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Verband für Trennungseltern fordert: „Unterhalt muss sich nach Betreuungszeit richten“

Der Unterhalt soll gerechter werden. Doch auch die geplante Reform belastet vor allem Väter weiter über Gebühr, kritisiert ein Verband für Trennungseltern – und fordert eine andere Lösung.

Von Stephanie Wesely
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Nach einer Trennung der Eltern ist der Kindesunterhalt oft ein Streitthema.
Nach einer Trennung der Eltern ist der Kindesunterhalt oft ein Streitthema. © 123rf

Obwohl viele Väter heute nach einer Trennung weiterhin für ihre Kinder da sind, müssen sie vollen Unterhalt zahlen. Diese Regelung ist aus Sicht vieler Menschen ungerecht.

Die Bundesregierung arbeitet deshalb an einer Unterhaltsrechtsreform. Zur Diskussion steht ein Drei-Stufenmodell, das die Betreuungszeiten der getrennten Eltern im Unterhalt berücksichtigen will.

Nach der Berichterstattung der SZ zu diesem Thema hat sich das Forum Soziale Inklusion (FSI) gemeldet – ein Verband für Trennungseltern, der auch die Bundesregierung berät. Denn auch dieses Stufenmodell sei ungerecht, sagt Verbandsvorsitzender Gerd Riedmeier. Warum und was besser wäre, erklärt er im SZ-Gespräch.

Gerd Riedmeier (66) ist zertifizierter Mediator und leitet das Forum Soziale Inklusion (FSI). Das Forum arbeitet überparteilich. Foto: FSI
Gerd Riedmeier (66) ist zertifizierter Mediator und leitet das Forum Soziale Inklusion (FSI). Das Forum arbeitet überparteilich. Foto: FSI © FSI

Herr Riedmeier, wie sieht das Drei-Stufenmodell aus?

Geplant ist Folgendes: Betreut der zweite Elternteil (meist der Vater) die Kinder in einem Zeitumfang zwischen null und 33 Prozent, sollen ihm null Prozent Betreuung angerechnet werden. Er muss dann also weiterhin vollen Unterhalt leisten. Bei einem Betreuungsanteil zwischen 33 und 45 Prozent würden lediglich 33 Prozent angerechnet, die Unterhaltshöhe beträgt demnach 67 Prozent. Also selbst bei fast hälftiger Betreuung sollen nur 33 Prozent berücksichtigt werden.

Und was kritisieren Sie daran?

Die Ungerechtigkeit. Will man eine Stufenlösung, müsste wenigstens der Mittelwert zwischen beiden Betreuungszeiten für die Unterhaltsberechnung herangezogen werden. In Stufe eins also nicht null Prozent, sondern die Mitte von null bis 33 Prozent – also 16,5 Prozent. Unsere generelle Kritik ist, dass Stufen immer zu Streit führen, vor allem wenn die Betreuungsleistungen der Eltern knapp an den Stufengrenzen liegen. Ein weiterer Kritikpunkt unseres Verbandes ist, dass nach unseren Informationen nur die Anzahl der Übernachtungen beim jeweiligen Elternteil berücksichtigt werden soll. Doch die hauptsächliche Betreuung findet am Tag, nicht in der Nacht statt. Konkret geht es um die „Zuständigkeiten“ der Eltern: Erkrankt das Kind während der Schul- oder Kitazeit, ist der zuständige Elternteil gezwungen, seine Erwerbstätigkeit zu unterbrechen. Diese Verantwortung soll laut Familienministerium dann unter den Tisch fallen. Wechselt das Kind zum Schlafen in den anderen Haushalt, zählt die Tages-Betreuung im Krankheitsfalle nicht. Hinzu kommt, dass die Ferienzeiten komplett unbeachtet bleiben sollen, obwohl die Ferienwochen heute meist paritätisch zwischen den getrennt erziehenden Eltern aufgeteilt werden. So ergeben sich Unterhaltsbelastungen für die Väter, die oft so hoch sind, dass viele Schwierigkeiten haben, ihren Kindern angemessene Freizeitaktivitäten zu bieten. Das erleben sie mitunter als demütigend. Sie fühlen sich in ihrer Elternrolle und mit ihren Nöten als nicht wahrgenommen.

Was muss sich also ändern?

Der Kindesunterhalt muss sich nach der tatsächlichen Betreuungszeit richten. Die Ferienzeiten sind anzurechnen. Außerdem müssen Tage und Nächte anteilig erfasst werden.

Wie soll das gehen? Wird dann rückblickend jede Stunde nachgezählt?

Nein, nicht rückblickend, sondern für die Zukunft. Die Eltern verständigen sich nach einer Trennung bereits heute darüber, wer wann das Kind betreut, bei wem es welche Feiertage oder Ferienzeiten verbringt. Wir nennen das „Betreuungsvereinbarung“. Nach diesen festgelegten Betreuungsanteilen sollten die Unterhaltsleistungen auf beide Haushalte aufgeteilt werden. Die Verteilung ist individuell: Sie kann also auch 31 zu 69 Prozent betragen. Unterstützend existieren dazu bereits heute Online-Tools, die passgenau und dynamisch die Verteilung berechnen. Der Grundsatz dazu lautet: „Beide betreuen – beide bezahlen“.

Und wenn sich die Betreuungszeiten ändern, vielleicht weil das Kind nicht mehr so oft pendeln will?

Die getrennten Eltern sollen die Betreuungsvereinbarung jederzeit im gegenseitigen Einvernehmen abändern können. Falls es schwierig wird, können sie Unterstützung von Beratungsstellen wie Jugendamt oder auch Mediation in Anspruch nehmen. Das Gericht soll die letzte Möglichkeit sein.

Wie hoch soll der Unterhalt sein? Soll es bei den derzeit maßgeblichen Sätzen der Düsseldorfer Tabelle bleiben?

Die erste Stufe der Düsseldorfer Tabelle – der Mindestunterhalt – bezieht sich auf das Existenzminimum für die Kinder. Diese wird aktuell aber nur einem Haushalt zugeordnet. Anders im Sozialrecht. Das jedes Jahr ermittelte Existenzminimum für ein Kind gilt auch hier als Mindestbedarf. Danach richtet sich die Höhe der Sozialleistungen, zum Beispiel das Bürgergeld. Im Falle von Trennungsfamilien teilt das Sozialrecht aber auf beide Haushalte auf. Es verteilt die Sozialleistungen anteilig der Betreuungszeiten plus Kosten der Unterkunft. Analog muss das Unterhaltsrecht angepasst werden.

Sie wollen also den Betrag entsprechend der Betreuungszeit aufteilen?

Ja, denn die Bedarfe der Kinder wie Essen, Kleidung oder Windeln fallen in beiden Haushalten an. Sie müssen finanziert sein. Auch muss eine entsprechende Wohnungsgröße vorhanden sein, damit die Kinder einen eigenen Bereich haben. Das kostet Geld, Strom, Betriebskosten. Das aktuelle Unterhaltsrecht ignoriert diese Tatsache.

Bei der Unterhaltshöhe sprechen Sie nur vom Existenzminimum. Wie ist das für Kinder besserverdienender Eltern?

Neben dem geschilderten Grundbedarf im Rahmen des Existenzminimums fallen weitere kindrelevante Kosten an. Zum Beispiel Kita- und Schulgeld, Zusatzkosten für eine aus gesundheitlichen Gründen aufwendigere Ernährung, Freizeitaktivitäten oder Klassenfahrten. Für diese Lebenshaltungskosten soll der Elternteil in der Zeit aufkommen, in der das Kind bei ihm lebt. Diese Kosten werden bereits heute schon gerne übernommen, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil erkennen kann, dass das Geld seinem Kind zugutekommt. Bei der geplanten Staffelung der Unterhaltsbeträge entsprechend der Einkommensgruppen, wie es die Düsseldorfer Tabelle vorsieht, entsteht ein erhöhtes Konfliktpotenzial. Beim zahlenden Elternteil gewinnt mitunter der Gedanke, das Leben des anderen Elternteils ungefragt mitfinanzieren zu müssen.

Welche Chancen sehen Sie, dass das Unterhaltsrecht noch in dieser Legislatur reformiert wird?

Eine sehr geringe Chance. Die Koalition ist uneins. Die FDP erkennt sehr gut den Ansatz von Gleichbehandlung für getrennt erziehende Mütter und Väter. SPD und Bündnis 90/die Grünen wie auch das Familienministerium stellen in ihrer Argumentation das Kindeswohl in den Mittelpunkt, fokussieren sich aber auf ein Alleinerziehen nach der Trennung. Es ist jedoch wissenschaftlich belegt, dass für Kinder der Kontakt zu beiden Eltern vorteilhaft ist, um gesund aufzuwachsen. Aufgabe des Familienministeriums wäre es, eine Kampagne gegen Kontaktverlust von Trennungskindern zu einem Elternteil zu führen.

Sind Sie betroffen und möchten uns Ihre Geschichte erzählen? Dann melden Sie sich gerne per E-Mail unter: [email protected]