Dresden. Hoch empor ragt die Lyra mit ihrem Kopf samt Zackenkrone in der Werkstatt. Während sie sonst auf dem hinteren Dachfirst des Bühnenhauses der Semperoper steht, ist sie jetzt bei der Firma Fuchs und Girke im Gewerbegebiet von Ottendorf-Okrilla. Dort ist die Gussplastik dieses antiken Saitenstrumentes, das für Dichtkunst und Musik stand, aufwendig restauriert worden. Projektleiterin Silke Ringelmann vom Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) sowie Ralph Günther als technischer Leiter des Unternehmens inspizieren gerade diese und fünf weitere Großplastiken, die vom Spritzen zurückgekommen sind und jetzt komplettiert werden.
Diese und eine zweite Lyra krönen den Dachfirst an der Vorder- und Rückseite des Bühnenhauses. An den vier Ecken der Giebel stehen vier Greifen. Das sind mythische Mischwesen aus Greifvogel und Raubtier, die in der Antike Stärke und Wachsamkeit symbolisierten.
Die Vorgeschichte: Krönung für zweites Hoftheater
Die Greifen und Lyren stammen vom zweiten von Gottfried Semper geplanten Opernhaus. Das wurde errichtet, nachdem das erste Hoftheater von 1841 im Jahr 1869 abgebrannt war, erklärt SIB-Projektleiterin Ringelmann.
Sempers Sohn Manfred leitete den Bau. Dessen jüngerer Bruder Emanuel, das sechste Kind von Gottfried Semper und seiner Frau Bertha, kümmerte sich um die Baudekoration. Sein Name steht noch heute in den Bodenplatten von zwei Greifen, bei denen es sich um die Originale handelt. 1871 begann der Bau. 1878 wurde die Oper in der heutigen Form eröffnet.
Der Wiederaufbau: Originalplastiken durch weitere ergänzt
Bei den Bombenangriffen am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Semperoper im Februar 1945 zwar zerstört. Der vordere Giebel mit einem Greif und zwei Lyren blieb jedoch stehen. Projektleiterin Ringelmann hat nicht nur aufgrund ihres heutigen Jobs eine besondere Beziehung zu dem Bauwerk. Ihr Vater Gottfried Ringelmann vom VEB Gesellschaftsbau Dresden war Komplexbauleiter beim Wiederaufbau der Semperoper. "Schon als Kind bin ich mit meinem Vater durch die Ruine der Semperoper gelaufen", sagt die heute 53-Jährige. "Deshalb hänge ich so daran." Später trat sie in die Fußstapfen ihres Vaters, studierte und legte einen Abschluss als Diplom-Bauingenieurin (FH) ab.
Beim Greif und den Lyren vom vorderen Giebel handelt es sich noch um Originale. "Das konnten wir zu 100 Prozent nachweisen", erläutert Technik-Leiter Günther. Da die Rückseite der Semperoper 1945 völlig zerstört war, mussten beim Wiederaufbau eine Lyra und zwei Greifen in der Kunstgießerei Lauchhammer neu gegossen werden. Jede dieser imposanten Plastiken besteht aus mehreren Gusssegmenten.
"Wir haben aber jetzt festgestellt, dass beim Zusammenbau auch einige Originalteile verwendet wurden“", sagt Günther. Das wird an der Struktur des Gusseisens deutlich. Höchstwahrscheinlich sind diese Teile in den Trümmern der Semperoper gefunden worden. So sei das Gesicht der hinteren Lyra ein Original von Sempers 1878 eröffneten Opernhaus.
Die Schäden: Nähte gerissen und Sockel verwittert
1998 hatte die auf Denkmalpflege spezialisierte Fachfirma Fuchs und Girke schon einmal die Lyren und Greifen restauriert. "Wir kontrollieren sie regelmäßig", erklärt SIB-Projektleiterin Ringelmann. Dabei geht es auch um die Standfestigkeit auf den Sockeln, die von Statikern überprüft wird. Bei der jüngsten Kontrolle wurde festgestellt, dass die nächste Restaurierungsrunde fällig ist. So waren Nähte an den aus mehreren Teilen zusammengesetzten Gussplastiken gerissen, führt Günther ein Beispiel an. Auch an den Sandstein-Sockeln und ihren Verankerungen gibt es Schäden, sodass Instandsetzungsarbeiten nötig sind.
Die Frischekur: Neue Farbe hält über 20 Jahre
Die Restaurierung beginnt mit dem Abbau. Im Juli 2021 rollt ein 70-Tonnen-Mobilkran an der Semperoper an, der die jeweils eine Tonne schweren Greifen und die 1,5 Tonnen schweren Myren aushebt. Auf Lkws kommen sie in die Ottendorfer Fuchs und Girke-Werkstatt.
Mit einem schonenden Strahlverfahren mit kleinen Körnern werden drei bis vier Farbschichten von den Plastiken entfernt, nennt Günther den nächsten Schritt. Dabei wird festgestellt, dass einige Ecken und Kanten an den Plastiken abgeplatzt sind. "Danach haben wir die Schäden beseitigt - so feine Haarrisse an den Nähten zwischen verschraubten Einzelteilen." Schließlich sind die Skulpturen auf dem Dach extremen Temperatur-Unterschieden ausgesetzt. Um zu verhindern, dass Wasser eindringt und Gussteile rosten, werden die Risse mit einem Dichtmittel wieder verschlossen.
Wo wie an den Ecken von Greifen Gussteile abgeplatzt sind, werden sie mit Metallkitt wieder angefügt. "Der besteht aus zwei Komponenten und kann wie Knete aufgetragen werden", erläutert der technische Leiter. So kann er genau in die richtige Form gebracht werden, bevor der Kitt aushärtet. Er wird, falls nötig, nachgeschliffen, um auch die letzte Feinheit wieder herzustellen.
Zuletzt werden in einer Spezialfirma vier Farbschichten auf die Gussteile aufgebracht. Das ist jetzt geschafft. Der Grauton ist genau mit der Denkmalpflege abgestimmt worden, damit er zum Gebäude passt. "Nach Angaben des Herstellers soll die Farbe wieder mindestens 20 Jahre halten", erklärt Projektleiterin Ringelmann.
Jetzt stehen die Großplastiken wieder bei Fuchs und Girke. Derzeit werden in der Werkstatt noch die letzten Arbeiten ausgeführt, beispielsweise Teile an den Rückseiten der Lyren angeschraubt.
Das Finale: Sandstein-Sockel werden neu verankert
Allerdings sind jetzt noch Arbeiten auf dem Dach der Semperoper nötig. Deshalb wird Mitte Juni am Theaterplatz ein Spezialgerüst auf das Dach des Bühnenhauses gehoben. An den Sandstein-Sockeln werden Fugen erneuert und ausgebrochene Teile ersetzt. Die Sockel der Lyren erhalten neue Bleiabdeckungen.
Geplant ist außerdem, neue Edelstahlanker einzubauen, an denen die Plastiken verschraubt werden. Bis Juli sollen diese Arbeiten abgeschlossen werden. Anfang August rollt wieder ein 70-Tonnen-Mobilkran an der Semperoper an. Pünktlich vor dem Stadtfest wird er die frisch restaurierten Greifen und Lyren aufs Dach heben, kündigt SIB-Projektleiterin Ringelmann an. Für die Großaktion investiert der Freistaat rund 110.000 Euro.