemie hat der Radiosender jedoch Möglichkeiten, dass Mitarbeiter auch von zu Hause auf das Programm zugreifen können. "Wir haben natürlich nicht daran gedacht, dass uns das in so einer Situation mal helfen könnte", sagt der Geschäftsführer. Zwei Mitarbeiter übernehmen das Programm, moderieren aus dem Homeoffice.

"Wir haben in unserem Programm nicht live über den Vorfall berichtet. Wir wussten ja selbst nicht genau, was passiert", erzählt Tino Utassy weiter. Erst später wurde klar, dass die Geiselnahme in der Altmarktgalerie in Zusammenhang mit dem Angriff am Ammonhof steht.

Wollte der Täter an die Öffentlichkeit gehen?

Doch was wollte der Täter bei Radio Dresden? Darüber kann man immer noch nur spekulieren. Das Motiv ist unklar. Möglicherweise wollte David W., der an Wahnvorstellungen gelitten haben soll, selbst in die Öffentlichkeit gehen. Noch am Samstag sagte Uttasy bei einem Interview mit dem Nachrichtensender ntv: "Ich denke, dass er sich Gehör verschaffen oder was senden wollte." Von außerhalb schalteten die Mitarbeiter alle Mikrofone im Sender ab, sodass niemand unbefugt hätte senden können.

Unklar ist auch, warum David W. bei seinem versuchten Eindringen in die Redaktion ein Kind dabei hatte. Der neunjährige Junge gehört offenbar zu einer Bekannten des Täters. Der Täter wird ihn später in der Altmarktgalerie mit einer Angestellten in Geiselhaft nehmen, bevor die Polizei die beiden rettet. Beim Zugriff wird der Täter verletzt, stirbt wenig später.

Am Ammonhof geht der technische Leiter von Radio Dresden indes mit der Polizei zurück in das Gebäude, schließt den Beamten alle Türen auf. Schon am frühen Samstagnachmittag kehrten die ersten Mitarbeiter in die Redaktion zurück, andere Teile des Gebäudes waren da noch durch die Spurensicherung besetzt.

Verletzt wurde an diesem Tag bei Radio Dresden niemand. Tino Utassy ist fest davon überzeugt, dass das auch dem nachgerüstetem Sicherheitskonzept liegt. Ohne die speziellen Türen hätte dieser Tag anders ausgehen können.