Leben und Stil
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Wie bringe ich mein Kind zum Lesen?

Handys haben Bücher verdrängt. Doch Lesen bedeutet Zugang zu Bildung. Lesepaten sind nur eine Möglichkeit in Sachsen. Auch Eltern können gegensteuern.

Von Sylvia Miskowiec
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Da muss spannendere Lektüre her!
Da muss spannendere Lektüre her! © 123rf (Symbolfoto)

Das Lesen hat es schwer dieser Tage. Gut ein Drittel aller Eltern liest nicht vor, besagen Umfragen des neuen Vorlesemonitors. Die Studie der Wochenzeitung Die Zeit, der Stiftung Lesen und der Deutschen Bahn Stiftung zeigt auch, dass die Hälfte der deutschen Haushalte mit Kindern weniger als zehn Kinderbücher besitzt. Und ein Viertel der Grundschulkinder hierzulande kann laut aktueller IGLU-Studie nicht richtig lesen.

„Das ist besorgniserregend“, sagt Michael Ritter, Pädagoge und Professor für Grundschuldidaktik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zwar hätte das Gros der Menschen auch schon früher nicht unbedingt mehr gelesen als heute. „Doch unsere Arbeitswelt ist viel wissensbasierter geworden, Fließbandjobs gibt es immer weniger. Deshalb sehen wir jetzt angstvoll, dass wir mehr lesen müssen, denn das ist unser Zugang zu Bildung.“

Vorlesen legt die Grundlage

Die Grundlagen dafür sollten so früh wie möglich gelegt werden: mit Vorlesen. Auch dann noch, wenn das Kind anfängt, die ersten Geschichten selbst zu lesen, raten Experten. „Am besten funktionieren Themen, die das Kind mag, die es begeistern – und wenn es das zehnte Dinosaurierbuch oder die 15. Pferdegeschichte ist“, sagt Christine Lippmann, Sachgebietsleiterin Kulturelle Bildung und Integration an der Städtischen Bibliothek Dresden. Wer Spaß hat, höre gern zu und nehme mit höherer Wahrscheinlichkeit auch selbst mal ein Buch zur Hand.

Was die Bestsellerliste des Nachwuchses angeht, so hat sich in den vergangenen Jahren kaum etwas geändert, zeigen aktuelle Befragungen der Studie „Kinder, Internet, Medien“ (KIM). Die beliebtesten Titel sind nach wie vor „Harry Potter“, „Drei Fragezeichen“, „Gregs Tagebuch“ und die „Schule der magischen Tiere“ – allen rund 9.000 jährlichen Neuerscheinungen auf dem Kinderbuchmarkt zum Trotz.

Lesepaten bringen Geschichten zu Kindern

Christine Lippmann kennt diese Vorlieben der Kinder, denn sie koordiniert unter anderem das Leseförderprogramm „Lesestark“. Hier engagieren sich in diesem Jahr 162 ehrenamtliche Lesepaten, so viele wie noch nie. Sie lesen im laufenden Schuljahr einmal im Monat insgesamt 5.500 Kindern aus Dresdner Kitas und Grundschulen in verschiedenen Bibliotheken vor. Am Ende des Schuljahres gibt’s für alle einen eigenen Bibliotheksausweis. „Bibliotheken sind wertvolle Orte, denn Lesen kostet hier nichts“, sagt Lippmann. In den großen sächsischen Städten wie Leipzig, Dresden und Chemnitz ist die Nutzung für Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr gratis. Andere städtische Bibliotheken nehmen ab dem 16. Geburtstag lediglich einen kleinen einstelligen Jahresbeitrag.

Das Kind streikt? Immer locker bleiben.

Allen niedrigschwelligen Angeboten zum Trotz scheinen manche Erwachsene vorm Vorlesen schamhaft zurückzuschrecken. „Niemand muss dabei schauspielern. Es geht vielmehr um Nähe und Gemeinsamkeiten“, beruhigt Ritter. Er habe zum Beispiel seinem Sohn das eigene frühere Lieblingsbuch „Die Söhne der großen Bärin“ vorgelesen. „Das waren schon besondere Momente“, sagt er.

Aber was, wenn das Kind nicht will? „Locker bleiben und immer mal wieder anbieten“, raten Ritter und Lippmann unisono. Denn Unlust zu lesen und vorgelesen zu bekommen, gebe es bei Kindern immer mal wieder. „Mit sechs, sieben Jahren ist die Begeisterung groß, weil die Kinder mit dem Lesen etwas ganz Neues entdeckt haben“, sagt Ritter. Im Alter von acht Jahren ließe die Euphorie kurz nach. Mit Beginn der Pubertät breche die Lesebegeisterung bei vielen dann völlig ein. „Das sollte man nicht zu dramatisch sehen“, so Ritter. „Lieber mit gutem Beispiel vorangehen und selbst zum Buch zu greifen statt aufs Handy zu gucken.“

Verteufeln wolle Ritter die digitalen Medien allerdings keinesfalls, können sie doch eine wertvolle Brücke sein. Mehr noch: „Wir haben in einer Studie gesehen, dass etwa Bilderbuchapps Kinder verstärkt zum Mitmachen anregen.“

Comics bieten einen spielerischen Zugang zu Büchern

„Hauptsache, es wird gelesen, egal wie, egal wo“, meint auch Sabine Scholz. Die Dresdner Lektorin für Mangas und Animes engagiert sich ein Mal pro Woche in der Antolin-AG in der Grundschule ihrer Tochter. Auf Antolin.de können Kinder Quizfragen zu Büchern und Texten beantworten und dafür Punkte sammeln. Mehr als 131.000 Bücher sind auf der Seite gelistet. Hinzu kommen noch kindgerecht aufbereitete Nachrichten und Wissenstexte.

„Manche Kinder lesen nur diese kurzen Texte. Andere lesen vor allem, weil sie selbst ein Quiz zusammenstellen wollen“, sagt Sabine Scholz. Sie selbst besorgt ebenfalls Lesematerial, fragt Wünsche ab. Das dürften auch Comics und Graphic Novels sein. „Diese Art von Büchern schaffen einen spielerischen Zugang zu Büchern – und manch schwierigen Themen wie Inklusion, Krankheit und Rassismus, ohne dabei den Zeigefinger zu erheben.“

Bitte keine Belehrungen

Belehrt werden wolle kein Kind beim Lesen, sagt Pädagoge Ritter. „Kinder lieben Geschichten und Abenteuer. Sie möchten sich zwar selbst wiederfinden – allerdings nicht unbedingt 1:1, sondern eher in die Rolle einer Figur schlüpfen, sich mit ihr identifizieren.“ Als Werkzeug zur Erziehung sollten Kinderbücher eher nicht dienen, so der Wissenschaftler. „Bücher sind Kunstwerke. Sie sollten sich eine gewisse Unabhängigkeit bewahren dürfen, statt auf pädagogische Gesichtspunkte reduziert zu werden.“

Bücherideen im Netz

  • einfachvorlesen.de bietet jede Woche kostenlos je eine neue Vorlesegeschichte für Kinder ab drei, fünf und sieben Jahren.
  • stiftunglesen.de listet momentan über 2.300 Bücher sowie zahlreiche Medientipps für Kinder bis 15 Jahren.
  • kinderbuch-couch.de bespricht und empfiehlt Geschichten und Sachbücher sowie Spiele und Filme.