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Leben im DDR-Durchgangsheim: "Wie ein wildes Tier im Käfig"

In der Dresdener Glacisstraße befand sich von 1977 bis 1987 ein Spezialheim der DDR-Jugendhilfe. Eine Initiative will diese Zeit jetzt aufarbeiten lassen.

Von Dirk Hein
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In den Räumen das Heinrich-Schütz-Konservatoriums war zu DDR-Zeiten ein Durchgangsheim untergebracht.
In den Räumen das Heinrich-Schütz-Konservatoriums war zu DDR-Zeiten ein Durchgangsheim untergebracht. © Sven Ellger

Dresden. Wo heute in fein sanierten Räumen das Heinrich-Schütz-Konservatorium sitzt, war in den späten Jahren der DDR ein Durchgangsheim für Ausreißer und straffällig gewordene Jugendliche untergebracht.

Laut Rathaus war in den Räumen an der Glacisstraße 30 ein sogenanntes Durchgangsheim der Jugendhilfe eingerichtet worden. Es ist davon auszugehen, dass in dem Heim spätestens von 1977 an bis mindestens Februar 1987 Kinder und Jugendliche untergebracht waren. Die Kapazität lag bei 30 minderjährigen Kindern und Jugendlichen. "Jährlich wurden etwa 570 Minderjährige aufgenommen, die im Regelfall drei Wochen, vereinzelt bis zu sechs Wochen blieben." Das hat eine Anfrage von AfD-Stadtrat Thomas Ladzinski an OB Dirk Hilbert (FDP) ergeben.

"Keiner der Insassen durfte es verlassen"

In den Beständen des Stadtarchivs liegen jedoch keine Sach- und auch keine Personalakten dazu vor. Die Stadt verweist darauf, dass bisher zum Beispiel keine sichtbare Gedenktafel am Gebäude an dessen Zeit als Jugendhilfeeinrichtung während der DDR erinnert. Insgesamt wäre "eine vertiefte Forschung zum konkreten Standort durchzuführen."

Dem Heinrich-Schütz-Konservatorium selbst liegen keine Unterlagen, Dokumente oder Zeitzeugenberichte vor. Eine intensive Beschäftigung mit dem Thema habe bisher noch nicht stattgefunden.

Vereinzelt haben sich Insassen des Durchgangsheims in Zeitungsberichten geäußert. Als 15-Jähriger saß Jürgen Schwarz demnach in dem Durchgangsheim ein. Er sollte eigentlich wegen eines gestohlenen Mopeds in einem Jugendwerkhof untergebracht werden. Weil dort kein Platz frei war, musste er in das Durchgangsheim.

Der damals 15-Jährige blieb laut eigener Aussage vier Monate, und sagte 2013 der Sächsischen Zeitung: "Es waren die schlimmsten vier Monate meines Lebens. Man fühlte sich wie ein wildes Tier, das man in einen Käfig gesperrt hat." Das Haus war demnach rundum abgesichert, keiner der Insassen durfte es verlassen. Keiner ging zur Schule, keiner durfte auf den Hof.

Stadtrat soll Erforschung der Geschichte beschließen

Per Ratsbeschluss will die AfD erreichen, dass "vertiefende Forschungen" zur Geschichte des Hauses in Auftrag gegeben werden. In einem zweiten Schritt soll der Rat dann auf Grundlage der neuen Forschungsergebnisse entscheiden, wie an das Durchgangsheim in geeigneter Weise erinnert werden kann.

"Noch heute leben Menschen in der Dresdner Bürgerschaft, die unter den physischen und psychischen Folgen dieses Heimaufenthaltes leiden", sagt Stadtrat Thomas Ladzinski. Die Forschung dazu solle mit diesem Antrag initiiert werden.