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Schwimmkomplex Freiberger Straße in Dresden: Eine Schwimm-Koryphäe hört auf

Steffi Böhmert leitete 25 Jahre den Schwimmkomplex am Freiberger Platz. Nach der Wende war sie maßgeblich daran beteiligt, das öffentliche Schwimmen in Dresden aufzubauen. Nun geht sie in Rente.

Von Carlotta Böttcher
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Die Badleiterin Steffi Böhmert geht in den Ruhestand. In die Schwimmhalle wolle sie nun nur noch "drei bis vier Mal" pro Woche kommen, um die Kinder der Dresdner Delphine zu trainieren.
Die Badleiterin Steffi Böhmert geht in den Ruhestand. In die Schwimmhalle wolle sie nun nur noch "drei bis vier Mal" pro Woche kommen, um die Kinder der Dresdner Delphine zu trainieren. © René Meinig

Dresden. Vier Tage, nachdem Steffi Böhmert in den Ruhestand gegangen war, ist sie schon wieder zurück in der Schwimmhalle am Freiberger Platz. Denn: Am Nachmittag steht das Kindertraining der Dresdner Delphine e.V. an. Auf Bahn 5 und 6 paddeln gerade zwei ihrer Enkelkinder mit den Beinen und schieben ein Schwimmbrett vor sich her. Am Beckenrand steht ihr Sohn, ebenfalls Schwimmtrainer. Böhmerts Mann ist gerade nicht vor Ort, dafür hängt ein Foto von ihm im Foyer, eingereiht in die Galerie der Schwimmer, die am Freiberger Platz groß wurden und auf den Siegertreppchen dieser Welt ihre Erfolge feierten.

Man könnte also sagen: Steffi Böhmert und ihre Familie sind fester Bestandteil des Schwimmkomplexes. Böhmert kam vor 42 Jahren nach Dresden, erst als Trainerin, die vergangenen 25 Jahre als Badleiterin. Nach all den Jahren war jetzt ihr letzter Arbeitstag. Matthias Waurick, Chef der Dresdner Bäder, sagte zum Abschied: "Eine Koryphäe geht in den Unruhestand." Im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung blickt sie zurück.

1982 übernahm Böhmert die Leitung des Nachwuchsleistungszentrums

Die 64-Jährige - weiße Sneakers, kurze blonde Haare, fühlt sich sichtlich wohl in der Schwimmhalle. Als Gesprächsort schlägt sie die Zuschauertribüne vor. Von hier oben hört man das Wasser plätschern. Der Anblick der Schwimmer, die ihre Bahnen ziehen, hat etwas Beruhigendes. Die Luft ist schwül und riecht nach Chlor. Böhmert sagt: "Ich rieche das schon gar nicht mehr."

Ihre Schwimmkarriere begann sie als Fünfjährige, damals noch in Chemnitz. Sie war schnell erfolgreich, besuchte die Sportschule, musste in der achten Klasse jedoch aufhören – aus gesundheitlichen Gründen. Fortan stand sie als Kampfrichterin am Beckenrand, mit 21 Jahren dann als Trainerin. 1982 kam sie nach Dresden und übernahm die Leitung des Nachwuchsleistungszentrums am Freiberger Platz.

Aufbau des Schwimmsports in Dresden: "Auf einmal war Schluss"

"Damals bin ich mit dem Stadtplan durch Dresden gelaufen, um die einzelnen Schulen kennenzulernen und zu sichten. Ich kannte mich ja hier nicht aus", sagt Böhmert heute. Sie erzählt Anekdoten von alten Badelatschen, mit denen kaputte Rohre abgedichtet wurden und Schlüpfergummis, die als Schlüsselanhänger für die Umkleiden umfunktioniert wurden.

Schaut man sich die Galerie der erfolgreichen Schwimmer im Foyer an, taucht da nicht nur ihr Mann auf, sondern auch ihr eigener Name: als Trainerin von Sebastian Halgasch und Martin Findeis, beide Goldmedaillengewinner bei internationalen Wettkämpfen. Die 80er-Jahre waren erfolgreich für den Dresdner Schwimmnachwuchs, und für Trainerin Steffi Böhmert.

Dann kam die Wende. "Das war ein Einschnitt", sagt Böhmert. "Wir hatten viele Jahre in den Aufbau des Sports gesteckt. Auf einmal war Schluss." Der Leistungssport wurde umstrukturiert, Böhmert verlor ihren Job und hangelte sich von einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur nächsten. "Am schwierigsten war es, die jungen Schwimmer, die gerade ihre Karriere starteten, zurückzulassen."

Der Schwimmkomplex am Freiberger Platz zählt zu den größten Schwimmanlagen Deutschlands. Böhmert ist stolz, dass zahlreiche Wettkämpfe und Trainingslager in Dresden stattfinden und der Freizeitschwimmer trotzdem nicht zu kurz kommt.
Der Schwimmkomplex am Freiberger Platz zählt zu den größten Schwimmanlagen Deutschlands. Böhmert ist stolz, dass zahlreiche Wettkämpfe und Trainingslager in Dresden stattfinden und der Freizeitschwimmer trotzdem nicht zu kurz kommt. © René Meinig

"Mein Ziel war es, dass jedes Kind schwimmen lernt"

Nach zwei Jahren kam sie zurück in die Halle am Freiberger Platz. Sie begann eine Ausbildung als Rettungsschwimmerin und baute nebenbei Schwimmkurse für Kinder und Erwachsene auf. "Mein Ziel war es, dass jedes Kind schwimmen lernt", sagt Böhmert. "Ich wollte einfach ein bisschen mehr bewegen, als nur das Notwendige zu tun."

Ihre Kollegen sind ihr bis heute dankbar für ihr Engagement. Enrico Schnabel, erfolgreicher Dresdner Ruderer und Böhmerts Stellvertreter in der Badleitung, sagte bei ihrem Abschied: "Nach der Wende war der Leistungssport verpönt. Du hast das Kurssystem aufgebaut und dafür gesorgt, dass auch normale Menschen in die Leistungssporthalle konnten. Vermutlich hat halb Dresden bei dir schwimmen gelernt."

1998 übernahm Böhmert die Badleitung, elf Jahre später beschloss der Dresdner Stadtrat, die Schwimmhalle zu sanieren und eine zweite Halle anzubauen. Endlich gab es genügend Bahnen, auf denen Leistungssportler, Seepferdchen-Gruppen und Freizeitschwimmer nebeneinander herschwimmen konnten. "Unser neues Motto war: Dresden schwimmt", sagt Böhmert und strahlt dabei noch heute. "Der Zulauf war riesig."

Der neue Schwimmkomplex wurde 2019 fertiggestellt.
Der neue Schwimmkomplex wurde 2019 fertiggestellt. © René Meinig

Corona-Pandemie: Bäder schlossen sechs Monate

Und prompt folgte die nächste Herausforderung: die Corona-Pandemie. Die Schwimmhallen schlossen ein halbes Jahr, die Badleiterin musste den Leuten draußen erklären, warum der Leistungskader drinnen trotzdem schwimmen darf.

Die letzte Hürde nahm Böhmert, als Russland die Ukraine überfiel und die Badleiterin das Wasser von 27,5 auf 26 Grad herunterkühlen musste. "Das mag nicht viel klingen, aber der Schwimmer, der täglich zu uns kommt, spürt jeden halben Grad Unterschied. Das gab schon erstmal Diskussionen."

Nun freut sich Böhmert auf den Ruhestand. Endlich habe sie wieder mehr Zeit für Garten, Enkel, Nähmaschine – und um selbst wieder mehr ins Wasser zu gehen. Zuletzt blieb dafür kaum Zeit.

Abschiedsgeschenk aus der Schwimmhalle

Was schenkt man so einer Koryphäe zum Abschied? Bäder-Chef Matthias Waurick hat sich eine besondere Ehrung überlegt. Ein großes gelbes Paket, blaue Schleife, transportiert auf einem Handwagen, weil es sonst zu schwer zu tragen wäre. Darin: der Startblock mit der Nummer 4, der schnellsten Bahn im Schwimmsport, gerettet aus der alten Schwimmhalle.

Der Startblock mit der Nummer 4 ist begehrt unter Schwimmern. Ein Block aus der alten Halle steht im Eingangsbereich des Schwimmkomplexes, der andere wird künftig Böhmerts Garten schmücken.
Der Startblock mit der Nummer 4 ist begehrt unter Schwimmern. Ein Block aus der alten Halle steht im Eingangsbereich des Schwimmkomplexes, der andere wird künftig Böhmerts Garten schmücken. © René Meinig

Steffi Böhmert will den Startblock in ihren Garten stellen, um jeden Tag daran zu denken, wo sie gearbeitet hat. Sie klingt stolz, wenn sie über die letzten 40 Jahre spricht. Und sie klingt nicht wie eine, die wehmütig zurückblickt. Sondern so, als ob sie immer noch mittendrin steht. Oder besser gesagt: bei den Dresdner Delphinen am Beckenrand.