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Von Dynamo in die Türkei: Das neue Leben des Aias Aosman

Vier Jahre hat der Kurde aus Syrien in Dresden gespielt. Nun sammelt er völlig andere Erfahrungen.

Von Sven Geisler
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Sein Jubel nach dem Elfmeter: Aias Aosman hat Dynamos Sieg gegen RB Leipzig im Pokal vor drei Jahren klar gemacht.
Sein Jubel nach dem Elfmeter: Aias Aosman hat Dynamos Sieg gegen RB Leipzig im Pokal vor drei Jahren klar gemacht. © Robert Michael

Das ist im Überschwang schnell gesagt, oft wirkt es mit etwas Abstand übertrieben. Doch dieser Moment ist einer für die Ewigkeit, für Aias Aosman sowieso, aber auch für Dynamo. Schließlich ist es das erste Spiel gegen den Emporkömmling aus Leipzig, der in Dresden als der „Brauseklub“ verschrien ist. Aus einem 0:2 haben die Schwarz-Gelben ein 2:2 gemacht – und nun kann er im Elfmeterschießen dieses Pokalduell entscheiden.

Der Weg von der Mittellinie zum Elfmeterpunkt dauert eine kleine Ewigkeit, „gefühlt drei Minuten“, erzählte Aosman danach. „Ich habe gedacht: Wenn ich den jetzt reinhaue, mache ich 30.000 Leute im Stadion glücklich und viele andere auch.“ Zweifel lässt er nicht zu. „Also war mir klar: Ich mache den rein. Wenn ich aus elf Metern präzise schieße, hat der Torwart keine Chance.“ Mit diesem Selbstbewusstsein trifft er – Dynamo wirft RB raus. Dieses Erlebnis ist für den 24-Jährigen vielleicht das emotionalste in den vier Jahren, die er für die Schwarz-Gelben gespielt hat.

Wobei er das nicht herausstellt, sondern grundsätzlich von „der bisher schönsten Zeit in meiner Karriere“ spricht. Im Sommer lief sein Vertrag aus, stillschweigend waren sich beide Seiten einig, sich zu trennen. Aosman wechselte zum türkischen Zweitligisten Adana Demirspor. „Ich habe neun Jahre in Deutschland gespielt, von der vierten bis zur zweiten Liga. Ich wollte etwas Neues kennenlernen“, erklärt er den Schritt. „Ich bin dorthin geflogen, es hat mir gefallen, also habe ich gleich an dem Tag unterschrieben.“

Er muss sich umstellen, vor allem auf die klimatischen Bedingungen. „Ich komme dort an, es sind 45 Grad – mit diesen Temperaturen hatte ich in den ersten Wochen zu kämpfen, das war schwierig im Training“, räumt Aosman ein. Inzwischen verbucht er das unter den positiven Seiten seines neuen Lebens in der Türkei: „Es ist cool, wir haben jeden Tag schönes Wetter.“ Adana – mit gut 1,8 Millionen Einwohnern die fünftgrößte Stadt des Landes – liegt im Süden des Taurusgebirges, bis zum Mittelmeer sind es mit dem Auto nur etwa 20 Minuten. „Hier kann man sich wohlfühlen, ich bin sehr zufrieden.“

In Dresden hat Aias Aosman unter anderen seinen Kumpel Niklas Kreuzer (r.) besucht.
In Dresden hat Aias Aosman unter anderen seinen Kumpel Niklas Kreuzer (r.) besucht. © Foto: Jürgen Lösel

"Das sind zwei Welten"

Das gilt fußballerisch prinzipiell auch, wobei die Umstellung sogar noch krasser war. „Das sind zwei Welten“, sagt Aosman. „In Deutschland ist es mehr taktisch geprägt, spielerisch stärker. In der Türkei kommen die Mannschaften in der zweiten Liga mehr über den Kampf, laufen, kratzen, beißen.“ Einem technischen Feingeist wie ihm kommt das nicht unbedingt entgehen. „Du musst schon damit rechnen, im Training zwei-, dreimal umgehauen zu werden“, berichtet er von schmerzlichen Erfahrungen.

„Wir sind 36, 37 Spieler im Kader, jeder kämpft um seinen Platz.“ Zum Vergleich: Dynamo hat derzeit 24 Profis. „Wenn bei Demirspor im Training elf gegen elf gespielt wird, bleiben schon mal die draußen, die vorher nicht ausreichend mitgezogen haben. Das hält die Spannung hoch.“ Aosman hat bei seinem ersten Einsatz als Einwechsler gleich ein Tor geschossen beim 2:0-Sieg gegen Balikesirspor, stand danach einmal in der Startelf. Einen Stammplatz hat er bisher auch deshalb nicht, weil er wegen muskulärer Probleme kürzer treten musste, erzählt Aosman. Außerdem ist der Trainer, der ihn geholt hat, schon nicht mehr da, Nachfolger Ugur Tütüneker muss er erst noch von sich überzeugen. „Ich bin fit und gehe davon aus, dass ich jetzt wieder voll angreifen kann. Dann wird mich auch der neue Trainer spielen lassen.“

Den Kurzurlaub in der Punktspielpause hat Aosman genutzt, seine Kumpel um den früheren Mitspieler Niklas Kreuzer in Dresden zu besuchen. „Wir hatten bisher zweimal länger frei, beide Male war ich hier. Die Jungs fehlen mir schon ein bisschen.“ Dynamo verfolgt er auch von der Türkei aus, hat bisher jedes Spiel im Livestream gesehen. Die Unruhe, die zuletzt beim 0:2 gegen Hannover aufkam, sieht er kritisch. „Ich denke, die Leute haben eine zu hohe Erwartungshaltung. Das war ein Bundesliga-Absteiger mit einem riesigen Etat und erfahrenen Spielern“, argumentiert er. „Es kann nicht sein, dass die Leute beim Stand von 0:0 anfangen zu pfeifen. Sie sollten Geduld haben. Fielo (Trainer Cristian Fiel/d. A.) braucht noch Zeit mit den Jungs.“

Syrien-Konflikt ein heikles Thema

Die Verbindung wird so schnell nicht abreißen, auch wenn die vergangenen beiden Jahre schwierig gewesen seien. „Das lief nicht mehr optimal“, sagt er, ohne auf die Gründe dafür einzugehen. Manchmal stand er sich mit seiner Emotionalität selbst im Weg, wurde mehrfach aus disziplinarischen Gründen vom Verein für ein Spiel gesperrt. Er ist sich wohl bewusst, dass vor allem Sportgeschäftsführer Ralf Minge und Teammanager Martin Börner ihn in seinem Reifeprozess – sagen wir – maßgeblich unterstützt haben. „Ich bin dankbar, dass ich in Dresden solche Leute kennen lernen durfte, die mir geholfen haben“, sagt Aosman.

Für den Kurden aus Syrien, der mit fünf Jahren als Flüchtling nach Deutschland kam, ist natürlich auch der militärische Angriff der Türkei auf sein Heimatland ein Thema. In Adana bekomme er davon zwar wenig mit, sagt er, doch wenn er mit Verwandten telefoniert, die nur fünf Stunden entfernt wohnen, sei das schon kritisch. „Aber ich kann die Situation nicht einschätzen, weil ich nicht vor Ort bin. Deshalb möchte ich mich dazu nicht weiter äußern.“ Sondern Fußball spielen.